„Falken im Rat der EZB auf dem Vormarsch“

Die EZB hat auf ihrer heutigen Ratssitzung beschlossen, den Leitzins bei null Prozent zu belassen und das Anleihekaufprogramm bis Ende Dezember 2017 zu verlängern. So urteilt die Branche über die überraschende Ankündigung

EZB-Zentrale in Frankfurt
EZB-Zentrale in Frankfurt

Ulrike Kastens, Stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft bei Sal. Oppenheim: „Wieder einmal überrascht die Europäische Zentralbank. Die monatliche Reduktion des Ankaufvolumens war so nicht erwartet. Doch insgesamt wird sie nochmals expansiver, denn das Programm wird bis Dezember 2017 laufen und ein zusätzliches Ankaufvolumen von 540 Milliarden Euro haben, also größer sein als gedacht. Dies sollte vor allem auch Peripherie-Staaten Sicherheit geben. Der moderate Konjunkturausblick und vor allem die erneute deutliche Verfehlung des Inflationsziels – selbst 2019 wird nur eine Inflationsrate von 1,7 Prozent erwartet – sprechen dafür, dass die EZB weiterhin sehr expansiv bleiben wird. Die Diskussion um einen Ausstieg aus dem Ankaufprogramm hat zwar begonnen und wird 2017 an Intensität gewinnen, vor dem Hintergrund dieser Projektionen ist dies aber unserer Meinung verfrüht.“

Wolfgang Kuhn, Head of Pan European Fixed Income bei Aberdeen Asset Management: „Die Falken im Rat der Europäischen Zentralbank scheinen auf dem Vormarsch: Nicht nur wird der Umfang des Staatsanleihekaufprogramms – obwohl zwar über März 2017 hinaus verlängert – ab März von 80 auf 60 Milliarden Euro heruntergefahren. Auch eine Veränderung des Ankaufschlüssels zugunsten der Schuldeninstrumente höher verschuldeter Euroländer scheint abgewendet. Stattdessen hat man sich dazu durchringen können, Bundesanleihen bei Renditen unterhalb des Einlagenzinssatzes zu kaufen.

Man sollte aber noch nicht die Luft anhalten: Von einer Zinswende zu sprechen, wäre verfrüht. EZB-Präsident Draghi ließ sich auch in der Pressekonferenz ausreichend Raum, um seiner Weichwährungspolitik bis zum Ende seiner Präsidentschaft treu bleiben zu können. Deflationsgefahren sieht man zwar nun plötzlich keine mehr. Das Inflationsziel sei aber auch weiterhin außer Reichweite – eine für 2019 erwartete Inflationsrate von 1,7 Prozent sei nun mal nicht „nahe bei“ zwei Prozent, dem gegenwärtigen selbstgewählten Inflationsziel der EZB. Die beschlossene Rückführung des Quantitative Easing-Programms („Tapering“) sei auch gar nicht als solche zu verstehen, die EZB bleibe „im Markt“ präsent.“

Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft: „Das Anleihekaufprogramm wurde wie erwartet verlängert, allerdings nicht um sechs, sondern um neun Monate. Es wird jetzt bis Ende 2017 laufen. Im Gegenzug wird die EZB die Höhe der Käufe von April an um 20 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro  reduzieren. Auch wenn die EZB die Verringerung mit dem Versprechen verknüpft hat, die Ankäufe bei Bedarf wieder auszuweiten, kann dies als ein erstes Signal für das Ende der ultra-lockeren Geldpolitik gewertet werden. In einer ersten Reaktion auf den ‚Einstieg in den Ausstieg‘ ist die Rendite der 10-jährigen Bundesanliehe um ganze 10 Basispunkte auf 0,44 Prozent gestiegen – ein sicheres Indiz dafür, wie stark renditemindernd die Käufe wirken.“

Seite zwei: Pessimismus bei europäischen Staatsanleihen

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