„Provisions- und Honorarberatung müssen steuerlich gleichgestellt werden“

Inwieweit wird sich die Honorarberatung auch ohne ein Provisionsverbot großflächig etablieren können?

Ohne ein Provisionsverbot wird die Honorarberatung von heute ein Prozent Marktanteil über die Jahre kontinuierlich weiterwachsen. Durch Öffentlichkeitsarbeit und zunehmende Aufklärung der Verbraucher wird sich der Marktanteil in sechs bis zehn Jahren vermutlich – ähnlich wie in den USA –  –auf 20 Prozent steigern lassen.

Zumal das Thema Honorarberatung als verbraucherfreundliche Alternative zum Provisionsvertrieb aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist. Dem Vertrauensverlust in das herkömmliche Bankensystem, der durch Falschberatung und die Zockerei der Banken am Finanzmarkt ausgelöst wurde, kann nur mit der auf Transparenz und Fairness ausgerichteten Honorarberatung begegnet werden.

Verfechter der provisionsvergüteten Beratung argumentieren oft damit, dass es auch bei der Honorarberatung Fehlanreize gibt. Wie stehen Sie zu solchen Theorien?

Von solchen Theorien halte ich gar nichts. Gegenfrage: Was ist Ihnen lieber, ein provisionsgetriebener Produktverkauf, bei dem einem einzelnen Kunden Tausende von Euro an Schaden entstehen, oder ein paar Stunden zu viel Beratung, die am Ende ein optimales Ergebnis für den Kunden bringen?

Denken Sie an den Milliardenschaden, der Anlegern durch den Verkauf hoch provisionierter Lehman-Zertifikate entstanden ist, dagegen könnten ein paar Stunden Beratung, die vielleicht zu viel bezahlt wurden, nur einen minimalen Bruchteil des Schadens anrichten.

Ein weiteres Argument der Kritiker der Honorarberatung ist es, dass sie bei Abschaffung der Provisionsberatung eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Vorsorgeprodukten erwarten, weil ein Großteil der Bevölkerung nicht vermögend genug sei, für eine Beratung zu bezahlen. Ist diese Befürchtung begründet?

Das ist Unsinn. Kunden, die sich keine Vorsorgeprodukte leisten können, erhalten auch in der heutigen Provisionswelt keine wirkliche Beratungsleistung. So kann ein klassischer Provisionsberater weder vom Abschluss einer Kfz-Haftpflicht noch von einer sonstigen Haftpflichtversicherung seinen Kunden auch nur eine Stunde vernünftig beraten. Er verdient nämlich zu wenig an diesen Produkten.

Der Berater muss seine Beratungsleistung vielmehr über den Vertrieb komplexer Produkte mit hohen versteckten Provisionen subventionieren. Ein Systemfehler des Provisionsmodells, welcher dazu führt, dass Anleger häufig gegen ihre eigenen Interessen beraten werden und ihnen Milliardenschäden beim Aufbau ihrer Altersvorsorge entstehen. Das Provisionssystem führt also im Ergebnis zu wesentlich größeren Belastungen für die Anleger, aber auch für die staatlichen Versorgungssysteme, als wenn auf Honorarbasis vernünftig und unabhängig von Provisionsinteressen beraten wird.

So wurde etwa in Skandinavien vor zehn Jahren ein Nettoprämiensystem eingeführt, bei dem der Kunde bei Abschluss eines Vertrages mit dem Berater ein Honorar vereinbart, das über den Produktgeber eingezogen wird. Die Versorgungsquote ist nach Einführung dieses Systems gestiegen, das Gegenteil von Altersarmut ist eingetreten.

All diejenigen, die sich heute schon keine vernünftige Beratung leisten können, werden in Zukunft über standardisierte Beratungsleistungen im Netz versorgt werden.Voraussetzung ist allerdings, dass das Verständnis für die Notwendigkeit einer eigenen finanziellen Vorsorge auch in Deutschland weiter wächst.

Kritiker warnen in diesem Zusammenhang auch vor einem „Berater-Sterben“ , das auch zu einer Unterversorgung der Verbraucher führen könnte. Wie stehen Sie dazu?

Die Abschaffung der Provisionsberatung wird einen Bereinigungsprozess auslösen, der zu mehr Qualität in der Beratung führt. So liegen die Pro-Kopf-Beraterzahlen in Deutschland bis zu sechsmal so hoch wie in anderen Ländern. In Deutschland kommen auf 1000 Einwohner 6 Berater, in Großbritannien 2, in Skandinavien 1,8 und in den USA sind es sogar nur 1,2 Berater. Deutschland ist also im Vergleich deutlich überversorgt.

Die Umstellung auf eine vom Produktverkauf unabhängige Beratung, bei der die Beratungsleistung im Vordergrund steht, wird dazu führen, dass vermutlich die Hälfte oder nur 1/3 der Berater übrig bleiben werden. Es werden diejenigen Berater sein, die heute schon qualitativ hochwertig beraten. Das wird am Ende den Anlegern nutzen und das Vertrauen in die Branche wiederherstellen helfen.

Sind die Entwicklungen in anderen EU-Ländern auf Deutschland übertragbar?

Deutschland ist keine Insel, die sich der Entwicklung in Europa entziehen kann. Dies gilt umso mehr, wenn man sich die Gesetzgebungsprozesse in anderen europäischen Ländern ansieht. In Großbritannien hat die britische Finanzaufsicht bereits im Januar 2013 ein generelles Provisionsverbot umgesetzt, weil der Versuch, allein mit Transparenzvorschriften mehr Verbraucherfreundlichkeit in der Finanzberatung zu erreichen, nach über zehn Jahren fehlgeschlagen ist.

Hier ist der Systemwechsel übrigens im Konsens zwischen der britischen Finanzaufsicht, den Banken und den Verbrauchern erfolgt. Auch die Banken selbst haben schließlich erkannt, dass sie sich durch die hohen Prozessfolgekosten im Zusammenhang mit Falschberatung am Ende selbst beschädigen.

Auch in den Niederlanden wurde das bisher nur für Versicherungen geltende Provisionsverbot auf sämtliche Finanzinstrumente ausgeweitet und in Skandinavien gibt es bereits seit zehn Jahren eine Kombination aus Nettoprämien-System und Honoraren.

Welche Entwicklung erwarten Sie in Deutschland?

Ich gehe daher davon aus, dass die Entwicklung in Deutschland durch die europäischen Regulierungsbemühungen im Rahmen von Mifid und IMD 2 und durch die fortschrittlichen EU-Länder getrieben wird.

Mittelfristig wird sich auch der deutsche Gesetzgeber einer Entwicklung hin zu mehr Transparenz und Verbraucherfreundlichkeit öffnen. Der Anteil der Honorarberatung wird daher hierzulande in den nächsten Jahren steigen und, ähnlich wie in den USA, auf 15 bis 20 Prozent anwachsen.

Interview: Julia Böhne

Foto: Quirin Bank

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