„Christine Lagarde sorgt für klare Verhältnisse“

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EZB-Chefin Christine Lagarde will den Leitzins künftig stetig anheben.

Die Corona-Pandemie hat Europa weiter im Griff. Die EZB bleibt in Alarmbereitschaft und will ihre milliardenschweren Anleihenkäufe beschleunigen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hält sich in der Corona-Pandemie alle Maßnahmen offen. Zunächst bleiben sowohl das milliardenschwere Notkaufprogramm für Anleihen als auch die Zinsen unverändert, wie der EZB-Rat in Frankfurt entschied.

Ökonomen hatten nicht mit einer Änderung der Geldpolitik zu diesem Zeitpunkt gerechnet, obwohl gestiegene Anleiherenditen Sorgen bereiteten.

Die Währungshüter wollen die Anleihenkäufe im zweiten Quartal allerdings deutlich beschleunigen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte jüngst betont, Europas Währungshüter würden die Finanzierungsbedingungen in der Pandemie günstig halten. Die Notenbank beobachte die Entwicklung der langfristigen Anleiherenditen daher genau. Diese waren gestiegen, da einige Anleger angesichts milliardenschwerer Konjunkturprogramme von Regierungen und der Geldflut der Notenbanken in der Pandemie mit einer steigenden Inflation rechnen.

Die Jahresinflationsrate im Euroraum lag im Februar wie schon im Januar bei 0,9 Prozent. Im Dezember waren die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat noch um 0,3 Prozent gesunken. Ob der Sprung zu Jahresbeginn auf einen dauerhaften Inflationsanstieg hindeutet, ist umstritten. Die EZB strebt auf mittlere Sicht eine Rate von knapp unter zwei Prozent an. Dieses Ziel wird seit Jahren verfehlt.

Bei den Zinsen blieb der Kurs ebenfalls unverändert: Den Leitzins im Euroraum hielten die Währungshüter auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken müssen weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Freibeträge für bestimmte Summen sollen die Institute bei den Kosten dafür entlasten.

Erst Mitte Dezember hatten die Währungshüter ihr besonders flexibles Corona-Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen (Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) um 500 Milliarden Euro auf 1,85 Billionen Euro aufgestockt. Die Mindestlaufzeit des Programms wurde bis Ende März 2022 verlängert.

Die Käufe helfen Staaten wie Unternehmen: Diese müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Insbesondere für Staaten ist das wichtig, weil sie in der Corona-Krise milliardenschwere Rettungsprogramme aufgelegt haben, die es zu finanzieren gilt.

Bei Kritikern der EZB-Geldpolitik stößt das Corona-Notkaufprogramm auf Widerstand. Eine Gruppe von Unternehmern und Professoren um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber klagt dagegen in Karlsruhe. Die Verfassungsbeschwerde ging am Montag ein, wie ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts am Donnerstag sagte (Az. 2 BvR 420/21). Kerber sagte der «Welt», mit dem Nothilfe-Programm breche die Notenbank endgültig aus ihrem Kompetenzrahmen aus.

Wegen des Notkaufprogramms ist bereits eine Organklage der AfD-Bundestagsfraktion in Karlsruhe anhängig. Mit anderen Klägern hatte Kerber im vergangenen Jahr auch das Urteil des Verfassungsgerichts zum Staatsanleihenkaufprogramm PSPP der EZB erstritten. Damals ging es um 2015 begonnene Käufe zur Ankurbelung von Inflation und Konjunktur in Billionenhöhe.

Das sagt der Markt:

Dr. Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank: „Zahlreiche EZB-Experten hatten sich bereits im Vorfeld der heutigen Sitzung dazu geäußert und so ziemlich alles in den Raum geworfen, was an Maßnahmen möglich ist: Angefangen von einer Aufstockung der Anleihekäufe über eine Ausdehnung des Rahmens des Corona-Anleihekaufprogramms PEPP, eine Kontrolle der Zinskurve (Yield Curve Control) bis hin zur Senkung des Einlagezinssatzes. 

Heute hat EZB-Chefin Christine Lagarde in der Pressekonferenz für klare Verhältnisse gesorgt. Zur Begrenzung des Renditeanstiegs will die Europäische Zentralbank ihr Anleiheankaufprogramm für die nächsten drei Monate forcieren.

Diese Linie macht Sinn. Denn nicht jeder Renditeanstieg ist ein geldpolitisches Problem, welches einer scharfen geldpolitischen Antwort mit Langzeitwirkung bedarf. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich die Renditen für Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren gerade mal um 0,3 Prozentpunkte nach oben bewegt hatten. Hinzu kommt: Die anziehenden Inflationserwartungen verbunden mit einem sich verbessernden Konjunkturausblick sind doch genau der Mix, den sich die EZB-Entscheider schon so lange wünschen. 

Die Europäische Zentralbank will mit ihrer jüngsten Maßnahme sicherstellen, dass die wirtschaftliche Erholung nicht doch noch auf halbem Weg stecken bleibt. Kritiker mögen bemängeln, dass die EZB dabei auch die Refinanzierungskosten der Regierungen im Auge behält. Aber aus diesem Dilemma wird sie so bald nicht herauskommen.“

Lutz Neumann, Leiter Vermögensverwaltung der Hamburger Sutor Bank: Die Annahme, dass die Antwort der Notenbanken auf steigende Inflation eine Leitzinserhöhung ist, und in der Folge zu einem starken Rückschlag am Aktienmarkt führen könnte, bewahrheitet sich nicht.

Nur bei einem markanten Zinsanstieg, beispielsweise von mehr als einem Prozent, ist mit stärkeren Ausschlägen vor allem am Aktienmarkt zu rechnen.

Man findet immer ein Argument, warum Kurse steigen oder fallen – im Moment sind es die Themen Inflation und Zinsen. So kann die Inflation einerseits als Argument pro Aktien herhalten, da Aktien aufgrund höherer Renditechancen Inflationsschutz bieten können. Und gleichzeitig könnten einige Segmente bei möglicherweise noch folgenden Zinserhöhungen zumindest kurzzeitig auch nach unten reagieren.“

Paul Diggle, Senior Economist, Aberdeen Standard Investments: „Die Anleger haben im Wesentlichen das bekommen, was sie von der EZB erwartet haben – und das wird auch die Zentralbank freuen.

Sowohl die Anleihen- als auch die Aktienmärkte erwarteten von der EZB, dass sie den jüngsten Anstieg der europäischen Renditen zurückdrängt, der wie ein nicht hilfreiches Überschwappen der stärkeren Wachstumsaussichten in den USA aussah. Mit dem Versprechen, die wöchentliche Ankaufsrate von Wertpapieren im Rahmen ihres QE-Programms für das nächste Quartal zu erhöhen, hat die EZB genau das getan – und damit buchstäblich ihren Worten Taten folgen lassen.

Die EZB wird die unmittelbaren Marktbewegungen begrüßen, da sie mit ihrer Absicht übereinstimmen, günstige Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten und die Erholung zu unterstützen.“

Andreas Billmeier, Sovereign Research Analyst bei Western Asset Management: „Die EZB überraschte den Markt heute auf der defensiven Seite, indem sie einen Hinweis auf ein ‚deutlich höheres Tempo‘ der Käufe im Rahmen des PEPP-Programms im nächsten Quartal aufnahm. Die Märkte hatten etwas anderes erwartet, nachdem sich das Tempo gerade in der Zeit verlangsamt hatte, in der die Zinsen schnell gestiegen waren. Aber tatsächlich war das hauptsächlich ein Thema in der Pressekonferenz.

Die Aufnahme eines Kommentars über das Tempo der Käufe in den formellen Beschluss steigert die Bedeutung dieser Käufe deutlich und beseitigt auch ein wenig die Unsicherheit bei der Entscheidung, wie viel gekauft wird: in jedem Fall mehr. Dies spiegelt eindeutig die Besorgnis der EZB über die Finanzierungskonditionen wider und stärkt ihr derzeit mächtigstes Instrument, um diese zu beeinflussen.

Dennoch behält die EZB einen gewissen Ermessensspielraum, indem sie in der geldpolitischen Entscheidung nicht genauer ausführte, wie viel (mehr) sie im Rahmen des PEPP zu kaufen beabsichtigt. Aber sie verstärkte die quantitative Vorgabe – bis auf Weiteres 20 Milliarden Euro pro Monat – bezüglich des APP-Kaufprogramms. Die Anleihemärkte reagierten auf diese Überraschung und starke Absichtserklärung mit einer Rallye.“

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