Beraterhaftung: Bumerang nach 18 Jahren

Anders würde das Gericht demnach unter Umständen entscheiden, wenn bestimmte Sachverhalte bereits beim „Angebot im Überblick“ deutlich hervorgehoben würden. Eine solche Kurzdarstellung verlangt der Prüfungsstandard IDW S 4 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), der im seriösen Teil des Marktes verbindlich ist, seit dem Jahr 2000. Doch wird in diesem Kapitel bisher in der Regel nicht auf die Haftungsproblematik eingegangen.

IDW-Gutachten kann in die Irre führen

Sich nur auf den rechtzeitig überreichten Prospekt und auf das Prospektgutachten eines Wirtschaftsprüfers (WP) zu verlassen, kann ohnehin in die Irre führen. Zum einen ist damit nicht gewährleistet, dass der Anleger den Prospekt wirklich liest und versteht. Zum zweiten entbindet das Gutachten den Berater nicht von einer eigenen Prüfung des Prospekts. Zum dritten wird bislang kaum beachtet, dass das IDW bei der letzten Anpassung des Standards im Jahr 2006 neu definiert hat, welchen Anleger der WP bei seiner Prüfung vor Augen haben soll.

Demnach erfolgt die WP-Prüfung aus Sicht eines durchschnittlich verständigen und durchschnittlich vorsichtigen Anlegers, der – und das war neu – „über ein Grundverständnis für die wirtschaftlichen Gegebenheiten der angebotenen Vermögensanlagen verfügt“. Umgekehrt heißt das: Selbst wenn ein Prospekt die Kapitalanlage nach Ansicht des WP richtig, vollständig und klar darstellt, reicht er allein nicht unbedingt aus, um einen Anleger ohne solches „Grundverständnis“ korrekt aufzuklären.

Anlageberater stecken im Dilemma

Das betrifft auch die „Kapitalflussrechnung“, die der IDW S 4 seit 2006 vorsieht. Sie stellt auf Basis der Prognose unter anderem tabellarisch die Entwicklung des Haftungsvolumens des Anlegers dar – eben jenen Punkt also, zu dem der BGH jetzt geurteilt hat. Ob allerdings diese Art der Darstellung ausreicht, um die Anleger über das betreffende Risiko aufzuklären, bleibt zweifelhaft. Das gilt vor allem bei Anlegern ohne „Grundverständnis“ und wenn das Haftungsvolumen laut Prognose – wie in den meisten Fällen – durchgängig Null ist.

Seite 3: Warum Berater in die Glaskugel gucken müssen

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