„Wir brauchen einen europäischen Finanzminister“

Muss das System Europäische Union nicht dennoch grundlegend überarbeitet werden?

Absolut. Ich will damit nicht bestreiten, dass wir stringente Regeln brauchen, ganz im Gegenteil. Wir brauchen stringente Regeln, aber wir brauchen keine politische Union. Das heißt nicht, dass wir den Nationalstaaten oder den Regionen ihre Souveränität nehmen müssen. Die entscheidende Frage ist, wie wir die Architektur Europas verbessern und so gestalten können, dass so viel Souveränität wie möglich auf nationaler Ebene verbleibt. Hier sehe ich verschiedene Bereiche. Einer ist ganz klar die Banken- und Kapitalmarktunion. Die erstgenannte ist bereits weit fortgeschritten, insbesondere die gemeinsame Aufsicht großer Banken.

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Darüber hinaus ist in den kommenden Jahren die Kapitalmarktunion für mich von absolut entscheidender Bedeutung. Dazu zählt, dass auch ein deutsches Unternehmen zum Beispiel in Italien oder Spanien investieren kann oder, dass auch Kredite über Staatsgrenzen hinweg vergeben werden können. Das ist das erste Element der Finanzarchitektur. Wichtig ist zudem die Fiskalunion. Das heißt nicht, dass Souveränität abgegeben werden muss. Die Frage ist vielmehr, wie sie sich praktisch umsetzen lässt. Das ist derzeit das größte Problem. Denn wenn sich nur ein Land querstellt, ist der gesamte Mechanismus blockiert. Deshalb plädiere ich für die Installierung eines europäischen Finanzministers. Das ist natürlich nicht ein Finanzminister, der den deutschen Finanzminister ersetzt. Vielmehr könnte es eine europäische Institution sein, die als europäische Autorität Durchgriffsrechte hat, um einzelne Länder zur Einhaltung der gemeinsamen Regeln zu zwingen. Wenn wir das hinbekommen, wird die Europäische Union auch wieder gut funktionieren.

Für wie realistisch halten Sie es, dass dieses Ziel auch in absehbarer Zeit erreichbar ist?

Das ist ein Projekt über fünf bis zehn Jahre. Es wird auch eine Vertragsänderung erfordern. Da kommen wir sofort zu Großbritannien, das eigentlich weniger Integration will. Es ist in Ordnung, in Europa zwei oder auch drei Geschwindigkeiten zu haben. Und klar ist, um den Euro wirklich zu einem durchschlagenden Erfolg zu machen, brauchen wir zumindest für die Länder der Eurozone diese Mechanismen. Griechenland ist geradezu ein Parade-Beispiel, das zeigt, warum wir uns stärker integrieren müssen.

Interview: Frank O. Milewski

Foto: Bettina Volke

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