Kaum ein Thema wird so regelmäßig gefordert wie Finanzbildung in Schulen – und doch bleibt es oft vage, was genau damit gemeint ist. Zu wenig, zu spät, zu abstrakt – diese Kritik hört man immer wieder. Manche schlagen gleich ein eigenes Schulfach vor, andere träumen von einem Finanz-Curriculum mit ETF-Sparplänen, Versicherungsvergleichen und Rentenrechnern. Klingt ambitioniert – aber ist das wirklich der richtige Weg?
Ich meine: Wer einfach nur immer mehr Inhalte ins System drücken will, übersieht das eigentliche Problem. Denn mehr heißt nicht automatisch besser. Im Gegenteil: Wenn Schule überladen wird, bleibt oft genau das hängen – nämlich nichts.
Lieber Tiefe statt Breite: Warum MINT-Fächer entscheidend sind
Finanzbildung braucht keine Spezialmodule, sondern ein solides Fundament. Wer wirtschaftliche Zusammenhänge wirklich verstehen will, muss in der Lage sein, Informationen einzuordnen, logisch zu denken, Zusammenhänge zu erkennen. Genau das lernen junge Menschen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – kurz: im MINT-Bereich.
Deshalb wäre mein erster Impuls nicht: „Mehr Finanzbildung!“, sondern: „Mehr und besserer MINT-Unterricht.“ Denn ob es um Zinsrechnung geht, um Risikoabschätzung oder globale Zusammenhänge – ohne solides Grundverständnis in Mathe und Logik helfen auch die besten Finanz-Apps nichts.
Finanzbildung braucht kein neues Fach – aber mehr Relevanz im Unterricht
Natürlich sollten Jugendliche verstehen, wie Banken, Versicherungen oder die Altersvorsorge funktionieren. Aber niemand erwartet, dass sie als Mini-Finanzberater aus der Schule kommen. Es geht um Alltagskompetenz – nicht um Expertentum. Es geht um ein Grundverständnis dafür, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert, welche Verantwortung jede und jeder Einzelne trägt – und warum es sich lohnt, langfristig zu denken und zu handeln.
Und dafür brauchen wir nicht zwingend ein neues Schulfach. Ein sinnvoller Weg ist die Integration dieser Themen in bestehende Fächer. Im Mathematikunterricht lassen sich Zinsrechnung, finanzmathematische Modelle oder Wahrscheinlichkeitsrechnung mit realitätsnahen Beispielen verknüpfen – ein klarer Mehrwert für das Verständnis und die Relevanz des Gelernten.
In den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern – in meiner Schulzeit hieß das noch „Gemeinschaftskunde“ – sollten ökonomische Zusammenhänge ebenso selbstverständlich behandelt werden wie politische. Hier gehört es hin: die Rolle von privaten und gesetzlichen Sicherungssystemen, die Funktionsweise von Kapitalmärkten, die Bedeutung von Risikoabsicherung und Altersvorsorge.
Finanzbildung fängt nicht in der Schule an – und hört dort auch nicht auf
Man darf auch nicht vergessen: Schule kann viel, aber eben nicht alles leisten. Finanzbildung ist auch eine Aufgabe für Eltern, Medien, Unternehmen – und für die Branche selbst. Jugendliche brauchen keine buzzword-lastigen Infoheftchen, sondern klare, verständliche Orientierung. Ehrlich gesagt: Viele Erwachsene hätten diese übrigens auch gern.
Wenn wir wollen, dass junge Menschen kluge Finanzentscheidungen treffen, müssen wir ihnen auch die Chance geben, Zusammenhänge zu verstehen – auf Augenhöhe, mit Beispielen aus dem echten Leben und in einer Sprache, die nicht von oben herab klingt.
Fazit: Qualität vor Quantität
Finanzbildung ist wichtig, keine Frage. Aber sie sollte nicht im Aktionismus enden. Statt immer neue Inhalte in einen eh schon übervollen Stundenplan zu quetschen, wäre es klüger, die bestehenden Fächer sinnvoll zu ergänzen – und vor allem: junge Menschen darin zu stärken, selbst denken zu können.
Wer MINT fördert, legt das Fundament. Wer Finanzthemen in den gesellschaftlichen Kontext stellt, macht sie verständlich. Und wer Jugendlichen zeigt, dass sie ernst genommen werden, gewinnt ihr Vertrauen. Am Ende zählt nicht, wie viele Begriffe jemand auswendig kennt – sondern ob er oder sie in der Lage ist, kluge Entscheidungen zu treffen. Genau das sollte unser Ziel sein.
Dr. Guido Bader ist Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Lebensversicherung