Haben politische Börsen immer nur kurze Beine?

In der Tat kann die Geldpolitik viel, sie kann sogar die an sich epochale italienische Bankenkrise mit einem Schnipp verschwinden lassen wie Zauberer David Copperfield Eisenbahnwagons. Dazu muss sie zwar ihr Mandat mit stillschweigender Duldung der Politik – die gespielte Kritik der vielen Empörungsbeauftragten sollte niemand wirklich ernst nehmen – ein wenig ausdehnen. Nein, das ist zu brav formuliert. Die EZB allein bestimmt, wo das Mandat endet. Und es endet dort, wo selbst das Raumschiff Enterprise noch nicht hingekommen: Am Ende des Weltalls.

Aber kann eine EZB die politischen Beine auch längerfristig kurz halten? Mittlerweile ist auch der Grenznutzen von Negativzinsen negativ. Die Kreditvergabe und die Konjunktur in Europa zeigen keine geldpolitische Wirkung. Die Waffen unserer Notenbank sind so stumpf, dass sie kaum Butter schneiden könnten. Natürlich liegt das hauptsächlich an unfähigen Politikern, die aus Angst vor ihrer Abwahl und ihrem Karriereende nichts für die nationalen Wirtschaftsstandorte tun. So bleibt hohe Arbeitslosigkeit ein schmerzlicher Charakterzug in der Eurozone. Und wer praktisch arbeitslos ist, wird sich theoretisch für eine Europäische Idee nicht wirklich erwärmen. Überhaupt, an jeder Ecke regen sich die Sparer auf, dass sie keine Zinsen mehr bekommen und damit ihre Altersvorsorge eine tickende sozialpolitische Zeitbombe ist.

Wenn Europa aber seine Bürger nicht „satt“ macht, macht es leider hungrig auf politische Veränderung in Richtung Extreme. Das würde den Aktienmärkten längerfristig politisch nicht gut tun.

Quo vadis, Türkei?

Neben Großbritannien hat die EU aber noch ein Beziehungsproblem zu einem Land, das gar nicht der EU angehört. Die Türkei ist als Nato-Land in geographisch bedeutender Lage und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise von geostrategischem Gewicht. Die türkische Regierung hat diese Rolle bereits bis dato tatkräftig für eigene Interessen ausgenutzt.

Der damit ohnehin bestehende Beziehungsstress hat sich durch den fehlgeschlagenen Putsch noch verschärft. Die türkische Staatsführung nimmt dieses grundsätzlich inakzeptable Ereignis zum Vorwand – als Gottes Geschenk – die demokratische Ordnung in der Türkei in große Unordnung zu bringen. Auf den militärischen folgt der zivile Putsch. Allein schon das Wort „Säuberung“ erinnert mich an die dunkelsten Zeiten in Europa. Wie viel Rechtsstaat steckt noch in einem Land, das ein Fünftel der Richter und Staatsanwälte und Tausende Staatsbedienstet absetzt, verhaftet bzw. „frühpensioniert“? Und das alles wenige Tage, wenn nicht Stunden nach dem Putschversuch. Wurde da etwa schon frühzeitig vorgefiltert? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die politische Türkei muss wissen, was sie tut. Wirtschaftspolitisch wird das Land die Knute der Investoren und Touristen zu spüren bekommen, die angesichts der prekären politischen Verfassung auf andere Regionen und Länder ausweichen. Politische und demokratische Stabilität ist nun einmal die erste Bring- und nicht Holschuld eines Staates für wirtschaftliche Prosperität. Man muss kein Freund von Rating-Agenturen sein, aber wird diese Bedingung nicht erfüllt, sind Herabstufungen gerechtfertigt.

Seite drei: Bewährungsprobe für die Wertegemeinschaft EU

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