Lebensversicherungen sind längst keine Black-Box mehr

Bis zur sogenannten Deregulierung im Juli 1994 wurden Versicherungsbedingungen und Tarife der Versicherungsgesellschaften durch die Aufsichtsbehörde (damals: Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen) genehmigt. Schon kurze Zeit nach der Deregulierung hatte der BGH Gelegenheit, zu Fragen der Transparenz bei Alt-Verträgen Stellung zu nehmen.

Der BGH wies darauf hin, dass selbst solche Klauseln in Versicherungsbedingungen, die für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht verständlich sind, weil sie beispielsweise nur auf den von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan verweisen, trotzdem nicht gegen das Transparenzgebot verstoßen. Begründet wurde dies damit, dass für die Versicherungsnehmer durch die regelmäßige Überprüfung der Geschäftspläne seitens der Aufsichtsbehörde ein ausreichender Schutz sichergestellt sei. Einer besonderen Aufklärung über die Nachteile vorzeitiger Kündigung, die Zillmerung und die Überschussbeteiligung bedurfte es damals nicht (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1994, IV ZR 124/93).

Gerade die Zillmerung, das heißt die Begleichung der Abschlusskosten aus den ersten Beiträgen mit der Konsequenz, dass anfangs keine Beitragsteile für das Ansparen zur Verfügung stehen, wirkt sich trotz der Langfristigkeit der Verträge negativ aus. Wird mithin eine Lebensversicherung in den ersten Jahren gekündigt, steht und stand häufig kein Rückkaufswert zur Verfügung oder ein Rückkaufswert erreichte nur einen Bruchteil der vom Versicherungsnehmer bezahlten Beiträge.

Deshalb stellte in der Folgezeit die Rechtsprechung höhere Anforderungen, damit ein Versicherungsnehmer von Anfang an klar erkennen kann, mit welchen Nachteilen er im Falle einer Kündigung rechnen muss. Regelungen zu den Abschlusskosten und etwaigen Stornoabzügen, die im Falle einer frühen Kündigung erhoben werden, müssen deshalb für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich sein und müssen die Nachteile für den Versicherungsnehmer hinreichend deutlich vor Augen führen.

Dies ist der Kern der Entscheidungen des BGH aus den Jahren 2001 und 2005. Bei Verträgen, die nach der Deregulierung und vor Inkrafttreten des neuen VVG (also vor 2008) abgeschlossen wurden, bleibt es bei der Rechtsprechung, dass den Versicherungsnehmer finanziell belastende Vertragsbestimmungen diesem Transparenzgebot entsprechen müssen. Ist dies nicht der Fall, darf der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme oder des Rückkaufswertes einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser Mindestbetrag wird durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt (z.B. Urteil des BGH vom 12. Oktober 2005, IV ZR 162/03).

Unter Deckungskapital sind bei einer Kapitallebensversicherung die Sparbeiträge und Zinsen zu verstehen. Beim ungezillmerten Deckungskapital sind die Abschluss- und Vertriebskosten hinzuzurechnen. Diese vom BGH aufgestellten Grundsätze sind auch auf die fondsgebundene Lebens- oder Rentenversicherung anzuwenden. Der Mindest-Rückkaufswert, der im Falle der Intransparenz der maßgeblichen Bestimmungen im Bedingungswerk zu ermitteln ist, besteht in der Hälfte des ungezillmerten Fondsguthabens (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2007, IV ZR 321/05).

Inzwischen sieht das neue Versicherungsvertragsgesetz, welches seit 1. Januar 2008 gilt, strikte Regelungen bezüglich Stornoabzug sowie Abschluss- und Vertriebskosten vor (vgl. § 169 Abs. 3 und 5 VVG in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung). Seither müssen – falls ein Lebensversicherungsvertrag in den Anfangsjahren gekündigt wird – die Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre gleichmäßig verteilt werden.

Seite 3: Tendenzen aus der jüngeren Vergangenheit

1 2 3Startseite
Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments