„Rückbau der unkonventionellen Maßnahmen ohne Eile“

EZB-Chef Mario Draghi hält zunächst am lockeren geldpolitischen Kurs fest und hat auch bei der Sitzung der EZB in Estlands Hauptstadt Tallinn nicht an der Zinsschraube gedreht. Wie die Akteure an den Finanzmärkten die Situation bewerten.

Mario Draghi unternimmt einen letzten Anlauf, die Ziele der EZB doch noch zu erreichen.
Mario Draghi hält an seinem bisherigen geldpolitischen Kurs fest.

Wolfgang Kuhn, Head of Pan European Fixed Income bei Aberdeen Asset Management: Wer hätte etwas Anderes erwarten können? Von einem Anziehen der geldpolitischen Zügel kann keine Rede sein, nicht mal die Wortwahl wurde nennenswert verändert: Lediglich Zinssenkungen kann man sich wohl nicht mehr vorstellen. Dass Hauspreise in der ganzen Eurozone kräftig anziehen, wie im jüngsten EZB-Bericht zur Finanzstabilität beschrieben, scheint für das Preisstabilitätsmandat der EZB keine Relevanz zu besitzen: Solange die Teuerungsraten für Socken und Wasserkocher nicht deutlich über zwei Prozent liegen, sind die währungspolitischen Tauben des EZB-Rates nicht zufrieden. Man müsse Geduld haben, sagt Zinssenkungspräsident Draghi, die Löhne müssten erstmal steigen.

„Durch Phantasie-Geldpolitik stabilisierte Wirtschaft der Eurozone“

Auch mit dem Rückbau der unkonventionellen Maßnahmen lässt man keine Eile zu. Eben weil niemand weiß, wie die auf Niedrigzinsen und fehlende Risikoaufschläge konditionierten Schuldner der Eurozone – ob staatlich oder privat – mit einer strafferen Geldpolitik klarkommen sollen, ohne dass die durch Phantasie-Geldpolitik stabilisierte Wirtschaft der Eurozone abermals stolpert. Die (rechtlich höchst zweifelhaften) Maßnahmen mögen während der Eurokrise ihre Berechtigung gehabt haben. Fünf Jahre danach befeuern sie einfach nur noch den spekulativen Überschwang. Blasenplatzen vorprogrammiert. Gut für Anleiheninvestoren: Bis zur Septembersitzung und wahrscheinlich darüber hinaus müssen sie sich über steigende Renditen und fallende Kurse keine Sorgen machen.

Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes: Die EZB hat heute ein allererstes, vorsichtiges Zeichen gesetzt, dass sie die Geldschleusen nicht weiter öffnen will. Das war überfällig. Denn die wirtschaftlichen Rahmendaten rechtfertigen keine weitere Ausweitung der Geldpolitik. Entscheidend ist aber, dass die expansive Geldpolitik so bald wie möglich zurückgefahren wird, und zwar schrittweise und in kleinen Etappen. Von einigermaßen normalen Zeiten sind wir noch sehr weit entfernt.

Daniel Hartmann, Senior Analyst Economic Research des Asset Managers Bantleon: Die EZB sieht erstmals seit sieben Jahren kein Übergewicht mehr bei den konjunkturellen Abwärtsrisiken. Entsprechend hält sie es nunmehr für unwahrscheinlich, dass die Leitzinsen nochmals gesenkt werden. Dies sind klare Hinweise für den näher rückenden Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik. Zugleich hat die Notenbank aber die Inflationsprognosen für die kommenden Jahre erkennbar gesenkt. Für Eile beim Exit besteht daher kein Grund. Dies hat auch Mario Draghi mehrfach unterstrichen. Die Anleihenkäufe werden daher vorerst im aktuellen Tempo fortgeführt. Wir gehen davon aus, dass die Inflationsrisiken 2018 zunehmen werden. Die EZB wird daher die Anleihenkäufe im Laufe des kommenden Jahres auf null zurückführen und den Leitzins Ende 2018 anheben.

Ulrike Kastens, stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft bei Sal. Oppenheim: Mario Draghi hat heute klar gemacht, dass ein schneller Ausstieg aus der geldpolitischen Expansion nicht zu erwarten ist: Die EZB bewegt sich nur in kleinen Schritten in Richtung Ausgang. Dabei hat sie einen Kompromiss gefunden: Angesichts nicht mehr vorhandener Deflationsgefahren ist die Versicherungsprämie notfalls die Leitzinsen noch weiter zu senken weggefallen. Doch sie behält den Passus, notfalls das QE-Programm nach Umfang und Dauer auszudehnen, bei. Die Inflationsentwicklung ist alles andere als zufriedenstellend. Dies betrifft vor allem den unterliegenden Preistrend, was auch an der Lohnentwicklung und den unterausgelasteten Kapazitäten liegt. Im September steht die Entscheidung über die erneute Reduktion der Anleihekäufe an. Ein konkretes Ende der Ankäufe ist aber nicht in Sicht.

Foto: Shutterstock

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