Der Brexit schadet auch der osteuropäischen Wirtschaft

Nach der Brexit-Entscheidung haben viele Investoren über die Auswirkungen auf die großen Industrienationen diskutiert. Ein wichtiger Punkt wurde übersehen.

Der Brexit schadet auch der osteuropäischen Wirtschaft.
Der Brexit schadet auch der osteuropäischen Wirtschaft.

Weniger Aufmerksamkeit wurde bisher dem möglichen Einfluss des Brexit auf die Ökonomien in Mittel- und Osteuropa  (MOE) geschenkt, stellt Arif Husain, Head International Fixed Income bei T. Rowe Price, fest. Dabei könnten die Konsequenzen des Brexit auch hier in Zukunft deutlich spürbar werden.

„Die Verbindung der Volkswirtschaften in  Mittel- und Osteuropa mit Großbritannien ergibt sich aus drei Hauptkomponenten: Erstens, die Geldtransfers von Bürgern der MOE-Staaten, die in Großbritannien leben und arbeiten, in ihre jeweiligen Heimatländer. Zweitens, der Export von MOE-Ländern nach Großbritannien und schließlich der britische Beitrag zu den Strukturfonds der EU, aus denen Fördermittel nach Mittel- und Osteuropa gehen“, erklärt Husain.

Einfluss auf Zahlungsströme noch nicht zu beziffern

Wie sich das Volumen der Geldtransfers von MOE-Bürgern in die Heimat entwickeln werde, zeige sich erst, wenn die EU und Großbritannien ein Handelsabkommen abschließen. Dieses müsse auch die Frage nach der Arbeitnehmerfreizügigkeit regeln. Insgesamt jedoch scheint der Einfluss hier eher gering zu sein, da die Geldtransfers mittel- und osteuropäischer Arbeitnehmer von Großbritannien in ihre Heimatstaaten nur einen kleinen Anteil des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts dieser Länder ausmachen“, so Husain.

Die Auswirkungen auf den Handel zwischen Großbritannien sowie Mittel- und Osteuropa hängen dem Experten zufolge ebenfalls maßgeblich vom Handelsabkommen und seinen noch zu definierenden Inhalten ab. „Es ist schwierig zu prognostizieren, wie stark sich der Gesamthandel reduzieren wird, solange noch keine Vereinbarung existiert. Grundsätzlich dürfte Tschechien, dessen Export nach Großbritannien rund 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts  ausmacht, am stärksten betroffen sein, gefolgt von Ungarn mit einem Anteil von 2,9 und Polen mit 2,7 Prozent.“

EU-Etat wird deutlich fallen

Die Konsequenzen des Brexit für die Strukturfonds der Europäischen Union und die Fördermittel, die an mittel- und osteuropäische Staaten gehen, zeichnen sich laut Husain heute bereits klarer ab. „Großbritannien ist der drittgrößte Nettobeitragszahler der EU, verantwortlich für über zwölf Prozent des Gesamthaushalts. Sobald Großbritannien nicht mehr einzahlt, fällt der EU-Etat von 135 auf 117,5 Milliarden Euro“, erläutert Arif Husain. Dies wiederum würde erhebliche Auswirkungen auf eine Vielzahl von MOE-Staaten haben, die zurzeit stark von der EU-Förderung für ihre Infrastruktur profitierten. So gingen beispielsweise die Fördermittel der EU für Polen voraussichtlich um 13 Prozent zurück. Der Anteil der Fördergelder am Bruttoinlandsprodukt würde demnach von 3,5 Prozent auf 3,1 Prozent sinken.

„In der Summe  –  und vor dem Hintergrund möglicher durch den Brexit mitverursachter Exportrückgänge – wird klar, dass der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einen signifikanten Einfluss auf das Wachstum in Polen, Ungarn, Tschechien und Litauen hat. Ein Rückgang des potenziellen Wachstums wiederum kann zur fiskalischen Expansion, zu geringeren Zinssätzen und Währungsabwertungen führen, da die Regierungen dieser Länder versuchen könnten, ihre Volkswirtschaften ins Gleichgewicht zu bringen, um die Exportverluste auszugleichen“, sagt Husain.

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Schwächere Währungskurse wiederum würden Anleihen in Lokalwährungen aus diesen Staaten für Investments attraktiver machen. „In anderen Worten ausgedrückt: Investoren können heute attraktive Erträge erzielen – mit zusätzlichem Potenzial für Kapitalgewinne, wenn die Renditen in der Zukunft fallen.“ Wenn Währungen angemessen abgesichert würden, können Anleihen aus Ländern wie Polen, Ungarn, Rumänien und Serbien, langfristig starke Gewinnmöglichkeiten bieten. (tr)

Foto: Shutterstock

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