Die Bröning-Kolumne: Ikarus Aktien – nach dem Höhenflug kam der Fall

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Tim Bröning, Fonds Finanz

Aktien von Unternehmen, die langfristig erfolgreich sind, sind auch aus Anlegersicht deutlich attraktiver als Papiere von Firmen, die nur den kurzfristigen Erfolg im Fokus haben. Tim Bröning von Fonds Finanz zeigt das anhand eines aktuellen Falls.

Wer langfristig investiert, hat ein intrinsisches Interesse, dass seine Portfoliounternehmen über den Anlagezeitraum die bestmögliche Zukunftsaussicht haben und ihre Gewinne steigern. Wer wäre nicht gerne über viele Jahrzehnte an Erfolgsstorys wie beispielsweise Apple, Coca-Cola, Nestlé, LVMH oder Microsoft als Investor beteiligt gewesen? Anleger leben im Idealfall in einer Symbiose mit den Unternehmen: Während die Firmen langfristig ihre Gewinne steigern und ihre Marktposition ausbauen, können sich Investoren über kletternde Kurse und oft auch regelmäßig steigende Dividenden freuen.

Bis vor kurzem gehörte auch der amerikanische Flugzeughersteller Boeing zu diesen Anlegerlieblingen. Doch Boeing, das seit Jahren in einer Krise steckt, steht als mahnendes Beispiel stellvertretend für Unternehmen, die angeblich im besten Interesse ihrer Anleger agieren, aber damit manchmal das Gegenteil erreichen. Im Falle von Boeing hatte der kurzfristige Erfolg, der auch im Namen des Shareholder-Values (Wertschöpfung für Aktionäre) gerechtfertigt wurde, Vorrang vor dem langfristigen Unternehmenswohl.


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Marktführer und Börsenkönig

Boeing brachte – und bringt teilweise noch heute – Grundlagen mit, von denen Langfrist-Investoren bei vielen anderen Aktien nur träumen: In einem Duopolmarkt, in dem nur der europäische Mitstreiter Airbus eine echte Konkurrenz bot, führte Boeing einst den Kurz- als auch Langstreckenmarkt mit einem Anteil von rund 60 % an. Als lukratives Zubrot erhält der in Seattle beheimatete Konzern zudem Aufträge aus dem US-Pentagon und von Verteidigungsbehörden weltweit. Mit einer Nettomarge von 10 % hatte Boeing zu Hochzeiten die doppelte Gewinnspanne des Branchendurchschnitts.

Den schärfsten Konkurrenten, Airbus, konnte Boeing in der Vergangenheit komfortabel hinter sich lassen. Die Europäer galten lange als schwerfälliger staatsnaher Konzern, der unter der Last der EU-Bürokratie wohl nie eine vergleichbare Marktkapitalisierung erzielen würde. Boeing stand in der Branche für eine exzellente Fehler- und Sicherheitskultur und war auch dadurch ein hochattraktiver Arbeitgeber. Die US-Luftfahrtbehörde FAA war so von der Eigenverantwortlichkeit des Unternehmens überzeugt, dass es einige Prüfinstanzen nicht mehr selbst verantwortete, sondern sie Boeing-Mitarbeitern anvertraute.

Doch die Verhältnisse haben sich neu geordnet. Boeing musste nicht nur die Marktführerschaft der Kurzstrecke abgeben, sondern wurde von Airbus auch beim Unternehmenswert überholt. 2018 und 2019 ereigneten sich zwei tödliche Abstürze der damals neuen Boeing 737 Max. Laut einem US-Untersuchungsausschuss waren diese Vorfälle, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen, auch auf Boeing-Managementfehler zurückzuführen. Kostendruck führte dazu, dass Redundanzen bei einem sicherheitskritischen, aber fehleranfälligen Sensor eingespart wurden. Außerdem wurden Piloten nicht ausreichend geschult.

Als der Sensor versagte, kam es zur Tragödie. An der Börse sorgten die Unglücke für einen Einbruch um knapp 30 %. Noch heftigere Turbulenzen erlebte Boeing im coronabedingten Markteinbruch 2020, als der Aktienkurs um 75 % fiel.  Seither konnte die Aktie nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Dazu trug auch ein weiterer Vorfall bei: Eine neue 737 Max verlor im Januar 2024 ein Rumpfpanel und musste notlanden. Vorläufige Untersuchungen deuten auf eine fehlerhafte Qualitätskontrolle als Ursache hin.

Kultur der Angst

Luftfahrt-Experten sehen den Grund für die wiederholten Mängel vor allem in einem Kulturwandel. Nach der Übernahme des Konkurrenten McDonnell Douglas in den späten 90er Jahren wurde die Führung bei Boeing paradoxerweise nach und nach durch die Manager des übernommenen Konzerns abgelöst. Letzterer hatte seit jeher einen größeren Fokus auf die Finanzkennzahlen, während Boeing bis dahin hauptsächlich mit einem Fokus auf die Produktentwicklung von den eigenen Ingenieuren geleitet wurde. In die Chef-Etage des Konzerns rückten zunehmend Zöglinge des legendären und für seine harten Managemententscheidungen bekannten General-Electric-Chefs Jack Welch auf. Für Außenstehende war das kosten- und profitbewusstere Handeln zunächst ein positives Zeichen, denn die alte Boeing-Führung hatte dies zeitweise aus den Augen verloren. Dass die neuen Manager den Gewinn dann mehr als verdoppelten und Rekord-Cash-Flows erzielten, sorgte bei Aktionären für Feierlaune. Doch die Führung schoss schließlich über das Ziel hinaus und schadete dem Shareholder-Value auf die lange Sicht.

Laut einem unabhängigen Report fürchteten sich Boeing-Ingenieure in den letzten Jahren, Fehler zu melden, wenn sie z. B. zu Lieferverzögerungen führen würden. Der Grund: Boeing kann die Ingenieure dafür bestrafen, unter anderem mit Gehaltskürzungen. Eine Kultur des langfristigen Erfolgs wurde offensichtlich vom kurzfristigen Fokus auf Kostenkontrolle abgelöst. Im Zusammenspiel mit einem hohen Cash-Flow, Dividenden und Aktienrückkäufen wurde das von vielen Anlegern als Aktionärsfreundlichkeit interpretiert. Tatsächlich war es ein Stück weit ein Bärendienst.

Boeing ist jedoch nur ein einzelnes, wenn auch sehr aktuelles Beispiel einer Firma, die einen kurzfristigen Managementstil priorisiert. Von einer globalen „Plage der Kurzfristigkeit“ sprach schon vor Jahren eine ausführliche Studie des kanadischen Pensionsfonds und McKinsey. Darin fühlten sich 80 % von 1000 Top-Managern unter Druck, starke finanzielle Ergebnisse innerhalb von spätestens zwei Jahren abzuliefern. Mehr als die Hälfte der Finanzchefs würden zudem Investments in das Unternehmen einsparen, wenn es nur minimal dem nächsten Quartalsergebnis schaden würde.

Konsequenzen für Anleger

Wer sich z. B. als Boeing-Aktionär allein vom hohen Cash-Flow und Aktien-Rückkäufen locken ließ, statt sich mit dem Management, der Unternehmenskultur und den Produkten auseinanderzusetzen, der machte als Anleger statt des Höhenflugs möglicherweise nur den letzten Absturz mit. Für Privatanleger ist es schwer, teuer und zeitaufwendig die Risiken in den Führungsetagen zu durchblicken, wenn Markt und Medien diese ignorieren. Insofern ist es sehr erfreulich, dass es immer mehr Fonds gibt, die „gute Unternehmensführung“ als Voraussetzung für ihre Investitionen verankern und sich der tiefgreifenden Recherche verpflichten.

Für Anleger kann sich das lohnen: Laut McKinsey erzielten US-Firmen, die sich auf langfristige Erfolge konzentrierten über eine Spanne von 14 Jahren deutlich bessere Ergebnisse beim Gewinnwachstum und einen höheren Shareholder-Value als kurzfristig orientierte Mitbewerber. Ironischerweise war es Jack Welch, der sagte: „Kultur treibt die großen Ergebnisse an“.  

Tim Bröning ist Leiter Non-Insurance bei der Fonds Finanz Maklerservice GmbH.

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