„Das beste Lob, das man als Versicherer bekommen kann“

Aus dem persönlichen Umfeld kenne ich das Thema Demenz und Pflegebedürftigkeit mit 75 Jahren hautnah. Wie gut sind die Menschen darauf vorbereitet?

Bahr: Zu wenig. So wie Ihnen geht es ja vielen in Deutschland. Nahezu jeder hat schon einmal einen Pflegefall im Umfeld erlebt. Dennoch haben die wenigsten eine ausreichende Vorsorge in Form der Pflegezusatzversicherung. Automatisch schließen wir viele Versicherungen ab. Beinahe jeder besitzt eine Haftpflichtversicherung. Das ist wichtig und richtig. Aber ein Haftpflichtfall ergibt sich im Vergleich eher selten.

Dagegen erlebt man den Pflegefall im Umfeld andauernd. Viele werden damit – oft auch über lange Zeit – konfrontiert. Nach den neuesten Zahlen wird jeder zweite Mann pflegebedürftig, bei Frauen sind es sogar drei von vier. Das zeigt: Vorsorge ist notwendig.

Vor elf Jahren hatten wir uns als Magazin erstmalig mit der Pflege auseinandergesetzt. Seinerzeit hatten rund zwei Prozent der Bevölkerung vorgesorgt. Heute sind es gerade vier. Warum gibt es hier immer noch eine Zurückhaltung?

Bahr: Das ist menschlich. Schließlich handelt es sich um Themen, die mit dem Ende des Lebens zu tun haben. Und gerade im jüngeren oder mittleren Alter denkt man oft, dass man das später noch entscheiden könne. Dass das teurer wird und falsch ist, weiß jeder, der rechnen kann. Das beobachten wir nicht nur bei der Pflege, sondern auch bei der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Altersvorsorge.

Bemerkenswert ist, dass in Umfragen 60 Prozent der Menschen eine Pflegezusatzversicherung für notwendig halten. Gleichzeitig geben aber nur 17 Prozent der Vermittler an, dass ihre Kunden eine Pflegezusatzversicherung bräuchten. Das zeigt eine Diskrepanz zwischen Vermittler- und Kundensicht. Ich glaube, dass wir als Versicherungen eine große gesellschaftliche Aufgabe haben, das Thema anzusprechen.

17 Prozent zu 60 Prozent. Die Kunden wollen, die Vermittler nicht. Was machen Sie als Unternehmen, um Ihren Vertriebspartnern eine Brücke zum Kunden zu bauen? Oder sollte man, wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Familienversicherung im Interview sagte, die Tür eintreten, um das Thema beim Kunden zu platzieren?

Bahr: Zum einen haben wir bei der Allianz Privaten Krankenversicherung das Produkt deutlich vereinfacht. Und wir erklären den Bedarf nicht, indem wir Angst machen wollen. Das schreckt doch ab. Früher gab es Filme, in denen Menschen kollabierten, mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht wurden und später im Rollstuhl saßen. Anschließend wurde auf die Pflegezusatzversicherung hingewiesen. Da wenden sich viele ab. Wenn ich weiß, dass Menschen verdrängen und aufschieben, dann animiert ein solches Video kaum.

Daher muss ein Produkt einfach sein und die Vermittler und Menschen dazu bringen, sich damit zu beschäftigen. Letztlich wollen wir unsere Vertriebspartner dazu bringen, das Thema in möglichst vielen Fällen anzusprechen. Auch in ganz anderen Zusammenhängen, etwa bei der Baufinanzierung oder der privaten Altersvorsorge. Das Eigenheim oder das private Vermögen kann im Pflegefall schnell verwertet sein. Wir halten es für wichtig, beim Thema Pflege eine offene Frage zu stellen. „Wie haben Sie das Thema Pflege gelöst?“ „Da gibt es Produkte, die können Ihnen helfen, wenn Sie dafür einen Bedarf sehen.“

Viele wissen nicht, dass die Pflegepflichtversicherung – ob privat oder gesetzlich – nur eine Teilkostenabsicherung ist. Da braucht es Beratung und Kompetenz. Die Zahl der Versicherten, die bereits einen Fall in der Familie erlebt haben, wächst. Ebenso wie die Zahl der Vermittler, die mit einem Pflegefall in der Familie konfrontiert sind. Auch daher fällt es ihnen weniger schwer, das Thema anzugehen.

Und es braucht natürlich auch eine Aufmerksamkeit erzeugende Kampagne. Von den 8.000 Allianz-Agenturen haben sich 70 Prozent an der neuen Pflegekampagne beteiligt. Eine derart hohe Quote hatten wir in den vergangenen Jahren in Deutschland bei keiner anderen Kampagne.

Kürzlich zeigte eine Umfrage der Postbank, dass die Bundesbürger bei der Pflegeabsicherung glauben, dass die gesetzliche Pflege alles trägt und bezahlt. Haben Sie eine Erklärung, warum das Wissen derart dürftig ist?

Bahr: Es gibt einen verbreiteten Grundglauben, dass der Staat im Falle eines Falles für uns da ist. Das ist typisch deutsch. Dass die Solidargemeinschaft hilft, ist sicherlich ein hohes Gut in Deutschland. Aber es wird völlig überschätzt, was die Solidargemeinschaft leistet. Ob gesetzliche oder private Pflegepflichtversicherung – beide leisten immer nur eine Teilkostenabsicherung. Ein erheblicher Eigenanteil muss von den Betroffenen selbst geschultert werden. Das ist auch nie infrage gestellt worden.

Ein Fehler ist, dass bei der Einführung der Versicherung Mitte der 90er-Jahre der Eindruck erweckt wurde, es gebe keine Probleme mehr. Und das hat sich in den Köpfen der Menschen gehalten. Das ist ähnlich wie bei der gesetzlichen Rente. Auch dabei vertrauen viele Menschen auf die staatliche Absicherung. Aufzuklären und Missverständnisse zu beseitigen, dauert beim Thema Pflege leider deutlich länger. Wir wollen aber dazu beitragen.

 

Seite 3: „Darauf hat die Gesellschaft noch keine Antwort“

1 2 3 4 5Startseite
Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments