Krisenmodus: 2017 leben wir in postfaktischen Finanzmärkten

Im nächsten Jahr sorgt ebenso die EZB für große politische Gefühle, für entspannte Ruhe im Euro-Karton. So hat Mario Draghi die Verlängerung der Anleihekäufe bis Ende 2017 nicht nur mit schwacher Konjunktur und Teuerung gerechtfertigt, sondern ganz klar mit dem Wahlkalender für 2017. Um Euro-feindliche Wahlergebnisse zu verhindern, verteilt die EZB üppige Geldspenden. Italexit & Co. sollen verhindert werden, denn dann wäre die Eurozone politisch kaputt. Damit passen geldpolitische Normalisierung und EZB auch 2017 zusammen wie das Weihwasser und der Teufel. Mit ihrer Politisierung ist die EZB zwar nicht mehr unabhängig. Aber was soll es, es geht doch um das große Ganze, den Zusammenhalt der Eurozone.

Schmerzfreie Bankenrettung über den Steuerzahler

Um neue Lehman-Momente wie 2008 bei europäischen Banken zu verhindern, werden die neuen strikten Bankenregeln pragmatisch ausgelegt, sozusagen mit Gefühl betrachtet.

Ja, Euroland ist nach allen Seiten offen, wenn stabilitätspolitisch damit allerdings auch nicht ganz dicht. Eigentlich sollte es zur eisernen Regel werden, dass der Staat, also die Steuerzahler, erst als letzte Instanz für die Haftung angeschlagener Banken aufkommen. Doch müssten private Anleger mit ihren Sparbüchern, Festgeldern und Bankanleihen für die Rettung von Banken bluten, kämen sie womöglich auf den Gedanken politisch falsch zu wählen. Bloß nicht! Regelkonforme Bankenpolitik gilt nur in Friedenszeiten, im Krieg sind alle Mittel erlaubt. Also müssen erneut die Steuerzahler ran. Aber immerhin werden ihre Schmerzen infolge der hierfür notwendigen Staatsneuverschuldung weiter mit günstigen Zinsen und Anleihekäufen seitens der EZB geheilt.

Wo kein Stabilitäts-Wille, da ein politischer Weg

Und so haben die Anleger 2017 das gute Gefühl, dass jede faktische Krise – selbst wenn die Schwankungsbreite bei Aktien zunehmen wird – mit Happy End umschifft werden kann. Es leben die postfaktischen Aktienbörsen mit der politischen Illusion einer heilen (Finanz-)Welt. Als Rheinländer erinnert mich das Ganze an den Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes: Et hätt noch emmer joot jejange!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

Foto: Baader Bank

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