Coronapandemie: Belastungsprobe für Industrie- und Gewerbeversicherung

Foto: Stuttgarter
DAV-Chef Guido Bader

„Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die versicherungstechnischen Risiken der Lebensversicherungsunternehmen sind bislang überschaubar. Ganz anders präsentiert sich aber die Situation in der Industrie- und Gewerbeversicherung.“ Darauf hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), Dr. Guido Bader, heute zur Eröffnung der ersten e-Herbsttagung der Vereinigung hingewiesen.

Auf der einen Seite sei die zunächst befürchtete Übersterblichkeit bislang glücklicherweise ausgeblieben, sodass sich das Jahr 2020 bei den Todesfallzahlen noch immer im normalen statistischen Schwankungsbereich bewege. „Positiv für die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer ist darüber hinaus, dass der befürchtete Mittelabfluss ausgeblieben ist“, so Dr. Bader weiter. Denn nur zu Beginn der Pandemie hätten sich die Stornoquoten kurzzeitig und geringfügig erhöht.

Vielmehr beantragten einige Kund*innen Stundungen ihrer Zahlungen oder stellten ihre Verträge für einige Monate beitragsfrei. Aber inzwischen habe die Mehrheit ihre Zahlungen schon wieder aufgenommen. „Liquiditätsrisiken haben daher zu keiner Zeit bestanden“, erläutert Dr. Bader.

Große Herausforderungen

Auf der anderen Seite stehe insbesondere die Gewerbe- und Industrieversicherung vor sehr großen Herausforderungen. „Durch den staatlich verordneten Lockdown über ganze Branchen hinweg kam es in der Veranstaltungsausfall- und der Betriebsschließungsversicherung teilweise zu einem Totalschaden bei 100 Prozent der Unternehmen“, beschreibt Dr. Bader das Problem. In welchem Umfang die jeweiligen Versicherer hier leisten, hängt natürlich von vielen individuellen Faktoren ab.

Generell gilt jedoch, dass eine solche Ausnahmesituation für niemanden vorhersehbar und schlussendlich in dieser Form auch nicht rein privatwirtschaftlich versicherbar ist. „Denn für eine derartige Absicherung müssten sich die Prämien nach unseren Berechnungen in der Betriebsschließungsversicherung grob gerechnet verzehnfachen. Einen solchen Vertrag würde wohl kein Unternehmen abschließen“, führt Dr. Bader aus. Entsprechend seien andere Absicherungskonzepte gefragt. „Deshalb unterstützen wir ausdrücklich den Gedanken eines Public-Private-Partnerships für den Versicherungsschutz im Pandemiefall. Aber hier sind noch sehr viele Fragen zu klären“, so Dr. Bader weiter.

Verwerfungen an den Kapitalmärkten

Insgesamt besorgt zeigt sich der DAV-Vorstandsvorsitzende über die Verwerfungen an den Kapitalmärkten: „Die coronabedingten massiven Anstiege der Staatsverschuldungen weltweit sowie die Ankaufprogramme der Zentralbanken haben die Zinsen, insbesondere in Europa und ganz speziell in Deutschland, auf Jahrzehnte auf extrem niedrigem Niveau einzementiert.“ Allein seit Beginn der Pandemie seien die sicheren Zinsen noch einmal um 20 bis 50 Basispunkte gesunken, was sich zunehmend auch in den Solvenzquoten der Lebensversicherer widerspiegle.

Auf diese Situation würden die Versicherer mit veränderten Garantiekonzepten in der Lebensversicherung und der betrieblichen Altersversorgung reagieren. „Wir leben in einer Welt, in der der sichere Zinssatz auf unabsehbare Zeit negativ ist. Ohne die Bereitschaft zu einem etwas höheren Risiko in der Altersvorsorge wird es künftig kaum noch eine Chance auf einen realen Wertzuwachs geben“, plädiert Dr. Bader abschließend für ein gesamtgesellschaftliches Umdenken.

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