Europas Green Deal: Chancen der neuen EU-Klimapolitik

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Die öffentliche Politik kann ein starker Motor im Kampf gegen den Klimawandel sein, indem sie Kapital in Bereiche mit Innovationsbedarf lenkt und Druck auf Unternehmen und Verbraucher ausübt, umweltfreundlichere Praktiken zu übernehmen. Regierungen erkennen allmählich: Klimaverpflichtungen von gestern erfordern heute Maßnahmen.

• Die Europäische Union (EU) hat sich verpflichtet, Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 zu senken. Dadurch könnte der Staatenverbund bis 2050 weltweit der erste CO2-neutrale Kontinent werden.
• Im Rahmen des europäischen grünen Deals hat die Europäische Kommission vor Kurzem eine Reihe weitreichender politischer Maßnahmen vorgeschlagen und versucht, mindestens 1 Billion Euro an privatem und öffentlichem Kapital für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren.
• Auch andere Regierungen haben sich der EU auf diesem ambitionierten Weg angeschlossen. Deshalb sind wir der Meinung, dass gesetzliche Maßnahmen als Motor für Veränderungen und Unternehmensgewinne von Anlegern noch weitgehend unterschätzt werden.
• Wenn man jedoch Aktien unter Anwendung eines Bottom-up-Ansatzes auswählt, darf man sich auf keinen Fall von Billionen-Euro-Investmentprogrammen hinreißen lassen. Man muss sich auf das konzentrieren, was zählt: die wirtschaftlichen Treiber, die den Anlagen zugrunde liegen. 

Europas Klimawende – der Weg in die Zukunft

Im Dezember 2019 stellte die Europäische Kommission den europäischen „grünen Deal“ vor, ein umfassendes Konzept, um bis 2050 CO2-neutral zu werden. Um das zu erreichen, sollen die Ziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 auf 50 % bis 55 % gegenüber 1990 angehoben werden. Die Gesetzgeber schätzten damals, dass jährlich etwa 260 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen erforderlich sein würden, nur um den Meilenstein für 2030 zu erreichen. Warum ist das für uns wichtig?

Die ursprüngliche Publikation trug den Titel „Turning an Urgent Challenge into a Unique Opportunity“ (1) (Eine drängende Herausforderung in eine einzigartige Chance umwandeln). Im Rückblick hätte die Europäische Kommission keinen treffenderen Titel wählen können. Mit dem Ausbruch von COVID-19 wurde die „einzigartige Chance“ greifbarer denn je: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nutzte mit ihren Mitarbeitern die Wirtschafts- und Gesundheitskrise, um eine grüne Erholung auf den Weg zu bringen. Die EU hielt an ihrem Kurs fest und behielt den Kampf gegen den Klimawandel als ihr oberstes politisches Ziel. Damit machte sie ihre Prioritäten deutlich und ging anderen mit beachtenswertem Beispiel voran. 

Im März 2020, kurz nach dem Ausbruch der Pandemie, die den schlimmsten weltweiten Konjunktureinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg auslöste, begann die Kommission bereits, den Deal in EU-Recht zu integrieren. Sie präsentierte dem Europaparlament und dem Europarat einen Klimaschutzrahmen zum Erreichen von CO2-Neutralität und Anpassen der Regulierung. Ende Mai gab die Kommission zudem ihren Aufbauplan für die bevorstehende Erholung bekannt, dessen Grundstein der Europäische Green Deal ist. Mit „NextGenerationEU“, dem 750-Milliarden-EUR-Plan der EU für die Erholung nach der Pandemie, versucht von der Leyen, die Wirtschaftskraft einer digitalen und grünen Wende auf dem Kontinent zu nutzen, um Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum anzukurbeln (2). Schließlich ist es der Branche der erneuerbaren Energien gelungen, allein 2017 1,5 Millionen Arbeitsplätze weltweit zu schaffen. Man schätzt, dass jeder Euro, der für erneuerbare Energie ausgegeben wird, einen positiven Multiplikatoreffekt von zusätzlichen 0,8 Euro auf das BIP hat. 

Im Juli dieses Jahres veröffentlichte die Kommission ihren aktualisierten Fahrplan „Umsetzung des Europäischen Green Deals“. Das Maßnahmenpaket bestätigt das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu reduzieren, was ihrer Verpflichtung nach dem Pariser Übereinkommen entspricht und notwendig ist, um bis 2050 der erste CO2-neutrale Kontinent zu werden. Um „fit für 55“ zu werden, wie das Emissionsreduktionsziel der EU auch genannt wird, versucht der Staatenverbund, mindestens 1 Billion Euro an nachhaltigen Investitionen zu mobilisieren und Maßnahmen umzusetzen, um: 1. den CO2-Markt durch eine Überarbeitung des Emissionshandelssystems zu straffen, 2. den Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix bis 2030 auf 40 % zu erhöhen und 3. die Dekarbonisierungsziele auf den Verkehr auszuweiten, darunter eine 55%ige Senkung der Emissionen von Pkw bis 2030 und emissionsfreie Neuwagen bis 2035 sowie die Sanierung von 35 Millionen Gebäuden in den nächsten 10 Jahren. 

Die öffentliche Politik kann ein starker Antrieb für den Klimawandel sein Sie kann Kapital in Bereiche lenken, die Innovationen benötigen und Druck auf Unternehmen und Verbraucher ausübt, umweltfreundlichere Praktiken anzunehmen. Die Kommission spricht von einer „Umgestaltung der EU-Wirtschaft und -Gesellschaft, um den Klimaambitionen gerecht zu werden“, und der vorgeschlagene Grad des Strukturwandels ist kaum zu überschätzen.

Gemeinsame Umsetzung

„Umsetzung“ scheint in der Politik ein Schlüsselwort zu sein, das auch im Titel des Fahrplans der Kommission „Umsetzung des Europäischen Green Deals“ sowie in einer der vier Aufgabenstellungen für die 26. UN-Klimakonferenz (COP26), „gemeinsam die Umsetzung erreichen“, aufgegriffen wurde. Den politischen Entscheidungsträgern ist bewusst: Für ambitionierte Ziele ist irgendwann entschlossenes Handeln notwendig. Wie wir in unserer Publikation „In die Green Economy investieren“ aufgezeigt haben: Fünf Jahre nach dem Pariser Übereinkommen, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, legen vom Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) vor Kurzem veröffentlichte wissenschaftliche Erkenntnisse nahe, dass dies den Regierungen bisher nicht gelungen ist und drastische Maßnahmen notwendig sind, um in den nächsten Jahrzehnten wichtige Meilensteine zu erreichen. 

Letztes Jahr lobten wir die EU-Führung für die Entwicklung eines Konzepts für eine umweltverträgliche Erholung. Damals hofften wir, dass andere Regionen sich anschließen und eine schnellere Konjunkturerholung unterstützen würden, indem wir uns auf eine grünere Zukunft zubewegten. Wir konnten seither deutliche Fortschritte beobachten. Für rund 60 % der weltweiten CO2-Emissionen gelten auf nationaler Ebene Verpflichtungen zu CO2-Neutralität und für etwa 30 % davon bis 2050, was zeigt, dass sich die politischen Entscheidungsträger weiter um einen Konsens darüber bemühen, was notwendig ist, damit sie ihre festgelegten Klimaziele erreichen (3).  

Außerhalb der EU: China und USA sind von höchster Bedeutung

Chinas Ziel, bis 2060 CO2-Neutralität zu erreichen, traf bei seiner Bekanntmachung überall auf positive Resonanz. Die Veröffentlichung von Chinas 14. Fünfjahresplan im März 2021 rief jedoch auch eine gewisse Skepsis hervor und schien lediglich mit den bisherigen Trends übereinzustimmen, denn es wurden keine Emissionsgrenzen festgelegt. Somit werden die Treibhausgasemissionen voraussichtlich bis zu den Höchstwerten später in diesem Jahrzehnt weiter steigen. 

In den USA hingegen erstaunen der Umfang und das Tempo der Klimagesetze nach dem Amtsantritt von Joe Biden. Ergebnisse der Verpflichtungen zur Reduzierung der Verschmutzung und der entsprechenden Gesetzesvorschläge sind der  „American Jobs Plan“ (2,7 Billionen-USD) und die Bereitstellung von 73 Milliarden US-Dollar für saubere Energie im Rahmen des vorgeschlagenen „Infrastructure Investment and Jobs Act“ (1,2 Billionen US-Dollar). Dies zeigt eine deutliche Unterstützung eines besseren und grüneren Wiederaufbaus nach der COVID-19-Pandemie – um nach dem Vorbild der EU eine drängende Herausforderung in eine einzigartige Chance umzuwandeln.

Kurzum: Wir sind in einer Phase angelangt, in der die Regierungen anerkennen, dass die Klimaverpflichtungen von gestern heute Maßnahmen erfordern, und bereit sind, viel Kapital in die Umsetzung zu investieren.

Den Fokus behalten – Die Wirtschaft ist immer noch wichtig

Durchdachte und sinnvolle politische Maßnahmen können uns dabei helfen, den Klimawandel effektiver zu bekämpfen. Jetzt, wo die EU-Kommission und andere Regierungen beginnen, ihre Verpflichtungen umzusetzen, werden die gesetzlichen Maßnahmen als Motor für Veränderungen und Unternehmensgewinne von Anlegern unserer Meinung nach immer noch weitgehend unterschätzt. Wahlen, Gesetze und das regulatorische Umfeld sind von Natur aus jedoch schwer vorherzusagen. Deswegen dürfen sich langfristig orientierte Anleger, deren Hauptaugenmerk soliden Unternehmen gilt, nicht von den Billionen-Euro-Investmentprogrammen hinreißen lassen, sondern müssen sich auf das konzentrieren, was zählt: die wirtschaftlichen Treiber, die ihren Anlagen zugrunde liegen. 

Die Green Economy wird unserer Ansicht nach von der Tatsache beflügelt, dass viele Umweltlösungen dank der zugrunde liegenden volkswirtschaftlichen Entwicklungen kluge Anlagen sind. Die Kostenkurven sind drastisch gefallen und haben aufstrebende Technologien in den Mainstream katapultiert. Bestehende Unternehmen in den Bereichen saubere Energie, Ressourceneffizienz, nachhaltiger Konsum, Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Umgang mit Wasser werden dadurch naturgemäß durch disruptive Innovationsunternehmen ersetzt, die mit oder ohne staatliche Unterstützung im Verlauf des Marktzyklus erfolgreich sein werden. 

Autor Alexis Deladerriere ist Leiter International Developed Markets Equity bei Goldman Sachs Asset.

(1) Quelle: Europäische Kommission, Der Europäische Green Deal; Stand: 11. Dezember 2019.
(2) Quelle: Europäische Kommission, Europe’s moment: Repair and prepare for the next generation (Europas Moment: Sanieren und Aufbauen für die nächste Generation), 27. Mai 2020. 
(3) Quelle: Goldman Sachs Investment Research – Carbonomics: Introducing the GS Net Zero Carbon Models and Sector Frameworks; Stand: 24. Juni 2021.

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