Chinas Regulierungskeule schlägt erneut zu

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Andreas Döring, Union Investment

Ganz unangekündigt kam der Schritt nicht, die drastische Ausgestaltung sorgte aber für Überraschung. Die jüngsten Regulierungsmaßnahmen der chinesischen Regierung haben unter Anlegern viel Vertrauen gekostet und das in einer für das Land wirtschaftlich herausfordernden Situation. Anleger sollten China dennoch nicht vorschnell abschreiben.

Es war ein Paukenschlag, als die chinesische Regierungsführung bekannt gab, dass private Bildungsanbieter künftig weder Gewinne machen noch Kapital über die Börse aufnehmen dürfen. Durch die Maßnahme wird das Geschäftsmodell der betroffenen Unternehmen stark beeinträchtigt, ein ganzer Bereich quasi zum „non-profit“ gezwungen.

Denn Analysten beziffern das Umsatzpotenzial der momentan 100 Milliarden US-Dollar schweren Bildungsindustrie nur noch auf rund 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Entsprechend heftig waren die Kurseinbrüche betroffener Unternehmen, die um 70 bis 80 Prozent nachgaben.

Der Schritt reiht sich ein in zahlreiche Regulierungsaktivitäten, von denen börsennotierte Unternehmen zuletzt hart getroffen wurden. In Erinnerung ist noch der gestoppte Börsengang der Ant Group Anfang November 2020. Seitdem greift die chinesische Zentralregierung hart durch: Einzelunternehmen werden untersucht, komplette Sektoren wie die Tech-Branche werden reguliert.

Ein prominentes Beispiel war der Eklat um den geplanten Börsengang des Fahrdienstvermittlers Didi Chuxing Ende Juni: Das Unternehmen ließ sich in New York an der Börse listen, obwohl die chinesischen Behörden Didi zuvor warnten, mit dem IPO fortzufahren. Prompt kündigte Peking zwei Tage nach dem Börsengang eine Überprüfung Didis zum Thema Cybersicherheit an. Die Aktie brach ein.

Chinas Agenda: Mehr Staat, weniger Marktwirtschaft

Die Treiber dieser Regulierungsschritte liegen in Chinas langfristiger Agenda. Das Reich der Mitte befindet sich in einer kritischen Entwicklungsphase. Unter der Ägide von Präsident Xi Jinping vollzieht das Land eine Kehrtwende hin zu „mehr Staat“ und weg von marktwirtschaftlichen Prinzipien. Es geht der Pekinger Führung darum, China in einem schwierigen außenpolitischen Umfeld – insbesondere mit Blick auf die USA – zu stärken. Gleichzeitig will man einer, durch zunehmende Ungleichheit ausgelöste, wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung entgegenwirken. Wirtschaft und Gesellschaft sollen robuster gegenüber externen Schocks werden.

Konkret heißt das: Die Wirtschaft soll unabhängiger vom Ausland werden, indem  Digitalisierung und Innovationen gefördert werden. Das kann auch bedeuten, dass Privatunternehmen verstärkt im nationalen Interesse handeln sollen, also „zum Wohle des Landes“ in vielleicht wenig profitable Bereiche investieren. Und Monopole und unvorteilhafte Marktstrukturen können aufgebrochen werden.

Ein Augenmerk liegt besonders darauf, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen und die breite Bevölkerung am Wohlstand zu beteiligen: Hier liegt auch der Grund für das Aufbrechen des Nachhilfesektors, den Xi als „chronische Krankheit“ bezeichnet: Nachhilfe ist teuer und kann nur von Kindern reicher Familien in Anspruch genommen werden. Wer Nachhilfe bekommt, dürfte einen besseren Schulabschluss machen und kann bessere Universitäten besuchen. Die Chancengleichheit geht also verloren, jetzt soll sie wiederhergestellt werden.

Verunsicherung bei Anlegern wächst

Die regulatorischen Eingriffe verunsichern aber die Anleger. Internationale Investoren fragen sich, inwiefern China noch als sicheres Zielland für Investitionen gelten darf. Die Sorge nicht nur vor wegregulierten zukünftigen Gewinnen, sondern auch vor einer Aushöhlung von Unternehmenssubstanz ist deutlich gestiegen – und das gerade in einer Phase, in der sich auch die Wachstumsdynamik in der Volksrepublik verlangsamt.

Zwar hat sich China mit fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen als erste große Volkswirtschaft wieder aus der Corona-Krise herauskatapultiert. Der Wachstumshöhepunkt wurde aber bereits Ende 2020 erreicht, seitdem schwächen sich die Wirtschaftsdaten ab. Nahezu parallel dazu nahm das Wachstum in den USA und Europa wieder Fahrt auf. Investoren haben daher massiv Geld aus China abgezogen und in den US-amerikanischen und europäischen Markt investiert. Für chinesische Unternehmen ist das eine schwierige Gemengelage.

China nicht vorschnell abschreiben

Bei Union Investment sind wir der Meinung, dass man China dennoch nicht vorschnell abschreiben sollte. Dafür gibt es gute Gründe: Zwar ist der Wachstumspfad der Volkswirtschaft nicht mehr so steil wie früher. Aber: Die Verlangsamung ist gesund und auch Ausdruck einer bereits stark gestiegenen Wirtschaftsleistung. Zudem ist das Wachstum im internationalen Vergleich immer noch hoch. Und nicht zuletzt hat die Regierung selbst auf eine Verlangsamung des Wachstums hingewirkt, zum Beispiel durch eine straffere Geldpolitik.

Entscheidend ist die Qualität des Wachstums. Hier sehen wir positive Trends und erwarten, dass beispielsweise die Einzelhandelsumsätze und der Konsum in den kommenden Monaten zunehmen werden. Zudem hat die Zentralbank angedeutet, dass sie ihre Geldpolitik wieder lockern könnte. Dagegen könnten die USA die Zinsen 2023 anheben  – im Vergleich würde dies China als Anlageregion wieder attraktiver machen. Bleibt die Unsicherheit bezüglich Regulierung: Die chinesische Finanzmarktaufsicht betont, es gäbe daraus abgeleitet kein systematisches Risiko für chinesische Aktien.

Doch für Anleger gewinnt die Bewertung der Regulierungsrisiken bei der Analyse von Einzeltiteln an Bedeutung. Es stellt sich jetzt bei jeder Anlageentscheidung verstärkt die Frage, ob ein Unternehmen im Sinne der langfristigen Agenda Chinas agiert. Firmen in wenig regulierten oder von der Regulierung sogar begünstigten Bereichen werden für Investoren interessant. Auch für kleinere chinesische Unternehmen wird das Umfeld womöglich attraktiver, weil Monopole aufgebrochen werden und sie daraus Wettbewerbsvorteile ziehen. Anleger sollten China also nicht abschreiben und die Chancen am Aktienmarkt mit interessanten Unternehmen genau im Blick behalten.

Autor Andreas Döring ist Portfoliomanager bei Union Investment.

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