Papa, mir ist langweilig – nix los am deutschen Immobilienmarkt?

Ist die Stabilität am deutschen Gewerbeimmobilienmarkt gleichzusetzen mit Langeweile für Investoren? Nein, eine geringere Dynamik ist eben nicht gleichzusetzen mit einer geringeren Attraktivität. Es gilt, die Chancen darin zu erkennen. Die Beyerle-Kolumne

 

Eltern kennen diesen Spruch zur Genüge – doch mal Hand aufs Herz: kann es sein, dass mit zunehmender Spielevielfalt in deutschen Kinderzimmern – irgendwo zwischen Lego, Ausmalbildern und Papas iPad die Langeweile eingekehrt ist bei unseren hyperdynamischen, aber krisenunerfahren Nachwuchskräften? Denn die Eltern haben etwas in den letzten fünf Jahren – nicht nur für die Kindererziehung – nach Lehman und Zypern gelernt: Stabilität und eine gepflegte Portion Risikoeinschätzung tut noch jedem gut. Die Frage ist nur ob Stabilität gleichzusetzen ist mit Langeweile?

Mentalitätsunterschied als Standortvorteil 

Klar ist, dass die Büroimmobilienmärkte auf die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland eher mit einem trägen Momentum reagieren. Träge deshalb, da zwar eine gewisse Zyklizität gegeben ist, eine hohe Korrelation zur Konjunktur aber nur mittelbar besteht. Kein Vergleich zu den volatilen Märkten wie London oder Madrid. Eine gänzlich andere Risikoauffassung bei Finanzierern, Projektentwicklern und letztlich auch Investoren hierzulande wird darin deutlich. Träge heißt aber nicht unattraktiv, wie dies in der aktuellen konjunkturellen Gemengelage sichtbar wird.

Bislang erleben wir die Ausläufer einer sehr auf Risikomeidung bedachten Investitionspolitik – mit der Konsequenz, dass sich die Dynamik von Umsätzen, Mietpreisen und Refurbishments vor allem in den deutlich zu Tage tretenden Knappheitsbedingungen niederschlägt. Wachstum durch Angebotsausweitung ist es definitiv nicht, was sich dieser Tage an den Standorten – anders als in früheren Marktzyklen – beobachten lässt. Lektion gelernt, so mag es auf den ersten Blick scheinen. Aber: Wo gibt es noch diese Core-Objekte an den deutschen Top-7-Standorten?

Leerstandsobjekte aus den späten 80ern des letzten Jahrtausends werden von etlichen Investoren als Repositionierungschance bislang offensichtlich ausgeblendet. Denn dies riecht zu sehr nach Projektentwicklung – impliziert also ein hohes, nur schwer kalkulierbares Risiko. Eine Erweiterung des risikoadjustierten Investitionsverhaltens um Projektentwicklungen, die letztlich Refurbishments darstellen, inklusive eines stringenten Asset Management-Ansatzes ist unseres Erachtens aber eine sinnvolle Strategie, um ein neues hohes Preisniveau nicht zuzulassen, welches sich klassischerweise in einer verminderten Attraktivität des Immobilienstandortes Deutschland ausdrücken könnte.

Gespür für Rendite-Risiko-Relation ist zurück

Die überbordenden beziehungsweise ausufernden Aktivitäten der Jahre 2005 bis 2007 haben auch hier in Deutschland tiefe Spuren bei den Investoren hinterlassen. Doch für das laufende Jahr erwarten wir einen deutlichen Bedeutungszuwachs einer Anlagestrategie, die sich plakativ mit „Value-add“ umschreiben lässt. Das Gespür für eine professionelle Relation von Rendite und Risiko ist zurück. Maßgeblichen Anteil daran schreiben wir nicht nur der verbesserten Transparenzsituation und der fortgeschrittenen Markterholung zu; vor allem gerät bei den Marktbeteiligten die DNA einer Immobilieninvestition wieder in den Fokus: Wertstabilität in der Langfristbetrachtung.

Wer jetzt Analogien zur politisch gewollten Systemstabilitätsverpflichtung an den Finanzmärkten sieht, liegt genau richtig. Das System Immobilienmarkt Deutschland ist im internationalen Vergleich als Hort der Stabilität gebrandet. Es definiert sich aktuell als die Idealkombination aus Dynamik – neue Impulse kommen aus den Refurbishmentaktivitäten an den zentralen Standorten – und der Trägheit seiner Reaktionsgeschwindigkeit; Überzeichnungen ausgeschlossen. Kritiker mögen anmerken, dass die Bedingungen zur Wertsicherung mit Immobilien noch nie so langweilig waren in diesem Land. Genau das ist die Antwort auf die „wilden Jahre“ der letzten Dekade, antworten die Analysten und Strategen. Zumal sich die ökonomisch-politisch-gesellschaftliche Gemengelage auch unserer Auffassung nach in den kommenden Jahren strukturell nicht ändern wird. Taktische Momente wie Basel III, Solvency II oder Wutbürger I sind hierbei bereits berücksichtigt. Wenn beispielweise München bereits zum dritten Mal in Folge in unserem 74 Standorte umfassenden Ranking als Sieger hervorgeht, mag das exakt der Sichtweise des Marktes entsprechen.

Langweilig? Nur für den der darin keine Chancen sieht.

Der Autor Dr. Thomas Beyerle leitet den Bereich “Corporate Social Responsibility & Research” im Managementteam der Bonner Immobilien-AG IVG.


 

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