Die Kehrseite der Zentralbankunabhängigkeit

Sündenböcke gesucht

Unabhängige Zentralbanken dienen auch oft als willkommene Sündenböcke für Politiker, die sich scheuen, selbst harte Entscheidungen zu treffen. Während der Krise der Eurozone schreckten Regierungen immer wieder davor zurück, die Staatsschulden- und Bankenkrisen ein für alle Mal mit fiskalpolitischen Instrumenten zu lösen. Sie verließen sich vielmehr auf das Einschreiten der Europäischen Zentralbank, nur um anschließend zu kritisieren, dass die Geldpolitik ihre Grenzen überschritten habe.

Das Ziel im Auge behalten

Wenn das (nahezu) Undenkbare wahr würde und Zentralbanken bei der Gestaltung ihrer Politik wieder der Aufsicht der Regierung unterstellt würden, was würde das unter praktischen Gesichtspunkten für die Wirtschaft und die Märkte bedeuten? Ein nahezu sofortiger Effekt wäre ein (derzeit willkommener) Anstieg der Inflationserwartungen, da die Regierung ihren Einfluss auf die Geldpolitik ausweiten würde. Außerdem könnten Zentralbanken den gesamten Finanzsektor umgehen, indem sie die Regierung direkt mit frisch geschaffenem Geld ausstatten würden – zum Beispiel durch Gutschriften auf dem Konto der Staatskasse bei der Fed –, das die Regierung dann in Form von Steuernachlässen oder erhöhten Staatsausgaben an die Öffentlichkeit verteilen könnte –
Helikoptergeld. Dies könnte eine viel direktere und effizientere Möglichkeit sein, ein Nachfragedefizit abzubauen und die Inflationserwartungen anzuheben, als auf die Quantitative Lockerung zurückzugreifen, bei der begehrte sichere Finanzwerte dem Markt entzogen werden – etwa Staatsanleihen oder hochwertige Unternehmensanleihen – oder eine Negativzinspolitik einzuführen, was ein Experiment mit ungewissem Ausgang ist.

Gewiss gibt es andere Wege, Helikoptergeld zu schaffen, als formal die Zentralbankunabhängigkeit abzuschaffen. Der frühere Fed-Vorsitzende Ben Bernanke hat einen sehr interessanten Vorschlag dazu gemacht, wie das funktionieren könnte. Im Wesentlichen besteht die Idee darin, dass die unabhängige Fed entscheidet, wie groß die Geldspritze sein muss, um die vorgegebenen Beschäftigungs- und Inflationsziele zu erreichen, und dann dem Konto der Staatskasse diesen Betrag gutschreibt. Dann wäre es Aufgabe der Regierung, dieses Geld auf die ihr geeignet erscheinende Art und Weise zu verteilen.

Die Probleme von heute ins Visier nehmen

Kritiker argumentieren, das Hauptproblem der Zentralbankunabhängigkeit bestehe darin, dass sie erfunden wurde, um ein Problem, nämlich hohe Inflation, zu lösen, das es heute gar nicht mehr gibt. Hindert ihre Unabhängigkeit die Zentralbanken daran, die direktesten und effizientesten Lösungen für die Probleme von heute zu verfolgen? Tatsache ist: Eine aggressive unabhängige Geldpolitik auf der ganzen Welt hat noch nicht für Inflation gesorgt, und die finanzpolitische Zeitschinderei hält an. Eine Union von Fiskal- und Geldpolitik könnte eine Option werden, wenn die Wirtschaft auf diesem Kurs bleibt. Joachim Fels ist Global Economic Advisor bei Pimco.

Foto: Pimco

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