Sucht: Aus der Bodenlosigkeit die Kontrolle zurückgewinnen

Suchtproblematik am Arbeitsplatz – klingelt da was bei Ihnen? Dann lesen Sie unbedingt weiter! Die Fürstenberg-Kolumne mit Mareike Fell

Mareike Fell

Na? Wie geht es Ihnen? Wo erwische ich Sie gerade? Ich möchte Ihnen heute einen Fall aus meiner Beratung* vorstellen, wie er mir am Fürstenberg Institut immer wieder begegnet: Suchtproblematik am Arbeitsplatz.

Herr M., 42 Jahre, vereinbart einen Beratungstermin bei mir und nennt als Thema „Probleme am Arbeitsplatz“. Bei unserem ersten Termin berichtet er empört, dass er eine Abmahnung bekommen habe. Seit zehn Jahren sei er nun schon im Unternehmen! Er sei stets loyal, würde seine Arbeit gut machen und sich mit allen gut verstehen – und das sei der Dank. Die Tatsache, dass er öfter Kurzerkrankungen hat, führt er auf seine Infektanfälligkeit zurück. Auch ist er einige Male zu spät zur Arbeit gekommen, doch sei dies „stressbedingt“ gewesen.

Im Laufe der Beratungssitzung stellt sich heraus, dass es schon in der Vergangenheit einige Gespräche mit seiner Führungskraft gegeben hat, in denen er sowohl auf Fehlverhalten als auch auf Fehlerhäufigkeit bei der Arbeit angesprochen wurde.

Seine private Situation schildert mir Herr M. wie folgt: Er sei seit zwei Jahren geschieden. Die Trennungssituation und die Tatsache, dass er seine zwölfjährige Tochter nur noch an den vereinbarten Terminen sehe, hätten dazu geführt, dass er „viele schlaflose Nächte hat“. Finanzielle Sorgen aufgrund der Unterhaltsverpflichtungen und der neuen Situation krönen das Ganze. Er habe sich am Arbeitsplatz nichts anmerken lassen wollen, „schließlich brauche ich das Geld für mich und meine Familie“.
Am Ende offenbart er geknickt, dass er regelmäßig Kokain schnupfe. Erst ab und zu, in letzter Zeit regelmäßig, „nur so ist die Misere zu ertragen“.

Durch systemische Fragetechniken und Aufstellungsarbeiten erreiche ich in der ersten Sitzung, dass Herr M. die Sicht seines Vorgesetzten und auch seiner geschiedenen Ehefrau nachvollziehen kann: „Dass die so viel Geduld mit mir hatten, verstehe ich jetzt nicht mehr…“

In den Folgegesprächen erklärt sich Herr M. bereit, einen stationären Drogenentzug mit Entwöhnung und Bearbeitung seines Suchtverhaltens zu machen. Auch informiert er seinen Vorgesetzten über die geplante stationäre Therapiemaßnahme. In dem sehr offenen Gespräch erfährt Herr M. zu seiner Freude auch die Gründe für die ihm gegenüber aufgebrachte Geduld: Sein Chef schätze ihn sehr und wolle ihn als Mitarbeiter nicht verlieren. Die Motivation, möglichst schnell gesund an den Arbeitsplatz zurückzukehren, ist daraufhin groß.

Das Fürstenberg Institut ist unter anderem als Suchtberatungsstelle anerkannt und kooperiert mit verschiedenen Fachkliniken. Herr M. wurde daher durch mich in eine entsprechende Einrichtung vermittelt. Im Anschluss an den Klinikaufenthalt wurden weitere Gespräche im Fürstenberg Institut zur Nachsorge, Stabilisierung und zum Wiedereinstieg in den Beruf geplant, sowie weitere gemeinsame Gespräch mit dem Vorgesetzten.

Aber auch ohne Anbindung an ein EAP („Employee Assistance Program“, d.h. externe Mitarbeiterberatung) sind folgende Schritte ratsam, wenn sie sich persönlich betroffen fühlen:

Holen Sie sich zunächst Hilfe – und sei es anonym. Eine Verhaltenstherapie ist nach vorne gerichtet, und hat sich bei dem Thema Sucht als kraftvoll und nachhaltig erwiesen.

Es geht zunächst um das Verstehen des Musters – warum nehme ich eine Droge?

Danach gilt es, neue – gesunde – Wege zu finden, um das gleiche Ziel zu erreichen.

Stolpersteine und Hindernisse werden auf diesem Weg besehen und Lösungen gesucht.

Im Anschluss geht es um die Festigung des Gelernten.

Sollten Sie sich Sorgen um einen Ihrer Kollegen** machen, egal ob als Mitarbeiter oder als Führungskraft, sind folgende Punkte hilfreich:

Sprechen Sie Ihren Kollegen zunächst unter vier Augen an.

Bieten Sie Hilfe und Unterstützung an, aber nur wenn diese gewünscht ist, zum Beispiel bei anstehenden Gesprächen oder bei der Suche nach Hilfsangeboten und den nächsten Schritten.

Versuchen Sie nicht, Ihren Kollegen zu „retten“ – jeder Mensch hat sein eigenes Tempo.

Trauen Sie sich, als Führungskraft Ihre Fürsorgepflicht auszufüllen und bleiben Sie konsequent dran. Erwarten Sie einen Schritt nach dem anderen. Und trauen Sie sich als Kollege, mit klaren Worten zu begleiten – auf Augenhöhe.

Und ganz wichtig: Sehen Sie immer den Menschen – nicht das Problem.

*Der Fall wurde mit dem Einverständnis der Betroffenen anonymisiert.

**Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.

Autorin Mareike Fell ist systemischer Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie und ist als Beraterin und Trainerin in der externen Mitarbeiterberatung für das Fürstenberg Institut tätig. Internet: www.fuerstenberg-institut.de 

Foto: Rike Schulz 

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