“Es stehen noch viele Innovationen aus”

Lange Zeit galt der Bereich der Kardiologie als besonders erfolgreich. Ist das noch der Fall?

Marcotte: Ja, absolut. Die Kardiologie ist sehr interessant, weil noch viele Innovationen ausstehen und weil sie einen sehr großen Markt repräsentiert. Im letzten Jahrzehnt stand beispielsweise die Entwicklung von Transkatheter-Aortenklappen im Fokus. Anfangs waren die Geräte für Patienten mit hohem Operationsrisiko bestimmt. Heutzutage werden sie auch bei Niedrigrisikopatienten eingesetzt. Auch wenn in diesem Markt bedeutende Fortschritte erzielt und die tiefhängenden Früchte bereits geerntet wurden, gibt es dank der Marktexpansion und der besseren Patientenüberweisungen immer noch Spielraum. Die Unternehmen wenden sich anderen Prothesen zu, um Mitral- und Trikuspidalinsuffizienz zu heilen. Das sind zwei extrem große und wenig durchdrungene Möglichkeiten. Und das sind nur zwei Beispiele für das große Potenzial der Kardiologie.

Welche anderen Sektoren bieten Ihrer Meinung nach ein besonderes Wachstumspotenzial?

Marcotte: Es gibt viele andere Segmente der Medizintechnik, die auf Innovationen aus sind: weniger invasive Lösungen als die der Chirurgie, Implantate mit besseren klinischen und wirtschaftlichen Ergebnissen, die Automatisierung der Patientenversorgung oder fortschrittliche Analysen zur Behandlungsplanung und -durchführung. Diese Bedürfnisse bestehen in der gesamten Branche und erklären, warum wir als Risikokapitalgeber alle Teilsektoren mit einbeziehen.

So gilt beispielsweise die Orthopädie oft als ein stagnierender Markt. Innovatoren konzentrieren sich jedoch auf die Entwicklung disruptiver Lösungen. Dazu zählen zum Beispiel Alternativen zur Versteifung von Wirbelsäulenerkrankungen oder die Standardisierung der Chirurgie durch Robotersysteme. In der Strahlenonkologie kombinieren Innovatoren mittlerweile die Bildgebung mit der Therapie, um bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen.

In der Neuromodulation versuchen Unternehmen durch die Stimulation bestimmter Nerven medikamentenresistente Depressionen zu heilen, aber auch Krankheiten wie beispielweise Herzinsuffizienz, Fettleibigkeit, Harninkontinenz, um nur ein paar zu benennen. Man spricht hier auch von Schmerzschrittmachern. Dies sind nur einige wenige Innovationen aus einem sehr viel größeren Pool, die in den kommenden Jahren Wachstumspotenzial haben.

Bisher galten die USA als Innovationsschmiede. Ist das noch immer wahr, und wenn ja, in welchem Umfang?

Marcotte: Richtig ist, dass die meisten größeren Medtech-Firmen in den USA sitzen. Aber die Antwort auf die Frage, woher eine Innovation tatsächlich kommt, ist weitaus komplexer.

Die großen Firmen entwickeln zwar einige Produkte selbst, sind aber auch dafür bekannt, dass sie kleinere Firmen mit innovativen Produkten, die aus regulatorischer Sicht risikoarm sind, aufkaufen. Einige dieser reifen Startups stammen aus den USA. Aber viele kommen auch aus Europa oder dem Rest der Welt.

Welche Rolle spielen Europa und Asien in der Medizintechnik? Wie ist die aktuelle Situation in Bezug auf die Innovationsfähigkeit?

Marcotte: Es gibt einige europäische Startups, vornehmlich aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz. Einige stammen aber auch aus Ländern wie Israel oder Australien. Typisch für Länder mit vielen regionalen Gründerzentren, staatlichen Zuschüssen und Risikokapitalgebern ist es, dass sie mehr Startups hervorbringen.

Dort fällt es einfach leichter, die erforderlichen Mittel aufzutreiben, die für die Entwicklung guter medizinischer Technologien nötig sind. In der Vergangenheit steckten vor allem größere chinesische Firmen hinter den Medtech-Aktivitäten in Asien. Mittlerweile gibt es dort immer mehr Medtech-Startups. Bei Sectoral betrachten wir alle Möglichkeiten – weltweit.

Wie hoch ist Ihrer Meinung nach das Wachstumspotenzial der Medizintechnikbranche, auch im Vergleich zu Pharma und Biotechnologie?

Marcotte: Im Bereich Medizintechnik sehen wir noch viele Chancen, da das Wachstum durch Innovation und Marktdurchdringung getrieben wird. Viele Märkte sind noch unterversorgt. In der Pharmaindustrie hingegen beruht das Wachstum hauptsächlich auf Fusionen und Übernahmen sowie auf Forschung und Entwicklung.

Die politische Diskussion um die Preise sorgt hier allerdings für reichlich Gegenwind. In der Biotechnologie gibt es einige Innovationsbereiche mit potenzieller Wertschöpfung, wobei jedoch Investitionsergebnisse sehr viel binärer sind als im Bereich der Medizintechnik.

 

Interview: Frank Milewski

Foto: Sectoral Asset Management

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