Wie man das Kind mit dem Bade ausschüttet

Nehmen wir das einfache Beispiel eines monatlichen Fondssparplans über 50 Euro. Gehe ich als Anleger tatsächlich damit zum Berater meines Vertrauens und nehme dafür in Kauf, dass ich im Anschluss eine Rechnung erhalte, in der das Honorar entweder nach dem zeitlichen Aufwand oder nach der Anlagesumme – die theoretisch nach oben hin offen sein kann – ausgewiesen ist? Berate ich mich dann nicht lieber gleich selbst? Macht sich ein unabhängiger oder der Berater einer Bank überhaupt noch die Mühe, mich bei einer kleineren Summe zu beraten? Nimmt er sich dann überhaupt noch die Zeit oder dehnt er die Beratung aus, um auf seinen Schnitt zu kommen?

Es stimmt zwar: Das bisherige Provisionssystem birgt die Gefahr, dass ein Anleger nicht die Beratung erhält, die er braucht, sondern die, die einem Berater das meiste einbringt. Das Honorarsystem könnte nun aber dazu führen, dass Berater wohlhabendere Kunden bevorzugen und eher geneigt sind, diese generell länger oder ausführlicher zu beraten.

Die Europäische Kommission läuft also mit der Einführung von MiFID II Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, sprich: den Anleger so gut vor der Beratung zu schützen, dass er am Ende fast ganz ohne diese dasteht. Das wäre ein Rückschritt um rund 15 Jahre: Viele Anleger haben sich selbst beraten oder auf heiße Tipps hin gehandelt – mit zum Teil katastrophalen Ergebnissen, wie die geplatzte TMT-Blase (Technologie, Medien, Telekommunikation) an den Börsen bewiesen hat.

In diesen 15 Jahren haben Anleger und Berater jedoch viel dazugelernt, ihr Spektrum erweitert und erheblich an Vertrauen auf der einen Seite beziehungsweise Verantwortungsbewusstsein auf der anderen Seite gewonnen. Zudem sind die meisten Banken nicht mehr nur als Vertriebskanal ihrer eigenen Produkte, sondern auch mit einer Auswahl guter Produkte fremder Anbieter am Markt, was ihre Kunden auch einfordern. MiFID II könnte das fundamental ändern – mit ungewissem Ausgang. Ob die Banken auch tatsächlich betroffen sein werden, ist bis jetzt noch offen, doch für die unabhängigen Berater soll das neue System auf alle Fälle gelten. Das wäre obendrein noch eine Wettbewerbsverzerrung.

Doch gemach: Noch ist die Richtlinie nicht akut, erst muss sie den europäischen Gesetzgebungsprozess durchlaufen und anschließend in nationales Recht umgesetzt werden – das dauert noch rund zwei Jahre. Es wäre gut, wenn die Pläne, die auf die Beratung zielen, in der Zwischenzeit noch einmal überdacht würden. Ohne Beratung kommt die Vermögensanlage nicht aus. Übrigens ebenso wenig, wie Kreuzfahrtschiffe ohne Echolot und Radar.

Achim Küssner ist Sprecher der Geschäftsführung der Schroder Investment Management GmbH für Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, CEE und Mediterranean.

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