Die Halver-Kolumne: I know what you did last summer

Wie viele andere gehe auch ich bald in Sommerurlaub. Es ist die Zeit von George Gershwin: „Summertime and the living is easy“. Einfach die Seele baumeln lassen, sich entspannen, abschalten. In dieser Urlaubszeit läuft ja auch der politische und finanzwirtschaftliche Theaterbetrieb eigentlich auf Sparflamme.

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2011 füllte die Politik das Sommerloch

Eigentlich! Zumindest 2011 hat sich diese Sommerregel nicht bestätigt. Statt entspannter Sommermusik war lautes, unharmonisches Rumtata angesagt. Letztes Jahr wurde das Sommerloch durch die Geburt der politischen Euro-Krise gefüllt. Zum Geburtshelfer avancierte dabei die euroländische Polit-Elite, die auf die unübersehbaren Schuldenprobleme Eurolands ähnlich reagierte, wie der nicht akzeptierte, sondern nur geduldete Schwiegersohn auf den Überraschungsbesuch der Schwiegermutter: Unbeholfen, unsicher, mutlos, hoffnungslos.

Und auch die USA, die selbst größte Probleme regelmäßig im Pioniergeist eines kühnen John Wayne oder hemdsärmeligen Ronald Reagan lösen, leisteten sich einen unbedachten Durchhänger. Mit einer politischen Schlammschlacht – die von Hollywood nicht hätte besser inszeniert werden können – zwischen Demokraten und Republikanern um die Erhöhung der Schuldengrenze, spielte die amerikanische Politik russisches Roulette mit dem Vertrauen in US-Staatsanleihen.

Diese politischen Hahnenkämpfe links und rechts vom Atlantik werden viele Anleger nicht vergessen. Sie werden ihre Sommerferien 2011 immer mit kräftig gestutzten Vermögenspositionen in Verbindung bringen. Im Urlaub wurde auch ich durch Zeitungen, Fernsehnachrichten und E-Mails via Blackberry – der Kapitalmarktanalyst lässt das Mausen nicht – von den Darbietungen auf der Polit-Showbühne immer wieder aufs Höchste entzückt.

2012 soll die Finanzwelt ihre Sorgen für sich behalten

Und was ist im Sommerurlaub 2012 zu befürchten? Zumindest die Amerikaner haben aus ihren politischen Irrfahrten des letzten Jahres gelernt, dass man selbst im Wahljahr 2012 an den wichtigen Stellen zusammenhalten muss und von eigenen Sorgen ablenkend mit ausgestrecktem Zeigefinger auf andere zeigen sollte. Andere, d.h. Euroland, das sich auch jetzt wieder durch die Zurschaustellung einer, wenn auch perfekten Durchwurschtel-Kultur als Angriffsziel geradezu aufdrängt.

Urlaubs-Alarm ist also durchaus angebracht. Sollte ich also präventiv die Familienpackung Valium mit in den Urlaub nehmen oder das Handy direkt bei Ankunft am Urlaubsort im Meer ersäufen, einen Kabelbrand im Fernsehgerät auf dem Hotelzimmer auslösen, damit es mir technisch unmöglich ist, negative Nachrichten überhaupt sehen zu können oder eine dunkle Brille der Marke „Scheuklappe“ aufziehen, damit ich hässliche Überschriften von Zeitungen erst gar nicht erhaschen kann? Eigentlich müsste ich mich auch mit den lieben Daheimgebliebenen so verkrachen, damit ich ein Alibi habe, sie nicht aus dem Urlaub anrufen zu müssen. Sie könnten mir in einem unbedachten Moment von den Problemen der Spanier oder Italiener berichten.

Das Verfassungsgericht als Urlaubsretter?

Aber Moment mal: Ist nicht das entscheidende Charakteristikum der Krise in Euroland der enorme Zeitdruck gewesen, unter dem man bei der Lösungsfindung stand. Und genau diesem Zeitdruck will sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über Wohl und Wehe von Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt nicht beugen. Also besteht die Hoffnung, dass es so schnell keine Entscheidung und damit auch keine eventuell unkontrollierbaren Überraschungen an den Finanzmärkten gibt. Ohnehin hat der alte Rettungsschirm ja auch noch etwas Munition, die er verschießen kann.

Ich bin den Karlsruher Richtern sehr dankbar und zwar zweifach. Erstens wollen sie auf Grundlage einer sauberen Analyse aller relevanten Faktoren entscheiden und keine Schnellschüsse wagen. Da freut sich mein Analystenherz. Und zweitens – noch wichtiger – schenken mir die Richter einen Zeitgewinn. Und den nutze ich für Urlaub.

Summertime 2012 and the living is easy again. Also Kraft tanken, denn spätestens der Herbst dürfte wieder heiß werden. Dann kommt sie wieder, die Krisenzeit à la Roland Kaiser: „Ich glaub‘ es geht schon wieder los, das darf doch wohl nicht wahr sein…“

Soll das Sommerloch dieses Jahr doch durch andere Schauspiele oder Schauspieler gefüllt werden. Bello Berlusconi will zurück an Italiens Spitze. Wie bitte? Ich muss ganz schnell weg…

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.


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Foto: Baader Bank

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