Türkei-Krise: Nach 2008 haben sich Anleger viel Hornhaut zugelegt

Doch wer zu spät kommt, den bestraft das (wirtschaftliche) Leben. Alle notwendigen Maßnahmen, die eine stabile Seitenlage der türkischen Wirtschaft erreichen sollen, verursachen mittlerweile Schmerzen. Es müssten drastische Zinserhöhungen her, die die Lira zwar stabilisieren und die Inflation bekämpfen würden. Dieser Zinsschock könnte jedoch die völlig überschuldete türkische Wirtschaft in eine Rezession treiben. Erdogan verteidigt ohnehin weiter seine unorthodoxe Meinung, dass Zinserhöhungen die Inflation treiben. Dabei hat unsere Deutsche Bundesbank 50 Jahre lang bewiesen, dass stabilitätsorientierte Zinspolitik Inflation erfolgreich bekämpft und die Deutsche Mark nachhaltig gestärkt hat. Käme es sogar zu Zinssenkungen, werden die Folgen leider noch mehr Währungsabwertung und Inflationierung sein.

Kapitalverkehrskontrollen würden Türkei zur No-Go-Zone für Investoren machen

Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds würden massive Gegenleistungen nach sich ziehen. Länder wie Thailand, Argentinien und Griechenland waren anschließend lange Zeit nicht mehr finanzpolitisch souverän. Die USA als größter Beitragszahler des IWF könnten sogar eine Verweigerungspolitik gegen Ankara betreiben. Der türkische Staatspräsident wird sich diesen „Erniedrigungen“ niemals beugen. Kapitalverkehrskontrollen könnten zwar den Verlust an Auslandsdevisen wirksam behindern. Die Angst jedoch, sein Geld dann nicht mehr abziehen zu können, würde die Türkei zu einer No-Go-Zone für Auslandsinvestoren machen.

Alternativ könnte sich die Türkei neue Wirtschaftsverbündete suchen. Der politische Schulterschluss mit Russland wird ja bereits geübt. Liebend gerne würde Moskau die Türkei komplett aus dem westlichen Bündnis befreien. Aber wirtschaftlich kann ein Kranker einem Kranken nicht helfen.

Auch eine Zweckehe mit China hat ihre Tücken. Für jede wirtschaftliche Unterstützung will China üppige Gegenleistungen, zum Beispiel den Zugang, wenn nicht sogar den Besitz von türkischen See- oder Flughäfen. Wie will Erdogan seiner Bevölkerung die Abgabe der logistischen Kronjuwelen ohne Gesichtsverlust verkaufen?

Das europäische Dilemma

Als politisches Scharnier zwischen Europa und dem Mittleren und Fernen Osten und als Nato-Mitglied hat die EU sicher kein Interesse an einer zusammenbrechenden Türkei. Doch muss sich die EU auch fragen lassen, welchen Wert ein Partner noch hat, der droht, mit Russland fremdzugehen und bereits Raketenabwehrsysteme dieses „Nato-Feinds“ kauft. Wie intakt kann denn eine Ehe sein, bei der ein Partner permanent mit Scheidung droht und sogar schon Tanzkurse mit einer fremden Person besucht?

Politisches Gewicht Europas hat zugelegt

Stützte die EU Ankara finanziell aus Angst vor einer türkischen Kündigung des Flüchtlings-Deals, bekäme Erdogan noch mehr Machtfülle, die er nicht unbedingt zum Nutzen Europas einsetzen würde. Immerhin hat das politische Gewicht Europas wegen der Wirtschaftsschwäche am Bosporus zugenommen. Daher muss Berlin beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten das Prinzip „Leben und leben lassen“ anwenden. Es darf durchaus Druck ausgeübt werden, um eine falsche Innen- und Wirtschaftspolitik zu revidieren. Es sei an die so oft gepriesene Wertegemeinschaft der EU erinnert, die nicht nur auf Brüsseler Hochglanzpapier stehen sollte.

Seite drei: Wie will die Türkei dem Staatsbankrott entgehen?

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