Lesen ist Anlegerpflicht

Zu Recht kritisiert wurde aber oft aus der Praxis, dass mit Erfüllung dieser ständig gewachsenen aufsichtsrechtlichen Anforderungen kein gesteigertes Schutzniveau vor entsprechenden Haftungsforderungen einherging. Wer umfängliche Informationen vorhalten und Dokumentationen bzw. Protokolle erstellen muss, hegt die berechtigte Erwartung, dass bei Erfüllung all dieser Pflichten auch die Haftungsgefahr bei einem späteren Misserfolg der vom Kunden erworbenen Kapitalanlage zumindest weitgehend gebannt ist.

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Zunächst schien diese Rechnung jedoch nicht aufzugehen. Aus mehreren prominenten Urteilen des Bundesgerichtshofs, über die vielfach auch schon in Cash. berichtet wurde, entstand eine gefestigte Rechtsprechung vom „Vorrang des gesprochenen Wortes des Anlageberaters“. Die Rechtsprechung hob darin hervor, dass der Anleger nicht verpflichtet sei, den ihm übergebenen Prospekt oder andere Unterlagen daraufhin zu durchforsten, ob die persönlich von seinem Berater oder Vermittler gemachten Anlagen richtig oder doch vielleicht etwas zu „schön gefärbt“ seien.

Gleiches gelte für Aussagen des Vertriebes, die die im Prospekt aufgezählten Risiken relativierten oder verharmlosten, etwa unter Verweis auf das dortige unverständliche und ohnehin übertriebene „Juristendeutsch“. Schon diese Rechtsprechung war im Kern ebenso richtig, wie sie oft missverstanden wurde. Der Kunde muss in der Tat nicht besser informiert als sein Finanzdienstleister sein, und darf ihm grundsätzlich vertrauen; es ist nicht seine Aufgabe, seinen Fachberater wiederum zu überwachen.

Mangelnden Pflicht zur Überwachung

Aus dieser mangelnden Pflicht zur Überwachung schlossen aber viele Anleger und ihre Interessenvertreter, dass es auch bei einem alle Risiken zutreffend und vollständig darstellenden Prospektinhalt ausreiche, allein darauf zu verweisen, dass man den Prospekt nicht gelesen habe, sondern sich allein auf die „mündlichen“ Angaben seines Finanzdienstleisters verlassen habe. Was tatsächlich bei dem oft Jahre lang zurückliegenden Vermittlungsgespräch thematisiert wurde, bleibt in der späteren (Gerichts-) Praxis meist im Dunkeln oder ist nicht mehr aufklärbar.

Auch sind die subjektiven Wahrnehmungen hierüber – vorsichtig formuliert – oft je nach Interessenlage sehr verschieden. Gerade auch diese Fälle betraf jedoch eine ebenfalls schon seit Jahren gefestigte Rechtsprechung, die festlegte, dass die – rechtzeitige – Aushändigung eines Prospektes als Mittel der Aufklärung im Regelfall ausreichend sei, sofern der Prospekt die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich vermittelte.

Seite drei: Rechtsprechung zunächst sehr zurückhaltend

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