Türkei-Krise: Nach 2008 haben sich Anleger viel Hornhaut zugelegt

Aus ihrem Schlammassel kommt die Türkei erst nach Verständigung mit den USA heraus. Ein Boykott amerikanischer Produkte mag das Mütchen kühlen, ist aber nur ein Sturm im Wasserglas. Ob es Erdogan nun passt oder nicht, Amerika ist mehrere Nummern zu groß. Die USA sind mit ihrer Weltleitwährung Dollar und mächtigen Bankenindustrie immer noch der Kraftmeier in der Finanzwelt und können die Türkei nachhaltig schädigen.

Die Türkei muss ihre ideologische Schmollecke verlassen. Ansonsten schlagen die Finanzmärkte unerbittlich zu wie die Spanische Inquisition. Ein irreparabler Vertrauensverlust könnte die türkische Währung dann endgültig zum „Ver-Lira““machen. Über Hyperinflation und schließlich eine Währungsreform verlöre die türkische Bevölkerung ihr gesamtes angespartes Vermögen. Schon jetzt sind die Wohlstandsverluste der Türken groß: Gemäß dem sogenannten Elends-Index als Kombination aus Inflations- und Arbeitslosenrate liegt die Türkei sogar oberhalb von Griechenland. Niemand sollte sein Volk in Geiselhaft nehmen.

Nach den letzten Ausführungen aus der Türkei ist mit dieser Einsicht zumindest vorerst nicht zu rechnen. Damit droht die Türkei schleichend zu einem zweiten Venezuela zu werden, noch schlimmer, denn die Türkei hat kein Öl. Das ist dem Land und seinen Menschen auf keinen Fall zu wünschen. Die 15 Milliarden US-Dollar, die die Türkei aus Katar erhält, sind zwar zwei, drei Tropfen auf den heißen Stein. Die dramatischen Strukturdefizite der Türkei lösen sie aber nicht.

Wie stark streut der türkische Krisenvirus?

Grundsätzlich sind die Finanzmärkte einfach gestrickt. Hat ein Schwellenland Probleme, kommen zunächst alle in den gleichen kollektiven Sack und werden vertrimmt. Doch wird sich in den nächsten Wochen die Spreu vom Weizen trennen. Die üblichen Verdächtigen unter den Schwellenländern, die innen- und finanzpolitische Probleme oder Handelsbilanzdefizite haben, werden zwar weiter die harte Knute der Finanzmärkte spüren. Das gilt zum Beispiel für Länder in Südamerika. Dagegen verfügen vor allem asiatische Schwellenländer über Export- beziehungsweise Leistungsbilanzüberschüsse. Ihre Währungen werden also nicht ver-, sondern gekauft. Nicht zuletzt betreibt die US-Notenbank trotz mittlerweile sieben Zinserhöhungen eine insgesamt zahme Geldpolitik. Sie weiß, dass deutliche Zinserhöhungen wie zwischen 2004 und 2006 zu einer massiven Kapitalflucht aus den Schwellenländern nach Amerika führen und die Welt(finanz-)wirtschaft ins vielleicht finale Elend stürzen.

Türkischer Exportmarkt wird für Europa Schaden nehmen

Der türkische Exportmarkt wird für Europa Schaden nehmen. Denn je stärker der Kursverfall der türkischen Lira, umso schwächer die Kaufkraft der Kunden am Bosporus für deutsche Exportgüter. Auf der deutschen Hitliste der Handelspartner steht die Türkei mit Platz 16 allerdings nicht weit vorne.

Bedenklicher ist die türkische Krise für europäische Banken. Ca. 200 Milliarden Euro stehen im türkischen Kredit-Feuer. Theoretisch ist das der Stoff, aus dem die Alpträume für die Finanzindustrie sind. Praktisch wäre es aber absurd, wenn die EZB nach zehn Jahren der kontinuierlichen geldpolitischen Rettung Europas vor jeder Krise jetzt eine massive Bankenkrise zuließe, die EU und Eurozone auch konjunkturell und (sozial-)politisch so stark schwächte, dass der europäische Zusammenhalt vor der Scheidung steht. Nein, solange es Krisen gibt, wird auch morgen und übermorgen noch fröhliche Rettungs-Musik aus allen Radios der EZB ertönen.

Selbst die Angsthasen an den westlichen Aktienmärkten zeigen sich nach anfänglicher Nervosität zuletzt weniger irritiert: Nach zahllosen Krisen aller Art seit 2008 haben sich Aktienanleger viel Hornhaut zugelegt. Auch eine Währungskrise in der Türkei wird keinen Crash auslösen. Gegen die Finanzmärkte zieht selbst der türkische Staatspräsident den Kürzeren.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

Foto: Baader Bank

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