Wie viel Stabilität verträgt die Eurozone noch?

Die Halver-Kolumne: Wir schätzen zu Recht Stabilität. Leider hat die völlig unzulängliche Krisenbewältigungspolitik den Karren so sehr in den Dreck gefahren, dass die Eurozone damit nicht mehr zu retten ist.

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Stabile Staatshaushalte und eine strikt der Preisstabilität verpflichtete Geldpolitik gehören bereits zur standardmäßigen Grundausstattung eines jeden Neugeborenen in Deutschland. Für mich war insbesondere die stabile Geldpolitik der Deutschen Bundesbank der eigentliche Exportschlager der Bundesrepublik.

Angesichts der real existierenden Krise in Euroland kann ich alle sofort gut verstehen, die sich eine Rückkehr zu dieser Stabilität wünschen. Leider hat man jedoch durch eine seit mindestens zweieinhalb Jahren völlig unzulängliche Krisenbewältigungspolitik in der Eurozone den Karren so sehr in den Dreck gefahren, dass genau diese Politik nicht mehr möglich ist, wenn man die Eurozone erhalten will.

Stabilität als Lebenslüge der Eurozone

Ausgeglichene Staatshaushalte sind die Lebenslüge der Euro-Fiskalpolitik. Die Schuldenstände der angeschlagenen Euro-Länder werden gerade im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld selbstverständlich zunehmen. Oder glauben Sie, dass ein Politiker mit strikten Spar- und Reformmaßnahmen und somit noch mehr Perspektivlosigkeit seine Wiederwahl gefährden wird? Sollte dabei die nationale Neuverschuldungsoase ausgetrocknet sein – was für immer mehr Euro-Länder gilt – kommt die euroländisch-solidarische Bewässerung ins Spiel. Selbst unsere eiserne Stabilitäts-Kanzlerin Merkel hat sich zuletzt „italienischer“ gegeben.

Sollte mit Spanien auch ein großes Euro-Land großen Durst zeigen – und wer zweifelt daran – wird es eng unter dem Rettungsschirm. Anschließend wird Ruck Zuck noch mehr euro-familien-sozialistische Schuldenunion betrieben. Dann gilt für Deutschland die Abwandlung eines Zitats des englischen Fußballers Gary Lineker: Die Eurozone ist ein einfaches Spiel: 16 Länder machen, was sie wollen und am Ende zahlen vor allem die Deutschen. Die Renaissance von Stabilität wird uns also von dieser Seite sicher nicht „drohen“.

Und die EZB als der geistig-moralische Nachfolger der Deutschen Bundesbank? Wird sie zu einer geordneten Geldpolitik à la Bundesbank zurückkehren? Ja klar und die Erde ist eine Scheibe. Käme sie tatsächlich auf diese Idee, wäre die Eurozone vermutlich in zwei Wochen mausetot. Das wissen übrigens auch die Stabilitätsheuchler, die im Moment mit lautem Mediengetöse nach neuer geldpolitischer Sachlichkeit rufen. Als vermeintlich stabilitätspolitische Fahnenträger geht es ihnen wohl eher um die Sicherung ihrer längst nicht mehr sicheren Wahlkreise im Jahr 2013.

Ohne EZB läuft in der Eurozone nur noch die Nase

Grundsätzlich wird jede Aktion zur Stützung der Euro-Familie und ihrer Mitglieder direkt oder indirekt den Stempel „Sponsored by EZB“ tragen. Wer sonst hat die Allmacht, die Renditen der Staatsanleihen von Spanien & Co. zu drücken. Wir werden noch Maßnahmen von der EZB erleben, bei denen früher jeder Bundesbanker sofort das Sauerstoffzelt aufgesucht hätte. Können wir zukünftig wirklich die direkte Staatsfinanzierung über die Notenpresse ausschließen?

Denjenigen, die meinen, dass dies juristisch nicht möglich ist, sei gesagt, dass es auch rechtlich nicht möglich war, die eisernen Stabilitätsgrundsätze wie das Verbot von Transferleistungen zu brechen. Wir wissen doch, wie es läuft: Instabile Maßnahmen werden als alternativlos erklärt und dann wird das Recht von den euroländischen Strippenziehern konsequent in die gewünschte Richtung gebeugt.

Ja, Stabilitätspolitik ist wie die Jugendzeit. Sie ist schön, aber sie kommt nicht mehr zurück. Es mag nur ein schwacher Trost sein, dass auch außereuroländisch – in Japan, Großbritannien, den USA, in der Schweiz und sogar in China – längst der feine Stabilitäts-Sonntagsanzug ausgezogen wurde. Aber zumindest sind wir nicht die alleinigen stabilitätspolitischen Schmuddelkinder. Nur noch Länder mit Rohstoffvorkommen und damit einer gedeckten Währung wie Kanada können sich noch Reste einer Stabilitätspolitik der deutschen Machart erlauben.

Wenn die EZB Geld druckt, muss man Sachkapital haben

Die Eurozone verträgt keine Stabilität mehr. Grämen wir uns nicht, machen wir das Beste daraus. Wenn wir auch den mehr und mehr staatskapitalistischen Makrokosmos nicht verändern können, in unserem Mikrokosmos – sprich in unserer Anlagestrategie – können wir uns bestens darauf einstellen. Was heißt das nun für die Anlagestrategie? Vielleicht erleben unsere Enkel noch einmal steigende Zinsen. Sie müssen unten bleiben, damit auch unsere Staatsschulden mit Unterstützung eines geldpolitischen Inflationsdruck beherrschbar sind. Allerdings kann ich dann Staatspapiere nicht mehr als Altersvorsorge, sondern eher als Altersentsorge betrachten. Das sollten wir Deutsche bedenken, ein Volk, das gerne bis zu 80 Prozent in Zinspapieren „anspart“.

Die Alternative ist und bleibt Sachkapital. Wir wollen nicht vergessen, dass geldpolitische Sintfluten historisch betrachtet gut für Aktien als verbriefte Form des Sachkapitals waren. So ist auch die Stabilisierung der Eurozone durch die EZB im Augenblick eine Stabilisierung des Dax und seiner Aktien. Wenn es Brei regnet, muss man eben immer einen Löffel dabei haben. Hier mag man einwenden, dass aber selbst Aktien bei einem möglichen Euro-Kollaps dramatisch an Wert verlieren werden. Immerhin spricht ja die wahre, finnische Regierung – die nicht für emotionale Schnellschüsse aus der Hüfte bekannt ist – offen davon, dass der Zusammenbruch der Eurozone nur noch ein Frage der Zeit ist.

Wer nur auf Zinsvermögen setzt, ist ein Spekulant

Spielen wir dieses theoretische Worst-Case-Szenario doch einmal durch. Natürlich werden in diesem Fall auch die besten Aktien dramatisch einbrechen. Aber selbst wenn Aktien auf einen Cent einbrechen sollten, verbriefen sie immer noch den gleichen Anteil am Gesamtunternehmen. Relativ verliert man also nichts. Außerdem würden Aktien bei einer wirtschaftlichen Wiedergenesung der Wirtschaft – als Beispiel die Zeit nach der Währungsreform 1948 – als Anlageform auch wieder auferstehen. Und Zinsvermögen? Es war weg und kam nie wieder. Eigentlich dürfte man bei seiner Anlagestrategie diese Geldentwertung als deutsches Nationaltrauma nie vergessen haben.

Die Welt ist heute nicht mehr stabil. Wenn man heutzutage noch einseitig sein Vertrauen auf vermeintlich stabile Staatspapiere und Festgeld statt auf Sachkapital setzt, ist man ein Spekulant. Und das entspricht nun wirklich nicht der deutschen Mentalität.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.


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Foto: Baader Bank

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