EZB-Entscheidung: Zwischen Verzweiflung und Sinnhaftigkeit

Salman Ahmed, Chief Global Strategist bei Lombard Odier Investment Managers, versucht ebenfalls die einzelnen Puzzleteile der gestrigen Entscheidung zu einem Gesamtbild zu formen: „Mario Draghi deutet an, dass dies die letzte Zinssenkung sein könnte, so lange sich die Situation nicht ändert. Und er erklärte, dass dies der Grund hinter der Entscheidung war, kein gestaffeltes System einzuführen. Wenn wir alle diese Mosaiksteinchen zusammensetzen, denken wir, dass sich damit der Schwerpunkt der Transmissionskanäle der Lockerung von der Währung zum Kreditbereich verlagert.Dies spiegelt sich in der aggressiveren Vorgehensweise bezüglich des QE/Kredit-Programms und ihren technischen Parametern wider. Obwohl sich die risikoreicheren Assetmärkte davon enttäuscht zeigten, dass Mario Draghi von weiteren Zinssenkungsversprechungen Abstand nahm, bleibt die Tatsache, dass wir jetzt mehr Liquidität im System haben und das zu einem günstigeren Preis. In der Tat wird die EZB jetzt über TLTRO Geld zu negativen Zinsen an Banken verleihen. Wir gehen davon aus, dass sich die Entwicklung der Währung einerseits und von Risikoassets andererseits von nun an wohl entkoppeln wird – mit mehr Spielraum für eine Rallye bei Aktien und Unternehmensanleihen als für eine nachhaltige Abwertung des Euro.“

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„Verzweifelte Suche nach Stimulanz der Märkte“

Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), seit jeher ein entschiedener Gegner der EZB-Politik, wirft der Draghi eine verzweifelte Suche nach Stimulanz der Märkte vor, die eigentlich unnötig sei: „Die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) werden für immer mehr Menschen in der Euro-Zone zu einer Belastung. Neben Sparern und Kreditwirtschaft seien insbesondere auch Stiftungen, Versicherer, Versorgungssysteme, Sozialversicherungen und Krankenkassen betroffen. Dabei spiele die Absenkung des Leitzinses auf nunmehr Null keine große Rolle mehr. „Das Absenken um die letzten fünf Basispunkte hat eher symbolische Bedeutung“, so Fahrenschon.

Die Absenkung der Einlagefazilität auf nunmehr minus 0,4 Prozent sei der eigentlich entscheidende Punkt. Dadurch werde die Kreditvergabe nicht weiter angeregt. Am Geldmarkt und bei den kurz laufenden Staatsanleihen schlage die Vorgabe aber durch. „Die Negativzinswelt dehnt sich damit weiter problematisch aus. Alle Anleger, die auf sichere Anlagen angewiesen sind, werden in eine Fehlsteuerung getrieben.“ Die Beschleunigung der Anleihekäufe unter dem Quantitative Easing erhöhe zudem die Dosis des Gifts. Die Notenbanken würden zu den größten Gläubigern ihrer Staaten, das ankaufbare Material werde immer knapper. „Die Maßnahmen sind Ausdruck einer verzweifelten Suche der EZB nach immer mehr Stimulanz für die Märkte. Dabei sind diese gar nicht mehr nötig. Besser wäre gewesen, erst die Wirkung der ohnehin schon expansiven Schritte vom Dezember abzuwarten.“ (fm)

Foto: Arne Dedert/dpa

 

 

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