Neustart oder Abstellgleis? Experten diskutieren über die Riester-Rente

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Kommt der politische Kurswechsel bei der Riester-Rente?

Zum 1. Januar 2022 sinkt der Garantiezins auf 0,25 Prozent. Die Ankündigung hat vor dem Hintergrund der Bundestagswahl die Debatte um die Zukunft der Riester-Rente angefacht. In einer Diskussionsrunde des Hamburger Unternehmermagazins DUP zeigten sich Branchenexperten überzeugt, dass ein Kurswechsel möglich wäre.

Die Riester-Rente galt, gerade auch wegen der steuerlichen Förderung, für Menschen mit geringerem Einkommen lange als Königsweg in der Altersvorsorge. Doch mit den seit Jahren sinkenden Garantiezinsen mehren sich Zweifel an der Rentabilität. „Es ist eine Herausforderung für Versicherer, bei einem sehr niedrigen Zinssatz die zugesagten Garantien zu erwirtschaften“, sagt Maximilian Buddecke, Vorstandsmitglied der Bayerische ProKunde AG, dem Exklusivvertrieb der Bayerischen im Roundtable-Gespräch des DUP Unternehmer-Magazins.

„Durch die Garantiezinssenkung können viele Versicherer Riester nicht mehr oder nur zu langen Laufzeiten oder hohen Beiträgen anbieten. Und das widerspricht dem eigentlichen Konzept von Riester, die Rentenlücke vor allem auch für Geringverdiener auszugleichen“, so Buddecks. Darum habe er Verständnis, wenn einige Anbieter dieses Wagnis nicht eingehen wollten und sich aus dem Markt zurückziehen. “Natürlich gibt es einen Reformbedarf und ich hoffe, dass wir eine Lösung finden, das Modell zukunftsfähig zu machen.“

Gleichwoh stoßen die Mahnungen und Argumente der Versicherungswirtschaft auf wenig Gehör. Die Äußerungen, die aus den verschiedenen politischen Lagern kommen, machen vielmehr den Anschein, dass man derzeit nicht gewillt ist, die Vorsorgelösung an die veränderte Lage anpassen zu wollen.

Internationales Erfolgsmodell

Peter Schwark, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, äußerte in der Diskussionsrunde des Hamburger Magazins Bedauern über die politische Marschroute. „Immerhin haben wir mit 16 Millionen Riester-Verträgen ein internationales Erfolgsmodell“. Schwark zeigt sich überzeugt, dass sich Riester reformieren lasse.

Ein Manko sei die Komplexität des Produktes, sekundiert Peter Bofinger, Professor an der Universität Würzburg. „Die ist viel zu hoch“, sagt der ehemalige Wirtschaftsweise. Zustimmung kommt von Buddecke. Die Bayerische unterstütze die Entbürokratisierung. Er zeigt sich überzeugt, dass die Digitalisierung der Abschluss- und Verwaltungsprozesse jedenfalls in den Kosten niederschlagen. „Der Gedanke hinter Riester ist letztlich, ein niedrigschwelliges Angebot zu schaffen, die Menschen in die private Vorsorgezu bringen. Dieses sehen wir nicht nur als vertriebliches, sondern auch als gesamtgesellschaftliches Ziel“, so Buddecke. (Hier geht es zur Diskussionsrunde)

DUP-Roundtable bestätigt Cash.-Recherchen

Die Aussagen der Diskussionsrunde des DUP Unternehmer-Magazins bestätigten die Recherchen der Cash.-Redaktion über die Zukunft der Riester-Rente. So stellte in einem Mitte Juni erschienen Beitrag („Riester-Rente: Das Auslaufmodell?“) Professor Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) klar, dass sich die Riester-Rente hinsichtlich Rentabilität, Marktdurchdringung und der Kundengruppen sowie die Verbreitung sehr wohl lohne. Auch heute noch.

„Die Riester-Rente lohnt sich für die viele Menschen, insbesondere für Geringverdiener und Familien mit mehreren Kindern“, bestätigt Hauer gegenüber Cash. „Unsere Berechnungen auf der Basis von etwa 57.000 bestehenden Riester-Verträgen, die sich in der Auszahlung befinden, zeigen, dass man nach durchschnittlich 14 bis 16 Jahren die eingezahlten Eigenbeiträge zurückerhält – abhängig von der Beitragsdauer. Das heißt, bei Rentenbeginn mit 62 hat man mit spätestens 78 seine Eigenbeiträge zurückbekommen“, sagt Hauer.

„Das Konstrukt wurde „typisch deutsch“ zu perfekt gemacht und ist daher sehr komplex. Im Jahr 2005 gab es dann eine große Riester-Reform, die zu mehr Schwung führte“, so Hauer. Mit den Änderungen im Zuge des Alterseinkünftegesetzes, der Reduzierung der Zertifizierungskriterien, der Einführung des Wohn-Riester sowie weiterer Vereinfachungen kam der Durchbruch. Heute existieren 16,37 Millionen Riester Verträge. Weitere Reformen blieben allerdings aus.

Diese Reformen wären fällig

Nach Aussage von Hauer hätte längst der maximal absetzbare Sonderbeitrag in Höhe von 2.100 Euro inflationsbedingt angepasst werden müssen. Überfällig sei zudem eine Vereinfachung der Zulagenregelung.
Klaus Morgenstern, Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) fordert darüber hinaus die Abschaffung der unsinnigen Unterteilung von mittel- und unmittelbarer Förderung.

„Es sollte die einfache Regelung gelten: Wer in Deutschland Steuern zahlt, darf auch die geförderte Riester-Rente in Anspruch nehmen. Außerdem sollte das Geld direkt in den Sparvertrag fließen, aber erst dann, wenn geprüft wurde, dass die Voraussetzungen vorliegen.“

Damit würden auch die vielen Verdruss stiftenden Rückforderungen entfallen. Absolute Priorität hat für beide Experten darüber hinaus die Abschaffung der Bruttobeitragsgarantie und statt dessen Produkte mit einer 70- oder 80-Prozent-Garantie und zusätzlich die Option, gänzlich auf Garantien zu verzichten, falls der Sparer das möchte.

Das bekannte Problem: Bruttobeitragsgarantie

„In der aktuelle Niedrigzinsphase sind die Kosten für die Garantieerzeugung relativ hoch. Daher gilt für mich: je mehr in Aktienfonds investiert wird, desto besser“, fordert IVFP-Geschäftsführer Hauer. Martin Gräfer, Vorstandsmitglied der Versicherungsgruppe Die Bayerische, sieht vor allem die Politik am Zug.

„Die ergänzende Altersvorsorge war eine große Innovation im Rahmen der Reform der Altersvorsorge in Deutschland. Und sie ist sicher eines der erfolgreichsten, staatlich geförderten Formate zur ergänzenden, freiwilligen Altersvorsorge weltweit. Allerdings ist es unstrittig, dass Riester reformiert werden muss. Einmal, weil es letztlich zu komplex in der Abwicklung ist, aber noch viel mehr, weil die Minuszins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) die Märkte gezielt beeinflusst und aufgrund dieser neuen Realität auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge neu gedacht werden muss.“

Gerade die unter dem Durchschnitt liegenden Einkommensbezieher benötigten die Riester-Rente ganz besonders. Zudem profitieren auch alle Steuerzahler. „Denn der Zuschuss zu Riester ist deutlich geringer als später ganzen Generationen im Alter eine staatliche Grundförderung zu finanzieren. Zu Zeiten von Walter Riester hat man sehr langfristig und umsichtig gedacht und gehandelt. Heutigen Politikern gerade bei SPD und Grünen scheint diese Umsicht abhandengekommen zu sein, zumindest wenn es sich um Rentenpolitik handelt. Ich hoffe, dass das SPD geführte Finanzministerium hier kein strategisches Kalkül verfolgt“,so der Bayerische-Vorstand. Ähnlich hatten sich zuvor bereits die Deutsche Aktuarvereinigung geäußert und auf eine Reform gedrängt.

Politisches Kalkül?

Warum aber geht der Gesetzgeber die nötigen Änderungen nicht an? „Es ist aus meiner Sicht politisches Kalkül, die Riester-Rente abzuschaffen. Insbesondere die SPD und die Grünen, die die Riester-Rente gemeinsam eingeführt haben, möchten jetzt offensichtlich diesen Förderweg ,gegen die Wand’ fahren“, vermutet Hauer.

Das Verhalten sei ein Vorgeschmack, auf Rot-Grün in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, falls sie ans Ruder kämen. Dies sei insbesondere deshalb verwunderlich, da die Riester-Förderung die einzige Förderung für Geringverdiener und Familien mit mehreren Kindern sei, die durch Zulagen und nicht nur über Steuerersparnis funktioniere.

Für Gutverdiener über circa 40.000 Euro Bruttoverdienst bei Ledigen und 80.000 Euro bei Verheirateten lohne sich die Rürup-Rente ohnehin viel mehr. „Das heißt, die SPD und die Grünen schießen genau die Förderung für den Personenkreis ab, den sie eigentlich stützen möchten. Dies kann man nur mit fachlicher Unkenntnis erklären“, so Hauer.

Ein Dolchstoß für die Riester-Rente?

Zustimmung kommt vom Morgenstern: „Der Verdacht liegt schon nahe, dass man mit einem Kapitel der einstiegen Schröder-Regierung abschließen möchte. Es waren ja schon Stimmen aus dem sozialdemokratischen Lager zu vernehmen, wonach die Riester-Rente tot sei. Mit ihrer Verweigerung macht sich die SPD nun selbst zum Totengräber dieser Altersvorsorgereform, für deren Geburtsfehler sie die Verantwortung trägt.“ Ein Dolchstoß für die Riester-Rente.

„Das Produkt darf nicht beerdigt werden. Es ist die richtige Ergänzung zur gesetzlichen Altersvorsorge. Insbesondere die Förderung für Geringverdiener, der Alleinerziehenden und der Familien begeistern mich. Und ich finde es sozialpolitisch auch richtig. Das leistet in dieser Form eben nur die Ergänzung der gesetzlichen Rente“, so Gräfer gegenüber Cash. Damit das Produkt eine Zukunft habe, müsse die Beitragsgarantie überarbeitet werden. Blieben die geforderten Änderungen aus, dürften nicht wenige Anbieter das Riester-Neugeschäft einstellen.

Laut Gräfer sorgt die Diskussion zudem für Verunsicherung bei den Kunden. Und bringt den Vertrieb in die Schusslinie: Beraterinnen und Berater würden völlig zu unrecht kritisiert und beleidigt. „Die Diskussion, die offenbar nur noch in Talkshows und Comedy-Sendungen geführt wird, mag lustig klingen, ist aber eher absurd. Das Thema muss schleunigst auf sichere und stabile Füße gestellt werden“, fordert der Vorstand.
Bleibt die Reform aus, rät IVFP-Geschäftsführer Hauer allen Ledigen, die unter 40.000 Euro Brutto verdienen (bei Verheirateten das Doppelte), in jedem Fall noch die Riester-Rente abschließen.

Darüber hinaus sei die Basisrente (Rürup-Rente) empfehlenswert, da sie für diesen Personenkreis mehr Vorteile habe. „Für bestehende Verträge gilt: auf jeden Fall halten und die einzigartige Förderung weiter mitnehmen“, so Hauer. Ob es ab 2022 noch die Riester-Rente gebe, hänge vom Wahlausgang ab. „Rot-Grün wird die Geringverdiener bei ihrer Altersvorsorge im Stich lassen“, glaubt jedenfalls Hauer.

Wie unverlässlich ist die Politik?

Die Signalwirkung wäre jedoch fatal. „Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik. Altersvorsorgesysteme sind auf Jahrzehnte ausgelegt. Entscheidungen haben also eine Wirkung weit in die Zukunft“, sagt Morgenstern. Daher dürfe man nicht alle 20 Jahre ein neues System erfinden.

„Wenn Mängel und Fehler auftreten, muss man sie beheben und nicht gleich das ganze System verwerfen. Das war übrigens bei der gesetzliche Rente immer der Fall. Sie wurde durch eine Vielzahl an Reformen immer wieder auf die Höhe der Zeit gebracht. Genau so sollte sich die Politik auch bei den Systemen in der dritten Säule der Alterssicherung verhalten.“ (dr)

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