GAM: Wer hat Angst vor russischen Aktien?

Eine Investition in russische Aktien war noch nie etwas für schwache Nerven. Diese Ansicht vertritt Erdinç Benli, Co-Leiter des Teams für globale Schwellenländeraktien bei GAM. Dennoch sieht er für 2016 in bestimmten Sektoren gute Ertragschancen.

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„Die meisten Investoren ergriffen zuletzt im vergangenen Jahr die Flucht und verkauften ihre russischen Aktien noch vor dem Jahresende 2014 – mitunter zu jedem Preis“, so Benli. Nach der Rubelabwertung und den starken Abverkäufen fiel der russische Markt auf US-Dollar-Basis vor gut einem Jahr auf einen historischen Tiefstand. Der Ukrainekonflikt und die damit einhergehenden Sanktionen des Westens gegen Russland, der niedrige Ölpreis und die Angst vor Kapitalkontrollen hätten zu dieser Entwicklung geführt. Um den drastisch sinkenden Rubel-Kurs zu stützen, erhöhte die russische Zentralbank die Zinsen, wodurch das Kreditwachstum und die Konjunktur gebremst wurden.

Russische Aktien bieten attraktive Aussichten für 2016

„Jedoch verpassten all jene Anleger, die ihre russischen Aktien vor einem Jahr verkauften, eine der größten Rallys der wichtigsten Aktienmärkte in diesem Jahr“, sagt der GAM-Experte. Wie der jüngste Rückgang der Ölpreise nach der letzten OPEC-Sitzung verdeutlichte, bestehen nach wie vor Risiken, die nach Benli auch ernst genommen werden sollten. Der Öl- und Gassektor hat am russischen Aktienmarkt ein Gewicht von rund 60 Prozent und liefert knapp die Hälfte der Staatseinnahmen. Zudem befindet sich die russische Wirtschaft in einer Rezession und wird 2015 voraussichtlich um 3,8 Prozent schrumpfen.

Dennoch ist Benli überzeugt: „Allen Investoren mit starken Nerven, die wirtschaftliche Risiken und politische Unsicherheiten verkraften, bieten russische Aktien 2016 attraktive Chancen.“ Denn die Zentralbank wird ihren Leitzins Prognosen zufolge von derzeit elf Prozent im Verlauf des nächsten Jahres um mehr als 300 Basispunkte senken. Diese Maßnahme dürfte die beginnende Konjunkturerholung stützen und auf Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes und Auftragseingänge im Fertigungssektor hindeuten. „Die Umsätze im Einzelhandel sind weiterhin sehr schwach und leiden unter den geringeren Reallöhnen, doch die Inflation scheint im März 2015 einen Höchststand erreicht zu haben und dürfte weiter sinken“, so Benli.

Finanzunternehmen profitieren besonders

Die sinkenden Zinsen und die wirtschaftliche Erholung könnten vor allem Finanzunternehmen zugutekommen, darunter Sberbank, Russlands größtes Kreditinstitut. Auch der Blick auf einige Öl- und Gasunternehmen lohnt sich laut Benli. Ein Beispiel: Surgutneftegas und Bashneft schnitten in diesem Jahr sogar besser ab als europäische Aktien – trotz der sinkenden Ölpreise. Als exportorientierte Unternehmen verbuchen sie den Großteil ihrer Kosten in Rubel, während ihre Umsätze in Dollar anfallen, sodass sie von der Rubel-Schwäche profitieren. Dank ihrer soliden Bilanzen bieten diese Unternehmen zudem eine attraktive Dividendenrendite von sieben bis zehn Prozent. Auch Düngemittelhersteller wie PhosAgro oder Akron verzeichnen ein zweistelliges Gewinnwachstum und weisen eine Dividendenrendite von sechs bis sieben auf.

Lebensmittelsektor als Renditemotor

Ein noch höheres Gewinnwachstum von 35 Prozent bei attraktiven Bewertungen lässt sich im Lebensmitteleinzelhandel ausmachen. In der gesamten Volkswirtschaft haben sich die Unternehmen in diesem Jahr auf die operative Effizienz konzentriert, um ihre Margen und Erträge zu steigern. Wenn die Konjunktur sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten erholt und die Umsätze anziehen, sollte sich der höhere Operating Leverage unmittelbar auf die Gewinne auswirken und auch die Aktienkurse stützen. Gegenwärtig sind Erwartungen für russische Aktien größtenteils sehr niedrig. Die meisten Investoren warten nach wie vor auf eine breite Markterholung. Ein möglicher Auslöser hierfür wäre die Aufhebung der Sanktionen durch die USA und die EU.

Sollten die Ölpreise im Jahr 2016 in Richtung der Konsensschätzung von 56 US-Dollar steigen, würden sich die Kurse russischer Aktien kräftig erholen und könnten sogar die meisten anderen Schwellenmärkte übertreffen. Bis diese Entwicklung einsetzt, können sich mutige Anleger mit den derzeit niedrigen Bewertungen trösten: Selbst auf sektorbereinigter Basis werden russische Aktien mit einem Abschlag von rund 20 Prozent gegenüber anderen Schwellenmärkten gehandelt, und das bei einem erwarteten Gewinnwachstum von sieben Prozent im Jahr 2016 und einer Dividendenrendite von über fünf Prozent. 2016 könnte also durchaus ein weiteres gutes Jahr werden. (fm)

Foto: Shutterstock

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