Insurfox-Gründerinnen im Interview: „Wie ein Tanker, der auf der Elbe wenden möchte“

Foto: Insurfox
Sara Paul (links) und Sina Schlosser

Cash.-Interview mit Sina Schlosser (CEO) und Sara Paul (CPO) von Insurfox über das Geschäftsmodell des Insurtechs, die digitalen Bemühungen der klassischen Versicherer und die Perspektiven für Insurtech-Startups.

Insurfox ist ein relativ junges Insurtech-Startup, gegründet im Jahr 2019. Was machen Sie genau?

Schlosser: Wir digitalisieren und vereinfachen die grundlegenden Prozesse in der Versicherungsbranche. Durch unsere intelligente Plattform gestalten wir den Abschluss, die Verwaltung von Verträgen sowie die Schadensregulierung für alle Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer einfacher und kundenfreundlicher. Der Nutzen ist hier für beide Seiten enorm: Einerseits wird die Versicherung für den Nutzer einfacher und schneller verfügbar und andererseits profitieren Versicherungsgesellschaften von der Digitalisierung und Harmonisierung der Prozesse. Insurfox tritt im B2B-Markt sowohl als Agent/Assekuradeur als auch als Dienstleister/Plattform auf.

Die Zahl der Insurtechs in Deutschland ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wodurch unterscheiden Sie sich von den Mitbewerbern, was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?

Paul: Das Besondere ist, dass Insurfox nicht nur als Versicherungsagent auftritt, sondern auch als Plattform für alle anderen Marktteilnehmer und dabei das Versicherungsprinzip mit Innovation verbindet. Insurfox revolutioniert Versicherungsabschluss und -verwaltung. Wir bieten größtmögliche Individualität für den Bedarf unserer Kunden bei maximal standardisierten Prozessen. Wir sind unabhängig von Versicherungsgesellschaften und gehen vertraulich mit Kundendaten um. Wir sind einfach und schnell und dabei zugleich qualitativ hochwertig und sicher. Da das Angebot elektronisch unterschrieben wird, sind Dokumente wie Versicherungspolicen und -bestätigungen sofort online in validierter Form abrufbar. Schadenfallmeldungen erfolgen online mit nur geringem Zeitaufwand. Und durch unsere cloudbasierte Technologie ist die Einsicht und Verwaltung der Daten jederzeit und überall möglich. Wir fokussieren uns zunächst auf die Transport-, Logistik- und Mobilitätsbranche im B2B-Bereich. Wir digitalisieren dabei die gängigen Industrieprodukte, also die Old Economy. Wir erfinden somit das Versicherungsprinzip nicht neu. Stattdessen heben wir es in einem neuen Gewand auf ein modernes, digitales Level und passen es so dem digitalen Zeitalter an. Wir machen es also einfach besser. Das liegt vor allem auch an der vorhandenen Fachkompetenz im B2B-Segment.

Ist Insurfox unabhängig? Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen?

Schlosser: Unsere zukünftigen Partner sollen lediglich das Risiko tragen. Wir agieren also enorm unabhängig. Für unsere auf den Markt zugeschnittenen Produkte machen wir eigenverantwortlich die gesamte Administration und das digital enorm reduziert. Im Moment stehen wir in Verhandlungen mit einer großen Versicherung aus dem Transport- und Logistikmarkt. Die Verhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss.

Sie wollen demnächst mit Ihrer Plattform und mit Ihrem ersten Produkt live gehen. Wann und wie ist der Markteinstieg konkret geplant?

Paul: Im Juni wird der Markteinstieg im ersten Schritt über die Mobilitäts-, Transport- und Logistikbranche mit großen und mittelgroßen Unternehmen stattfinden. Zusammen mit einem großen, internationalen Spediteur und dessen Subunternehmern werden wir unsere erstes Produkt, eine CMR-/Frachtführerhaftungsversicherung, testen und vom MVP („Minimum Viable Product“) aus weiterentwickeln. Mit demselben Strategen werden wir dann auch die Folgeprodukte zusammen entwickeln und schrittweise auf den Markt bringen. Glücklicherweise verfügen wir über ein jahrelang aufgebautes Netzwerk von Entscheidern auf Vorstandsebene im Transport- und Logistikbereich.

Würden Sie die Insurtechs nach den Erfahrungen des letzten Jahres als Gewinner der Corona-Pandemie bezeichnen, weil sie komplett digital aufgestellt sind?

Schlosser: Schon vor Corona war das Thema der Prozessoptimierung, insbesondere in der personal- und zeitintensiven Schadenabwicklung, der große „Pain Point“ der Branche. Gerade in der Finanzdienstleistungsbranche sind selbst bei Konzernen noch wichtige Prozesse wortwörtlich „Paperwork“ und damit auch Zeitfresser. In diesen Bereichen werden in den nächsten fünf Jahren schätzungsweise bis zu 50 Prozent Personal abgebaut werden. Also ja, Corona hat auf die Finanzdienstleistungsbranche in punkto digitaler Transformation regelrecht als ein Brandbeschleuniger gewirkt. Und da Insurtechs von Beginn an digital aufgestellt sind, sind sie in jedem Fall die Gewinner der Corona-Pandemie, die das Tempo der Digitalisierung in der Wirtschaft in allen Branchen vorantreiben.

Im Herbst 2020 musste mit Getsurance allerdings auch ein sehr namhaftes Insurtech Insolvenz anmelden. Nur ein prominenter Einzelfall oder werden weitere Insolvenzen folgen?

Paul: Natürlich fällt die Quote der Insolvenzen bei Insurtechs und Fintechs nicht geringer aus als in anderen Branchen der Startup-Szene. Dennoch sehen wir bei uns das Risiko einer Insolvenz gering, da wir uns aus einem Familienunternehmen entwickelt haben und damit bereits über jahrzehntelange Erfahrung in unserem speziellen Marktsegment verfügen. Alle unsere Produkte sind bereits fester Bestandteil der Branche. Wir gestalten sie lediglich einfacher und kostengünstiger und bieten damit nur Vorteile für alle Marktteilnehmer.

Auch klassische Versicherer haben corona-bedingt ihre digitalen Bemühungen verstärkt. Geht den Insurtechs damit auf Dauer ihr Alleinstellungsmerkmal verloren?

Schlosser: Sie müssen sich einen klassischen Versicherer, der versucht seine bestehenden Prozesse zu digitalisieren, wie einen Tanker vorstellen, der auf der Elbe wenden möchte. Sicherlich wird an verschiedenen Bereichen digitalisiert, aber die vorhanden Softwaresysteme sind bei fast jedem Versicherer individuell und veraltet. In den letzten Jahren sind fast alle Bemühungen gescheitert, diese Systeme grundlegend zu digitalisieren. Hinzu kommt, das klassische Versicherer mit ihren großen Verwaltungsthemen Probleme damit haben, wie ein Startup auf der grünen Wiese über eine agile Entwicklung völlig neue Prozesse abzubilden. In der Startup-Welt ist es inzwischen durchaus üblich, dass die Software auf sicheren cloudbasierten Systemen wie AWS entwickelt wird. Davon sind die klassischen Versicherer meilenweit entfernt. Zusätzlich herrscht ein großer Konflikt durch die hauseigenen Entwickler, die in der Regel neuen Systemen, die von außen mitentwickelt werden, negativ gegenüberstehen. Insurfox ist nicht nur im Management fachlich sehr gut aufgestellt, sondern auch das Entwicklungs-, Design- und Marketingteam erfüllen höchste Ansprüche und bringen neueste Technologien zum Einsatz.

Auch wenn es heute noch unsere Vorstellungskraft sprengen mag, könnte es dennoch in einigen Jahren KI-Systeme geben, die auch zu komplexen Produkten wie Berufsunfähigkeit oder betriebliche Altersversorgung beraten können. Werden sich künftig alle Versicherungsprodukte digital anbieten und vertreiben lassen?

Paul: Aus unserer Sicht wird ein Insurtech-Startup nur dann erfolgreich sein, wenn es wie ein Hybrid arbeitet, das heißt der gesamte administrative Bereich wird schrittweise komplett digital und natürlich unter zur Hilfenahme von KI-Systemen im Back-End zusätzliche Vertriebs- und Produktmöglichkeiten eröffnen. Allerdings werden die Bereiche Service und Vertrieb immer in der Erstansprache und Betreuung, insbesondere in unserem B2B-Marktsegment, analog bleiben. Somit werden wir zukünftig immer zu 20 Prozent analog und zu 80 Prozent digital arbeiten.

Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.

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