Inflation ist kein temporäres Phänomen

Foto: Aegon AM
Hendrik Tuch, Aegon Asset Management

Hendrik Tuch, Head of Fixed Income NL bei Aegon Asset Management, ist entgegen den Aussagen der Zentralbanken der Meinung, dass uns die Inflation in den kommenden Jahren rund um den Globus sehr stark beschäftigen wird.

Wieder einmal haben die wichtigsten Zentralbanken uns allen klar gemacht, dass sie davon ausgehen, dass der derzeitige Inflationsdruck nur vorübergehend ist. Anfang dieses Monats legte das Team Lagarde eine Aktualisierung der Wachstums- und Inflationsprognosen der EZB vor, die für 2022 eine Verbesserung in beiden Bereichen, für 2023 jedoch eine Inflation unterhalb des 2 %-Ziels zeigten.

Die Fed zog letzte Woche mit höheren Inflationsprognosen für dieses und nächstes Jahr nach, gefolgt von einem Rückgang im Jahr 2023. Beide Zentralbanken warnten, dass sie reagieren würden, falls sich die Inflation als hartnäckiger erweisen sollte. Angesichts des 10-jährigen Zinssatzes in Deutschland (immer noch bei -0,22 %) und in den USA (rund 1,45 %) erwarten die Anleihemärkte jedoch in den nächsten zehn Jahren nirgendwo einen wesentlichen Zinserhöhungszyklus.

Meiner Ansicht nach unterschätzt der Markt weiterhin die Inflationsdynamik, die sich weltweit entwickelt. Infolgedessen wird die Inflation in den kommenden Jahren viel stärker sein als die von diesen Zentralbanken vorgelegten Zahlen.

Es geht um Angebot und Nachfrage

In den letzten Quartalen haben wir in verschiedenen Sektoren Preisschocks erlebt, die im Allgemeinen auf „Versorgungsengpässe“ oder andere vermeintlich vorübergehende Faktoren zurückgeführt wurden. Die in die Höhe geschossenen Transportkosten und die sprunghaft angestiegenen Kosten für Baumaterialien, Computerchips und Erdgas sind jedoch nur ein Anzeichen für eine sehr gesunde Angebotsnachfrage, die letztendlich zu einer angemessenen Entwicklung des Angebots führen wird.

Die Behauptung, derartige Preissteigerungen seien nur vorübergehende Effekte, ignoriert die Tatsache, dass der Inflationsboom in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ebenfalls mit einem angeblich „vorübergehenden“ Ölpreisanstieg begann, auf den eine Flut von Preiserhöhungen bei allen Posten in unseren Verbraucherpreisindizes folgte. Die Unternehmen waren gezwungen, ihre Preise zu erhöhen, und die Löhne zogen nach. Auf dem heutigen Markt muss ein Großteil des Drucks auf die Produktionskosten immer noch an die Verbraucher weitergegeben werden, die dann einen angemessenen Lohnausgleich fordern.

In den USA hat der Lohndruck im unteren Segment des Arbeitsmarktes bereits zugenommen. Der Mangel an verfügbaren Arbeitskräften in Verbindung mit dem steigenden Verbraucherpreisindex wird höchstwahrscheinlich die Löhne in einem Tempo ansteigen lassen, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war.

Haben wir die CO2-Reduktionsziele erwähnt?

Ein weiterer wichtiger Faktor, der von den Finanzmärkten weitgehend übersehen wird, ist die Beschleunigung der Maßnahmen zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen, insbesondere in Europa. Um die recht ehrgeizigen Ziele der EU zu erreichen, sind massive Investitionen erforderlich, um die Kohlenstoffemissionen in Produktionsprozessen und Verbrauchsmustern zu verringern.

Die europäischen Unternehmen werden mit einer immer höheren Rechnung für ihre CO2-Emissionen konfrontiert. Außerdem werden auf künftige Importe zusätzliche Kohlenstoffsteuern erhoben, um sicherzustellen, dass die Produktion nicht in Länder außerhalb der EU verlagert wird. Die Investitionen von Unternehmen und Regierungen zur Senkung der CO2-Emissionen werden eine Menge zusätzlicher Materialien erfordern, was die Preise für diese Materialien weiter in die Höhe treiben wird.

Die Verbraucher sehen sich mit einem erheblichen Kostenanstieg bei all ihren Ausgaben konfrontiert, vor allem beim Transport und anderen Formen des Energieverbrauchs. All diese Faktoren werden in die künftige Berechnung des Verbraucherpreisindex einfließen und können dazu führen, dass dieser Wert für lange Zeit über 2 % liegt. Maßnahmen zur CO2-Reduzierung werden den Regierungen sicherlich schwer zu vermitteln sein, aber das Engagement der EU-Regierungen ist eindeutig und wird von einem großen Teil der Wählerschaft unterstützt.

Es könnte eine ganze Weile dauern, bis die Anleihemärkte erkennen, dass höhere Inflationszahlen von Dauer sind. Aber wenn die Münze erst einmal gefallen ist, wird dies zu einer gewissen Marktvolatilität führen. Die Zentralbanken werden erkennen müssen, dass die Preise nicht nachgeben, und daraufhin ihre Kaufprogramme reduzieren und sogar eine dezente Straffung in Betracht ziehen.

Ein kurzer Blick auf die aktuellen Marktrenditen und Gewinnmultiplikatoren zeigt, dass die Märkte auf ein solches Ergebnis völlig unvorbereitet sind. In Anbetracht der Entwicklung der Erdgaspreise decken sich die Verbraucher mit warmen Pullovern für den Winter ein. Ebenso sollten sich die Anleger mit Vorräten zum Schutz vor Marktschwankungen eindecken.

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