Wie nachhaltig ist der Online-Handel?

Fotos: Union Investment
Dijana Lind und Elias Halbig, beide Union Investment

Mit dem Siegeszug des Online-Handels nehmen auch dessen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu. Die Lieferung direkt zum Kunden ist aber per se kein umweltschädliches Vertriebsmodell. Transport und Verpackungen sind die wichtigsten Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit.

Der Siegeszug des Online-Handels scheint unaufhaltsam. In den vergangenen Jahren ist er stetig gewachsen und erzielt mittlerweile einen Anteil von fast 20 Prozent der gesamten Umsätze des Einzelhandels. Im Jahr 2019 verkauften Online-Händler weltweit Waren im Wert von 26,7 Billionen US-Dollar. Die Corona-Pandemie hat diesen „Boom“ weiter angekurbelt, in den USA legte der Umsatz 2020 um 32 Prozent zu. Das hat Folgen, zum Beispiel für den Transport: Der Paketdienst UPS beförderte 2012 pro Tag weltweit 16,3 Millionen Pakete, 2020 waren es bereits 24,7 Millionen.

Mit dem steigenden Erfolg des Online-Handels nehmen auch dessen Wirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu. Einige dieser Aspekte sind spezifisch, wie etwa die Themen Versandverpackungen, Datenschutz oder Retouren. Andere treffen nicht nur auf den Online-Handel zu, können sich aber in ihrer qualitativen Ausprägung vom stationären Handel unterscheiden. Was sind die wichtigsten Nachhaltigkeitsaspekte im Zusammenhang mit dem sogenannten „E-Commerce“?  

Transport

Dazu gehört in erster Linie der Transport der Waren, insbesondere auf der „letzten Meile“. Diese Lieferung bis an die Haustür ist für die CO2-Bilanz bedeutsamer, als der Transport von der Fabrik ins Warenlager. Denn vereinfacht gesagt ist der Emissionsanteil des einzelnen Produkts pro Tonnenkilometer bei einem großen LKW deutlich kleiner als bei einem kleinen Lieferwagen. Wie bedeutend der Transport für die Gesamtmenge an emittiertem CO2 von der Herstellung bis zur Entsorgung ist, kann allerdings stark variieren. Beispielsweise entsteht bei Büchern der Hauptteil des CO2 bei der Herstellung, während die Emissionen durch den Transport, die Nutzung oder die Entsorgung relativ gering sind. Anders ist das zum Beispiel bei Textilien, bei denen der Transport durch das Volumen der Waren und die spezielle Verpackung bedeutsamer ist.

Positiv wiederum wirkt beim Online-Handel die Bündelung der Einkäufe, auch von unterschiedlichen Produktkategorien: Kunden müssen nicht mehr einzeln zu verschiedenen Händlern fahren, sondern ein Transporter liefert die Waren entlang einer geplanten Route ab. Der Warentransport des Online-Handels ist insofern mutmaßlich effizienter in Hinblick auf Emissionen. Wie hoch diese insgesamt sind, ist schwer zu beziffern. Denn weniger als ein Drittel der Unternehmen machen überhaupt Angaben zu Emissionszahlen. Der Transport verursacht darüber hinaus weitere Umweltwirkungen. So steigt die Beanspruchung der Verkehrsinfrastruktur durch mehr Transporte, außerdem entsteht zusätzlicher Feinstaub und Lärm, insbesondere in den Ballungszentren.

Verpackungsmüll

Ein spezifischer Aspekt des Online-Handels sind die Transport- bzw. Versandverpackungen. Durch die Verpackungen entstehen zusätzliche Emissionen. Wieviel Verpackungsmüll weltweit jährlich durch E-Commerce entsteht, ist kaum abzuschätzen. Nur etwa 16 Prozent der Online-Versandhändler veröffentlichen Zahlen zu Abfall und möglichem Recycling von Versandverpackungen. Klar ist: Die Menge des eingesammelten Verpackungsmülls insgesamt steigt. Bezogen auf Papier, Pappe und Karton waren es in Deutschland im Jahr 2019 über drei Millionen Tonnen – 2012 lag diese Menge noch bei rund 2,8 Millionen Tonnen.  Der Online-Boom dürfte eine der Ursachen für diesen Anstieg sein – und im ersten Pandemiejahr 2020, in dem der Online-Handel besonders stark zulegte, dürfte sich diese Entwicklung weiter beschleunigt haben. Im Vergleich zum Verkauf im stationären Handel entstehen die Versandverpackungen zwar zusätzlich. Allerdings weist der Online-Handel demgegenüber effizientere Strukturen in der Lagerung auf. Dort entstehen im Vergleich weniger Verpackungen, weil die Stückzahl der Produkte höher ist.

Retouren

Zusätzliche Verpackungen, Emissionen und Müll entstehen auch durch das Zurückschicken von Ware (Retouren). Denn im Online-Handel werden Retouren zum Teil vernichtet, laut Händlerangaben meist aus hygienischen Gründen oder aufgrund von Beschädigungen. Seit 2020 gilt in Deutschland mit der Obhutspflicht eine gesetzliche Grundlage, die die Vernichtung neuwertiger Waren zurückdrängen soll. Allerdings wird das Gesetz mangels notwendiger Verordnungen bislang nicht umgesetzt. Die Vernichtung von zurückgegebener Ware ist aber auch im stationären Handel ein bekanntes Phänomen. 

Datenschutz

Bei Online-Käufen fallen vielerlei Daten an, von demographischen Informationen bis hin zu individuellen Präferenzen. Mit diesem Kundenprofil kann ein Online-Händler bei neuen Bestellungen alternative Vorschläge machen, um das Angebot besser an der Kundennachfrage auszurichten und so für mehr Planungssicherheit zu sorgen. Auf diese Weise könnte die Kundenzufriedenheit steigen und die Zahl der Retouren sinken – ein klarer Vorteil des Online-Handels gegenüber dem stationären Handel. Es gibt aber auch eine andere Seite der Medaille: Die Sammlung, Speicherung und Nutzung von Daten gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Zugleich sind Online-Händler einem erhöhten Risiko von Angriffen aus dem Netz (Cybersecurity-Vorfällen) ausgesetzt. Die Unternehmen haben deshalb begonnen, ihre Datenschutzrichtlinien zu verstärken, auch als Reaktion auf eine verstärkte Regulatorik, etwa in der Europäischen Union und den USA.  

Arbeitsbedingungen

2018 gab es Schätzungen zufolge in acht europäischen Ländern rund 1,1 Millionen Menschen, die direkt oder indirekt im Online-Handel beschäftigt waren. Im Pandemiejahr 2020 ist diese Zahl weiter stark gewachsen. Allerdings gab es in der Vergangenheit häufig Berichte über unangemessen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen in der Branche. Die Unternehmen handeln bei diesem Thema wenig transparent: Weniger als zehn Prozent der Online-Händler veröffentlichen Zahlen zu Arbeitsunfällen, Mitarbeiterfluktuation oder Maßnahmen für die Gesundheit und den Schutz der Mitarbeiter.

Fazit

Insgesamt ist der Online-Handel per se kein umweltschädliches Vertriebsmodell, steht aber vor Herausforderungen bei der Nachhaltigkeit. Unternehmen haben über Skalen- oder Bündelungseffekte die Chance, Prozesse effizienter und nachhaltiger zu machen. So werden die Umweltauswirkungen zum Beispiel durch die konkrete Ausgestaltung der Logistikprozesse beeinflusst. Als unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten wichtigste Stellschrauben erscheinen die Lieferung der Waren sowie die Versandverpackungen. Hier setzen die Unternehmen an, um ihre Klimabilanz zu verbessern. Bezüglich der Umsetzung bleibt aber noch vieles offen.

Doch die Online-Händler haben verstanden, dass sie Nachhaltigkeitsthemen aufgreifen müssen, um auch in Zukunft als wettbewerbsfähige Plattformen wahrgenommen zu werden, wenn Konsumenten immer stärker nachhaltiges Verhalten einfordern. Dazu gehören auch Aspekte des Datenschutzes und der Arbeitsbedingungen der Beschäftigen, die potenzielle Risiken für die Reputation und damit auch den Geschäftserfolg von Online-Händlern darstellen.

Die Autoren: Dijana Lind, ESG-Analystin bei Union Investment und Elias Halbig, Junior-Portfoliomanager bei Union Investment

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