Mehr als nur eine Frage des Kollektivs

Warum Telematiktarife ökonomisch spannend sind?

Doch notorische Raser werden vermutlich nie einen personalisierten Tarif wählen, wenn sie dadurch nicht besser, sondern wohl schlechter gestellt werden. Auch müssen Rabatte für den Kunden transparent und leicht verständlich aufbereitet werden. Ökonomisch können Telematiktarife aufgrund zwei weiterer Aspekte für einen Versicherer interessant sein. Erstens kann das Problem der extrem geringen Kundeninteraktion gelöst werden.

Durch das Öffnen der App wird der Kunde meist mit einem Rabatt und somit mit einem positiv besetztem Touchpoint konfrontiert. Es gibt starke Hinweise darauf, dass diese Kunden in dem stark wechselgeprägtem Geschäft der KfZ-Versicherung eine positive Beziehung zu ihrem Versicherer aufgebaut haben und die Wechselbereitschaft dadurch deutlich geringer ist. Zweitens kann der Versicherer versuchen, weitere digitale Services in der App anzubieten. Auch Drittanbieter könnten dort Dienste anbieten, zum Beispiel gegen Provision.

Krankenversicherung: Die ethische Komponente

Neben den Telematiktarifen wird in Bezug auf individualisierte Tarife auch sehr häufig die Gesundheitssparte genannt. Dort spielt die ethische Komponente natürlich eine deutlich größere Rolle. In Deutschland beispielsweise haben wir das Übereinkommen, dass jedem eine bezahlbare gesundheitliche Grundversorgung zusteht und davon niemand ausgeschlossen werden sollte. Doch wäre es nicht fair, dass jemand eine geringere Versicherungsprämie bezahlt, wenn er sich regelmäßig bewegt und ein gesundes Leben führt?

Schon heute bieten viele Krankenversicherer Bonusprogramme an oder bezuschussen präventive Sportangebote. Eine gute App, die dazu motiviert sich gesund zu verhalten und einen guten Überblick über die Sportangebote bereit hält, kann sich somit sowohl gesundheitlich als auch finanziell für den Kunden lohnen als auch für das Versicherungsunternehmen. Insbesondere in der Lebensversicherungssparte sind in den letzten Jahren Initiativen entstanden, die ihre Kunden durch digitale Angebote deutlich enger begleiten.

Wenn dies konsequent verfolgt wird, können Versicherer deutlich mehr sein als ein Risikoträger. Versicherer können sich als Partner für das gesundheitliche Wohlbefinden ihrer Kunden positionieren. Um entsprechende Programme auch in die Tarifierung der privaten Krankenversicherung zu integrieren, braucht es große Datenmengen. Auch gibt es noch keine jahre- beziehungsweise jahrzehntelangen Erfahrungswerte bezüglich der Auswirkung von zum Beispiel von Fitnesstrackern generierten Daten.

Ein wichtiges und maßgebliches Kriterium für den Erfolg von individualisierten Versicherungstarifen ist der Datenschutz und die Datensicherheit. Befragungen zeigen, dass viele Kunden sich heute noch sehr unwohl fühlen, private Daten zu teilen. Elementar ist es deshalb, dass die Daten der Versicherten strengsten Datenschutzkriterien unterliegen müssen. Viele Anbieter von Telematiktarifen übermitteln deshalb die Rohdaten an einen Drittanbieter.

Dem Versicherungsunternehmen wird nur angezeigt, wie hoch der Rabatt, der erzielte Score, des einzelnen Kunden ist. Eine detaillierte Einsicht erhält der Versicherer somit nicht. Auch besteht die Angst, dass die Datenweitergabe auch zum Nachteil des einzelnen Kunden genutzt werden kann. So glauben 45 Prozent der von Bitkom Befragten, dass individualisierte Tarife zu steigenden Versicherungsprämien führen werden.

Darüber hinaus befürchtet sogar jeder Zehnte unter diesen Bedingungen gar keine Versicherung mehr abschließen zu können. Diesen Befürchtungen liegt der nicht unbegründete Vorwurf der Risikoselektion zu Grunde. Wenn den gesunden Kunden ein Nachlass auf die Prämie gestattet wird, so müssen die Prämien für anfälligere Kunden steigen, so der Vorwurf. In Österreich sind deshalb verhaltensbasierte Prämien in der Krankenversicherung nicht erlaubt.

Kernziel der Digitalisierung: Kundenprobleme lösen

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Digitalisierung den Versicherungsunternehmen viele neue Möglichkeiten bietet, mit ihren Kunden zu interagieren. Digitalisierung und Technologie dürfen aber nie ein Selbstzweck sein.

Ziel jeder Initiative muss es sein, ein Kundenproblem zu lösen. Individualisierte Versicherungen können dafür ein Mittel sein. Wenn Fahranfänger von hohen Versicherungsprämien abgeschreckt werden, können Telematiktarife eine gute Lösung sein. Im Gesundheitsbereich zeigen viele Zahlen, dass Kunden deutlich vorsichtiger sind, etwaige Daten zu teilen.

Dort können Bonusprogramme ein erster Schritt sein, ein besseres Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Versicherung aufzubauen. Versicherer, insbesondere in der Lebensparte, sollten die Anonymität gegenüber ihren Kunden verlassen, und in erster Linie Gesundheitspartner sein.

Auch die neue elektronische Patientenakte kann perspektivisch viele Mehrwertdienste bieten. Fest steht: Versicherungen werden weiter, wie sie es seit Anbeginn tun, Daten nutzen. Der Umfang und die Qualität der Daten werden sich dabei aber einhergehend mit dem technologischen Fortschritt verändern.

Der Autor Fabian Nadler ist Bereichsleiter Digital Insurance & Insurtechs beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, Bitkom

Foto: Bitkom

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