Koalitionsvertrag: Die „Ampel“-Pläne in der Finanzpolitik und Finanzmarktregulierung

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Nachdem die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat, wirft Dr. Christian Waigel von der Kanzlei Waigel Rechtsanwälte einen Blick auf die regulatorischen und finanzpolitischen Aspekte des Koalitionsvertrages.

Seit zwei Wochen ist die neue Regierung im Amt. Grund genug, einen Blick in den Koalitionsvertrag zu werfen. Wir wollen Ihnen vor allem darstellen, was in der Finanzpolitik und Finanzmarktregulierung geplant ist.

Das Thema hat nicht die oberste politische Priorität, es findet sich ab Seite 168, ganz am Ende des Koalitionsvertrages. Dort sind die Ziele für die Finanzpolitik auf europäischer und nationaler Ebene sowie für die Finanzmarktregulierung zusammengetragen.

Lassen Sie mich mit einem Thema beginnen, dass nicht im Koalitionsvertrag steht, nämlich der Aufsicht für die Finanzanlagenvermittler. Sie sollten laut letztem Koalitionsvertrag noch unter die Aufsicht der BaFin geführt werden, davon ist keine Rede mehr.

Dr. Christian Waigel, Waigel Rechtsanwälte

Bankenunion

Die Bankenunion soll vollendet werden. Das Drei-Säulen-Modell der deutschen Bankenlandschaft mit vielen kleinen und mittleren, lokal verankerten Instituten und einigen größeren und international aufgestellten Instituten, wollen die Koalitionäre erhalten.

Eine gemeinsame europäische Einlagensicherung, die als dritte Säule der Bankenunion noch fehlt, wird nicht angestrebt. Vielmehr soll eine europäische „Rückversicherung“ für nationale Einlagensicherungssysteme geschaffen werden. Das steht aber unter der Voraussetzung, dass in den Bankbilanzen weitere Risiken abgebaut werden, das Abwicklungsregime für Institute erweitert wird und, etwas überraschend, die Institutssicherung für Sparkassen und Volksbanken erhalten bleibt. Zudem sollen Schritte vereinbart werden, um den „Staaten-Banken-Nexus“ zu begrenzen und einer übermäßige Konzentration von Staatsanleihen in den Bankbilanzen wirksam vorzubeugen.

Damit dürfte das Thema auf die lange Bank geschoben sein. Zwar gibt es bei der Reduzierung von Risiken in den Bankbilanzen Fortschritte, die Konzentration von Staatsanleihen in den Bankbilanzen wird aber angesichts der Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank und deren Weitergabe an die Institute eher zu- als abnehmen.

Die Kapitalmarktunion soll aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und vertieft werden, dazu sollen Barrieren für grenzüberschreitende Kapitalmarktgeschäfte in der EU abgebaut und der Zugang von KMU ́s zum Kapitalmarkt erleichtert werden. Auf EU-Ebene wollen sich die Koalitionäre dafür einsetzen, Unterschiede im Insolvenz-, Steuer-, Verbraucherschutz-, Aufsichts- und Gesellschaftsrecht abzubauen.

Bei der Überarbeitung von MiFID und MiFIR soll die „Markttransparenz“ gestärkt werden, um der Fragmentierung des europäischen Wertpapierhandels entgegen zu wirken. Was sich genauer dahinter verbirgt, bleibt offen.

Deutschland soll führender Startup Standort in Europa werden. Dazu soll eine „flexible Modulausgestaltung“ erreicht werden. Börsengänge und Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten (dual class shares) sollen für Wachstumsunternehmen und KMU ́s erleichtert werden.

Basel III/IV soll auf Basis der Vorschläge der EU-Kommission umgesetzt werden. Dabei soll Bankenaufsicht und Regulierung dem Grundsatz der Proportionalität entsprechen, um Wettbewerbsnachteile für kleinere Banken abzubauen. Zum Beispiel im SREP-Prozess und im Meldewesen soll es substantielle Erleichterungen für sehr gut kapitalisierte kleine und mittlere Banken mit risikoarmen Geschäftsmodellen geben. Die Koalition will eine „Evaluation der Wirksamkeit“ von Finanzregelungen im Hinblick auf Proportionalität, Finanzstabilität, Verbraucherschutz und Bürokratie vornehmen.

Im Hochfrequenzhandel sollen Verzerrungen durch geeignete Marktregeln begrenzt werden, eine Spekulation mit Nahrungsmittel soll durch die Absenkung der Positionslimits auf europäischer Ebene erreicht werden.

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Die Reform der BaFin soll fortgesetzt werden. Die BaFin soll als Arbeitgeberin attraktiver werden. Die Gründung, Übernahme, Umstrukturierung oder Kapitalstärkung von Banken und Finanzdienstleistern soll zügiger als bisher möglich sein.

Das wird spannend, da für Lizenzierungen oder Inhaberkontrollverfahren inzwischen leicht 9-10 Monate ins Land gehen können. Das hängt aus meiner Sicht auch mit der Beschleunigungsabsicht für sonstige Genehmigungsverfahren zusammen. Für Planung und Genehmigungen sieht die Koalition eine Beschleunigung vor, die Verfahrensdauer für Genehmigungen soll sich mindestens halbieren.

Prospekte sollen stärker standardisiert werden und die Fähigkeiten der BaFin bei der Prüfung von Vermögensanlageprospekten soll gestärkt werden.

Im grauen Kapitalmarkt wird die BaFin beauftragt, Regulierungslücken zu identifizieren. Meiner Einschätzung nach wird sich dies auf die Prospektprüfung beziehen. Schon in der Vergangenheit ist kritisiert worden, dass die BaFin Prospekte lediglich auf Vollständigkeit, nicht aber auf inhaltliche Plausibilität prüft. Adressiert werden könnten auch Verbriefungsgesellschaften, vor allem aus dem Ausland.

Sustainable Finance

Deutschland soll zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung gemacht werden. Dabei soll ein besonderer Augenmerk auf Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken gelegt werden. Angestrebt wird eine europäische Mindestanforderung im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings großer Ratingagenturen.

Auf europäischer Ebene sollen einheitliche Transparenzstandards für Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen gesetzt werden. Ökologische und soziale Werte sollen im Dialog mit der Wirtschaft in die bestehenden Rechnungslegungsstandards integriert werden, beginnend mit den Treibhausgasemissionen. Dazu soll auf europäischer Ebene eine „Corporate Sustainability Reporting Directive“ entwickelt werden.

Dieser Punkt ist für die Umsetzung des Gesamtprojektes Sustainable Finance von großer Bedeutung, weil das Projekt ohne Informationen und Daten aus der Realindustrie zum Scheitern verurteilt ist.

Zusätzlich soll eine Sustainable Finance Strategie implementiert werden und die Tätigkeit des Sustainable Finance Beirats fortgesetzt werden.

Geldwäsche

Einen bemerkenswerten Stellenwert nimmt der Kampf gegen die Geldwäsche ein. Es sollen zwischen Bund, Ländern und der EU abgestimmte Strategien entwickelt werden. Zuständigkeiten sollen überprüft werden. Für besonders „finanzmarktnahe“ Verpflichtete soll die Geldwäscheaufsicht auf die BaFin übertragen werden. Das betrifft wahrscheinlich Anwälte, bei denen die Geldwäschekontrolle noch von der Anwaltskammer durchgeführt wird.

Geldwäscheverdachtsmeldungen aus dem Nicht-Finanzbereich sollen erleichtert werden. Die illegale Finanzierung von Immobilien soll bekämpft werden. Dazu soll ein Versteuerungsnachweis für gewerbliche Immobilenkäufer aus dem Ausland sowie ein Verbot des Erwerbs von Immobilien mit Bargeld eingeführt werden.

Die Geldwäscherichtlinie soll durch eine Geldwäscheverordnung ersetzt werden. Ziel ist es, den Kampf gegen Geldwäsche europaweit effizienter zu gestalten und Lücken zu schließen. Dazu soll eine effektive und unabhängige EU- Geldwäschebehörde mit Sitz in Frankfurt eingeführt werden. Diese soll sich nicht nur um den klassischen Finanzsektor kümmern, sondern auch den Missbrauch von Kryptowerten für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindern.

Auf nationaler Ebene soll die FIU Befugnisse bekommen und Verbindungsbeamte aus den Landeskriminalämtern sollen dort tätig werden. Die Qualität der Meldungen soll verbessert werden, indem Verpflichtete auch Rückmeldungen erhalten.

Um der jetzt schon bestehenden Flut von Geldwäscheverdachtsanzeigen Herr zu werden, ist unter anderem vorgesehen, den Zoll moderner und digitaler aufzustellen, damit er Finanzkriminalität effizienter verfolgen kann. Dafür sollen Aus- und Weiterbildungskapazitäten geschaffen werden, ebenso wie IT-Verfahren und bürokratieärmere Verfahren umgesetzt werden.

Es bleibt daher sehr vage, inwieweit die mehr als 100.000 Geldwäscheverdachtsanzeigen pro Jahr sinnvoll und effizienter ausgewertet weden.

Zuständigkeiten in der Bundesregierung

Für die europäischen Regulierungsthemen ist die Zusammensetzung der Bundesregierung von entscheidender Bedeutung. Von MiFID III bis Basel IV wird die Kommission Vorschläge erstellen, vor allem Entwürfe für delegierte Rechtsakte. Diese Vorschläge gelten als angenommen, wenn nicht die Mitgliedstaaten im Rat mit Mehrheit (bei manchen Vorschlägen sogar mit zweidrittel Mehrheit) oder das europäische Parlament mit Mehrheit widersprechen. Vor allem im Ministerrat wäre dafür eine entsprechende Positionierung der Bundesregierung erforderlich. Wird aber in der Bundesregierung kein Konsens erzielt, erfolgt ein „German Vote“, dass heißt eine Enthaltung.

Die europapolitische Koordinierung erfolgt im Bundeswirtschaftsministerium und dort wird die Runde der Abteilungsleiter durch den Staatssekretär Sven Giegold vom Bündnis 90/die Grünen und Udo Philipp, ebenso Bündnis 90/die Grünen, koordiniert. Die von manchen erhoffte marktwirtschaftliche Stimme der FDP aus dem Bundesfinanzministerium wird daher oft ins Leere gehen. Sollte aus dem FDP geführten Finanzministerium Widerspruch gegen einen geplanten europäischen Rechtsakt erhoben werden, kann das aus dem Bundeswirtschaftsministerium pariert werden, gibt es keinen Konsens wird Deutschland sich enthalten. Das Bundeswirtschaftsministerium kann dafür sorgen, dass europäische Initiativen ungebremst beschlossen werden.

Fintechs

Deutschland soll zu einem führenden Standort für Fintechs, Insurtechs, Plattformen, Neobroker und weitere Ideengeber ausgebaut werden. Chancen aus neuen Technologien, wie z.B. der Block Chain, sollen genutzt werden, Risiken identifiziert und ein angemessener regulatorischer Rahmen geschaffen werden.

(Leider nur-) Für Fintechs sollen effektive und zügige Genehmigungsverfahren geschaffen werden.

Digitale Finanzdienstleistungen sollen ohne Medienbrüche funktionieren, dafür soll ein Rechtsrahmen geschaffen werden und die Möglichkeit zur Emission elektronischer Wertpapiere auch für Aktien geschaffen werden.

Die Einführung eines digitalen Euros soll konstruktiv begleitet werden. Ein barrierefreier Zugang für digitale Finanzdienstleistungen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher soll erreicht werden.

Interessant ist die Schaffung von Carbon Contracts for Difference (Klimaverträge, CCfD). Dadurch soll die Grundstoffindustrie unterstützt werden, und für die Erreichung der Klimaziele ausreichende Instrumente geschaffen werden.

Unternehmensrecht

Nach dem in der letzten Legislaturperiode das Unternehmensstrafrecht mit dem Verbandssanktionengesetz nicht mehr zustande kam, wird das Vorhaben neu aufgegriffen. Die Vorschriften für Unternehmenssanktionen sollen einschließlich der Sanktionshöhe überarbeitet werden und die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten verbessert werden.

Für interne Untersuchungen im Unternehmen werden präzise Rechtsrahmen geschaffen. Dazu wird auch die Whistleblower-Richtlinie umgesetzt.

Die Gründung von Gesellschaften soll digital ermöglicht werden, durch Beurkundungen per Videokommunikation, auch bei der Gründung mit Sacheinlagen. Dauerhaft sollen Online-Hauptversammlungen uneingeschränkt möglich gemacht werden.

Verbraucherschutz

Im Digitalbereich sollen elektronische Widerrufbuttons verpflichtend gemacht werden. Bei Dauerschuldverhältnissen, z.B. zur Warenlieferung oder der regelmäßigen Erbringung von Dienstleistungen, soll ein monatlicher Kostenausweis eingeführt werden. Abonnementverträge sollen immer nach einem Jahr kündbar werden.

In Produktionsprozess soll „Nachhaltigkeit by Design“ zum Standard werden. Dazu soll die Lebensdauer und Reparierbarkeit von Produkten zu einem erkennbaren Merkmal der Produkteigenschaft werden. Der Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen soll sichergestellt werden, ebenso sollen Hersteller während der üblichen Nutzungszeit Updates bereitstellen.

Umgang mit Daten und Datenrecht

Der Datenschutz wird betont. Gleichzeitig sollen aber Dateninfrastrukturen aufgebaut werden. Dazu sollen Instrumente wie Datentreuhänder, Datendrehscheiben und Datenspenden gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht werden. Angestrebt ist ein besserer Zugang zu Daten, insbesondere für Startups, KMU ́s und neue innovative Geschäftsmodelle, die soziale Innovationen in der Digitalisierung ermöglichen sollen.

Familienrecht

Erlauben Sie mir einen kurzen Ausflug zu den Vorhaben für das Familienrecht. In diesem Bereich sind große Neuerungen zu erwarten. Es wird ein sogenanntes „kleines Sorgerecht“ eingeführt. Im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern soll dieses auf bis zu zwei Erwachsene übertragen werden können. Diese zusätzlichen Personen können dann Verantwortung für ihre Schützlinge übernehmen, was mit rechtlichen Befugnissen einhergeht.

Mit der Einführung der „Verantwortungsgemeinschaft“ soll unser Familienrecht an die gesellschaftliche Realität angepasst werden. Jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe soll es zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglicht werden, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Auch ohne Heirat wäre es dann möglich, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Das Bedürfnis entsteht z.B. bei schwerer Krankheit, Unfällen, Altersdemenz und ähnlichen Konstellationen, in denen oft ungeklärt ist, wer nun Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen soll.

Die spannende Frage dabei wird sein, ob sich dieses Instrument dann auch in das Erbrecht oder z.B. das Steuerrecht erstreckt, z.B. mit entsprechenden Pflichtteilsrechten, Freibeträgen und ähnlichem. Nutzen können das Instrument viele, von Nachbarn bis zum Pfarrer und seiner Haushälterin. Durch das Aufbrechen des traditionellen Familienbildes ist diese Erweiterung überfällig.

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