Guido Bader: Vertrauen vor Vertrieb – wie wir die GenZ wirklich erreichen

Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender Stuttgarter Lebensversicherung
Foto: Stuttgarter Leben
Guido Bader: "Wir konkurrieren nicht mit dem Versprechen maximaler kurzfristiger Rendite, sondern mit Verlässlichkeit und Struktur in einer langen Zeitachse."

Die Generation Z informiert sich gründlich, vergleicht kritisch und entscheidet spät – besonders bei Geld- und Vorsorgethemen. Warum Vertrauen, Transparenz und Sinnstiftung entscheidender sind als Preisaktionen oder Hochglanzkampagnen. Die Cash.-Kolumne von Stuttgarter CEO Dr. Guido Bader.

Morgens in der S-Bahn, eine 26-Jährige scrollt vielleicht durch Finfluencer-Clips, mittags vergleicht sie Robo-Advisor, abends liegt der Bank-Flyer in der Küche. Sie weiß, dass sie etwas tun sollte. Aber je mehr Tabs auf dem Smartphone im Browser offen sind, desto schwerer fällt die Entscheidung: ETF oder doch etwas mit Versicherung? Was bedeuten Garantien konkret? Wie flexibel sind die angebotenen Lösungen bei Jobwechseln? Aus der Informationsfülle erwächst die Sorge, eine unpassende Entscheidung zu treffen. Ein Vertrauensproblem, das wir als Branche lösen müssen.

Dass viele junge Menschen in diesem Alter ähnlich zögern, zeigen aktuelle Zahlen: In einer Forsa-Erhebung für Visa und ING geben 83 Prozent der 18- bis 30-Jährigen an, sich vor Altersarmut zu sorgen. Zugleich fühlt sich nur etwa jeder Zweite finanziell wirklich fit und wer investiert, tut das häufig über ETFs und Wertpapiersparpläne. Also eher außerhalb klassischer Lebens- und Rentenpolicen. International zeichnet sich zudem ein Trend ab: Millennials und GenZ verzichten zunehmend auf Lebensversicherungen, wie der aktuelle World Life Insurance Report berichtet.


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Wir haben es mit einer Generation zu tun, die früh lernt, Preise zu vergleichen, Quellen zu bewerten und Entscheidungen zu vertagen, wenn das Risiko unklar bleibt. Dieser Pragmatismus ist keine prinzipielle Ablehnung der Altersvorsorge, sondern eine Einladung an uns, die Erwartungen präzise zu managen. Wenn wir die Situation ehrlich betrachten, sehen wir nicht die „unwillige Jugend“, sondern Kundinnen und Kunden, die ein hohes Bedürfnis nach Transparenz, Flexibilität und Sinn haben. Sie wollen verstehen, bevor sie sich binden. Und ich finde, sie dürfen erwarten, dass wir das möglich machen.

Es liegt nicht (nur) am Preis

Der Preis von Lebens- und Rentenversicherungen spielt eine Rolle, doch er erklärt die Zurückhaltung nur teilweise. Entscheidend sind in meinen Augen drei Hürden:

1. Die Komplexität unserer Produkte und der Regulierung.

2. Die Reputationslast einer Branche, in der zu oft über Provisionsmodelle statt über Kundennutzen diskutiert wurde.

3. Ein Vertrauensdefizit gegenüber klassischen Institutionen.

Junge Menschen sind an ständige Vergleichbarkeit gewöhnt. Was sie irritiert, sind unklare Kostenkomponenten, Fachbegriffe ohne Erläuterungen und Verkaufspraktiken, die mehr Druck als Orientierung erzeugen. Kosten lassen sich erklären, wenn sie in Leistung übersetzt sind. Fehlendes Vertrauen lässt sich hingegen nicht wegargumentieren – Vertrauen will schlicht verdient werden.

Wir sollten nüchtern bleiben: In den vergangenen Jahren sind Offenlegungspflichten gestiegen, Modellrechnungen wurden realistischer und viele Anbieter haben ihre Produkte transparenter gestaltet. Gleichzeitig kursieren im Netz alte Narrative und vereinfachende Gegensätze, die uns in ein Schwarz-Weiß-Raster drücken. Dagegen hilft keine Gegenrhetorik, sondern konsistente Praxis. Wenn Preise, Leistungen und Risiken nachvollziehbar sind, wenn Zusagen durch Prozesse gestützt werden und wenn Beschwerden nicht wegargumentiert, sondern gelöst werden, dann kann sich Skepsis in Zutrauen wandeln. Vertrauen ist also weniger eine Kommunikationsfrage als eine Frage der Basis, die die Kommunikation trägt.

Klartext: Was Produkte können und was nicht

Eine Lebensversicherung ist kein kurzfristiger Rendite-Kick, sondern eine langfristige Kombination aus Absicherung, disziplinierter Vorsorge und Services, die über Lebensphasen tragen. Genau darin liegt ihre Stärke: Sie verbindet Sparen mit Schutzmechanismen, die im Zweifel mehr wert sind als die letzte Stelle nach dem Komma. Diese Stärke entsteht jedoch nur, wenn wir sie verständlich machen. Das heißt, Nutzen und Grenzen offen benennen, ohne Fachjargon und ohne die Erwartung zu wecken, jede Marktphase werde automatisch mitgenommen. Wer die GenZ ernst nimmt, macht keine Heilsversprechen, sondern liefert Orientierung: Welche Bausteine gibt es? Was kostet welcher Schutz? Wo liegt das Risiko beim Kunden, wo beim Anbieter? Wie flexibel bin ich, wenn sich mein Leben ändert?

Gleichzeitig sollten wir Alternativen fair einordnen. Broker-Apps und ETF-Sparen punkten bei Kosten, Einfachheit und Eigenverantwortung. Das ist legitim und für viele Ziele sinnvoll. Unser Mehrwert entsteht dort, wo Absicherung, Garantieelemente und verhaltensökonomische Stabilität über Jahre den Ausschlag geben. Wir konkurrieren nicht mit dem Versprechen maximaler kurzfristiger Rendite, sondern mit Verlässlichkeit und Struktur in einer langen Zeitachse. Wenn wir diese Rolle klar annehmen, müssen wir niemanden überreden. Wir machen die Entscheidung möglich, weil sie verstanden wird.

Digital hilft, Vertrauen entscheidet

Eine exzellente digitale Infrastruktur wird zur Eintrittskarte. Ohne friktionsarme Abschlussstrecken, klare Benutzerführung, Self-Services und eine App, die Vertragsstand, Kosten, Optionen und Änderungen verständlich abbildet, dringen wir nicht zu dieser Generation vor. Digital ist der Kanal, in dem die GenZ recherchiert, vergleicht und den ersten Schritt macht. Doch der Schritt zum Abschluss fällt in einem Moment, der Vertrauen braucht. Dieser Moment entsteht, wenn ein Mensch als Berater Verantwortung übernimmt, Prioritäten sortiert, Zielkonflikte benennt und gemeinsam mit der Kundin oder dem Kunden die passende Lösung abwägt. Technologie kann sicherlich beschleunigen, strukturieren, visualisieren. Aus dem Dialog der Beratung entsteht jedoch die Qualität für die Entscheidung.

Darum braucht es eine hybride Journey, die beide Welten verbindet. Digitale Vorqualifizierung reduziert Komplexität, erklärt Grundbegriffe und simuliert Szenarien. Ein persönliches Gespräch – ob per Video oder vor Ort – klärt die wenigen, aber entscheidenden Fragen, die nicht automatisiert beantwortet werden sollten: finanzielle Belastbarkeit, Risikotoleranz, Lebenspläne. Nach dem Abschluss fungiert die App als Begleiter: Beitragsanpassungen, Transparenz über Entwicklung, Wirkung und Kosten sind jederzeit zugänglich.

Verantwortung sichtbar machen

Jüngere Generationen fragen nach dem Wie, nicht nur nach dem Was. Wenn wir langfristige Vorsorge empfehlen, müssen wir zeigen, dass wir selbst langfristig, ökologisch, sozial und ethisch belastbar handeln. Das beginnt intern: faire Arbeitsbedingungen, Weiterbildungsangebote, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, respektvoller Umgang mit Vertriebspartnern. Es setzt sich fort in der nachhaltigen Kapitalanlage: klare Ausschlusskriterien, nachvollziehbare Dekarbonisierungspfade, messbare CO2-Reduktionsziele und eine Berichterstattung, die nicht aus Marketingsätzen, sondern aus überprüfbaren Daten besteht. Für die GenZ ist Sinn kein Zusatznutzen, sondern Teil des Angebots. Wer dem gerecht wird, differenziert sich nicht nur kommunikativ, sondern strukturell: Durch Prozesse, die Transparenz ermöglichen, und durch Produkte, die Wirkung und Wirtschaftlichkeit zusammenbringen.

Selbstverständnis neu denken: Vom Verkäufer zum Versorger

Während der demografische Druck auf staatliche Systeme steigt, wächst unsere Rolle als Stabilitätsanker. Das verlangt ein anderes Selbstverständnis: weniger Abschlusslogik, mehr Begleitlogik. Beratung ist nicht der Endpunkt eines Funnels, sondern der Anfang einer Beziehung, die Lebensphasen überdauert – vom Berufsstart über Familiengründung bis zu Umbrüchen und Versorgungs-Pausen. Damit diese Haltung mehr ist als eine Überschrift, müssen wir Anreize neu justieren: Erfolg misst sich an Verständlichkeit, Vertragstreue, Zufriedenheit und Nutzungsgrad der Services, nicht nur an kurzfristigen Volumina. Dieses Selbstverständnis stärkt auch die Abschlussfähigkeit unserer Produkte. Modularität statt Überfrachtung und Starrheit. So wird der Einstieg einfacher, ohne die Qualität der Absicherung zu verwässern.

Einladung statt Abschlussdruck

Zurück zur 26-Jährigen: Sie entscheidet sich nicht, weil jemand lauter argumentiert hat, sondern weil sie verstanden hat, wofür sie zahlt, was sie bekommt und wie sie flexibel bleibt. Der Weg dorthin war keine Überredung, sondern eine Übersetzung der Komplexität in Klarheit. Genau das ist unser Auftrag. Wenn wir verständlich beraten, fair bepreisen, transparent handeln und die langfristigen Interessen der Kundinnen und Kunden über kurzfristige Kennzahlen stellen, kann aus dem Zögern dieses Generation Vertrauen werden. Aus Vertrauen werden Entscheidungen für uns und unsere Produkte. Und aus diesen Entscheidungen entsteht die Vorsorge, die unsere Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten braucht.

Autor Dr. Guido Bader ist CEO der Stuttgarter Lebensversicherung

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