Ein Rettungspaket bleibt aus

Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können zu Invalidität oder Pflegebedürftigkeit führen. Im Ernstfall würde dies viele Bürger finanziell überfordern – allein zur Absicherung der Arbeitsunfähigkeit fehlen europaweit 750 Milliarden Euro. Der Staat wird die Vorsorgelücke nicht schließen können.

Juliane Löffler (links) und Hannah Sütterle, Senior-Analystinnen der Assekurata Solutions GmbH, einem Tochterunternehmen der Rating-Agentur Assekurata, haben ein aktuelles Stimmungsbild vom deutschen Versicherungsvertrieb gezeichnet.

Eine Deckungslücke von 750 Milliarden Euro ist gewaltig – sie entspricht etwa dem zweieinhalbfachen Schuldenstand von Griechenland. Trotzdem käme es wohl keinem Politiker in Europa in den Sinn, diese Lücke, oder sagen wir besser Schlucht, mit dem Geld der europäischen Steuerzahler zuschütten zu wollen. Nein, die Bürger Europas sind ganz allein auf sich gestellt, um diesen Fehlbetrag auszugleichen.

Einkommensersatz von 60 Prozent oftmals unerreicht

Die Rede ist von der privaten Invaliditätsabsicherung: 750 Milliarden Euro wären nach aktuellen Berechnungen des Rückversicherers Swiss Re erforderlich, damit die Menschen in Europa bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit oder Unfall zufriedenstellend versorgt wären.

Die Studienmacher von Swiss Re gehen davon aus, dass die Menschen im Falle einer Invalidität einen Einkommensersatz von 60 Prozent benötigen würden. Allerdings decke der Einkommensersatz bei den meisten Menschen derzeit kaum 40 Prozent ab, geben die Autoren des „European Insurance Report 2015“ zu bedenken. Die Studie basiert auf einer Umfrage unter 13.000 Personen in zwölf europäischen Ländern und Israel. Sie sollte ergründen, welche Lebens- und Krankenversicherungsprodukte die Menschen abgeschlossen haben und wo Lücken in ihrem Versicherungsschutz bestehen.

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„Obwohl sich die Befragten der möglichen finanziellen Folgen einer plötzlichen Invalidität oder Krankheit bewusst waren, gibt es noch viele Menschen ohne ausreichenden Versicherungsschutz, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind“, sagt Bruce Hodkinson, European Head of Life and Health Reinsurance von Swiss Re. Hodkinson und sein Team befürchten, dass selbst der mit Mühe und Not erreichte Versorgungsgrad von 40 Prozent in Zukunft nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. „Aufgrund des stetigen Abbaus der staatlichen Sozialleistungen dürfte dieser Wert in Zukunft weiter sinken“, prognostizieren die Analysten des Schweizer Rückversicherers.

Versicherungswirtschaft soll Rückzug des Sozialstaates abfedern

So kürzten viele Staaten ihre Sozial-Etats, da die alternde Bevölkerung und die steigenden Gesundheitskosten eine enorme Belastung für die Staatshaushalte darstellten. Die Autoren erhoffen sich nun von der Versicherungswirtschaft, den Rückzug des Sozialstaates abzufedern. Es liege an ihr, „die Verlagerung von der staatlichen Fürsorge hin zur individuellen Verantwortung zu unterstützen“, so die Forderung.

Insbesondere an die Versicherer in Deutschland dürften die Schweizer Marktbeobachter dabei gedacht haben. Denn laut Insurance Report gehört die Bundesrepublik zusammen mit Italien, Großbritannien, Irland und Polen zu den Ländern mit einem vergleichsweise großen Absicherungsbedarf (siehe Grafik).

Deutschland gehört zusammen mit Italien, Großbritannien, Irland und Polen zu den Ländern, in denen ein vergleichsweiser großer Absicherungsbedarf besteht.

Um die Einkommenslücke von hierzulande gut 20 Prozent zu schließen, ist harte Beratungsarbeit seitens der Versicherungswirtschaft zu leisten, denn welcher Bürger wird sich nach Feierabend sagen: „Ich muss noch Brot und Milch kaufen – und natürlich eine Police, die mein Einkommen absichert, falls ich arbeitsunfähig werden sollte“.

Seite zwei: Vorekrankungen stehen einem BU-Abschluss häufig entgegen

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