„Unschärfe des BU-Falls lässt sich nie ganz beseitigen“

Quelle: Florian Sonntag
Stefanie Alt, Leiterin Produkt- und Marktmanagement, Nürnberger: „In der Praxis hat es sich bewährt, in begründeten Einzelfällen die Leistungen nach einem verkürzten Prüfverfahren abzurechnen“

Interessanter Punkt, Frau Reetz. Wie beurteilt die Runde derartige außervertragliche Einigungen, bei denen der Versicherer eine sogenannte Kulanzleistung gewährt, ohne dass der BU-Fall offiziell anerkannt wird? Und wie reagieren die Kunden darauf?

Dr. Stefanie Alt, Leiterin Produkt- und Marktmanagement, Nürnberger: Nach der Rechtsprechung bestehen bestimmte Voraussetzungen für den Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Im Sinne unserer Kunden treffen wir Kulanzleistungen in Einzelfällen, wenn die Berufsunfähigkeit unseres Versicherten aufgrund der medizinischen Unterlagen zwar nachvollziehbar, aber nicht ausreichend nachgewiesen ist. In der Praxis hat es sich deshalb bewährt, in begründeten Einzelfällen die Leistungen nach einem verkürzten Prüfverfahren abzurechnen. Das hat drei wichtige Vorteile: Dem Kunden wird sehr schnell geholfen. Aufgrund unserer prompten Regulierung ist die Zufriedenheit unserer Kunden und unserer Vermittler sehr hoch. Und bei verschiedenen BU-Ratings wird diese Flexibilität bei der Regulierungspraxis positiv bewertet.

Haas: In der Tat haben Sie als Versicherer manchmal die Situation, dass nicht genau festgelegt werden kann, ob der Kunde berufsunfähig ist oder ob er dies nicht ist. Durch individuelle  Vereinbarungen können Härtefälle gelöst werden, indem schon Geld ausgezahlt wird, die Prüfung kann dann durchaus parallel dazu weiterlaufen. Was die Verbreitung dieser Praxis angeht, müsste ich schlussfolgern: Etwa 70 Prozent aller Leistungsfälle werden im Markt direkt anerkannt. Innerhalb der verbleibenden 30 Prozent ist es manchmal unklar, ob der Kunde tatsächlich „BU ist“ oder ob er zum Beispiel die Gesundheitsfragen nicht richtig beantwortet hat. Kurzum: Ich denke, dass diese individuellen Vereinbarungen bundesweit deutlich unter zehn Prozent liegen. Und wenn es dazu kommt, ist es nach meinem Dafürhalten im beiderseitigen Interesse.

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Gordon Hermanni, Leiter Key Account Management Vertrieb Leben, Zurich: Ich kann dem nur beipflichten. Im Übrigen demonstriert die Leistungsquote der Branche von 70 Prozent plus X sehr deutlich, dass die Unternehmen umfassend leisten und ihre Verpflichtungen wahrnehmen. Dabei gehört Zurich laut Franke und Bornberg mit einer Quote von 78 Prozent zu den Topanbietern im Markt. Dazu muss man sagen, dass der medizinische Fortschritt natürlich dazu beiträgt, dass der BU-Fall eines Kunden glücklicherweise nicht immer bis zur Rente andauern muss. Das war früher anders: Für einen Berufstätigen, der vor einigen Jahrzehnten eine kaputte Hüfte hatte, gab es einfach noch nicht die geeigneten Mittel, um ihn wieder aus der Berufsunfähigkeit herauszuholen. Heute stehen hier die Chancen deutlich besser. Ähnliches gilt für den Bereich der psychischen Erkrankungen, die ja inzwischen die Hauptursache für eine Berufsunfähigkeit darstellen. So können beispielsweise Antidepressiva zunehmend gezielter und damit wirkungsvoller zum Wohle des Patienten eingesetzt werden. Und da wir ja ein Ausgleichsgeschäft haben, kommt der medizinische Fortschritt letzlich allen Berufsgruppen zugute. Auch deshalb ist die Preisstabilität über die letzten Jahre im Mittel sehr gut gewesen.

Seite drei: Forderung nach „Unijob-Tarifen“

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