Osteuropa: Festung im Finanzsturm?

Kann Osteuropa dem Sturm an den Finanzmärkten standhalten? Kurzfristig sind Turbulenzen nicht auszuschließen, langfristig sprechen Wirtschaftsdaten und attraktive Standorte für einen weiteren Aufschwung.


Gastkommentar: Ronald Schneider, Raiffeisen Capital Management

Ende Oktober konnten sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten nun doch auf drei konkrete Schritte zur Stabilisierung der Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone einigen: 50 prozentiger Haircut für Griechenland, Hebelung des Rettungsschirms EFSF auf bis zu einer Billion Euro sowie die erwartete Bankenrekapitalisierung. Doch weitere Maßnahmen werden notwendig sein, um die Staatsschuldenkrise zu stabilisieren, damit ein Abrutschen der Euro-Zone in eine Rezession verhindert wird. Dies würde auch für Osteuropa positive Effekte bringen, denn die Region ist wirtschaftlich eng mit dem Westen verbunden und ein längerfristiger Abschwung in den Kernländern der EU hätte auch für die CEE-Staaten negative wirtschaftliche Auswirkungen.

Auch wenn die meisten zentral- und osteuropäischen Staaten, wie zum Beispiel Polen und Tschechien, nach wie vor auf einem soliden wirtschaftlichen Fundament stehen und im Unterschied zu vielen entwickelten Staaten moderate Verschuldungszahlen und geringe Leistungsbilanzdefizite aufweisen, deuten nun doch verschiedene Vorlaufindikatoren darauf hin, dass sich die Region höchstwahrscheinlich nicht von einer europaweiten Rezession abkoppeln kann und mit wiederholt negativem Wirtschaftswachstum in den nächsten zwei Quartalen rechnen muss. Mit der Ankündigung der EU-Maßnahmen zur Bewältigung der Verschuldungskrise in der Eurozone ist es bislang jedenfalls nicht gelungen, Unsicherheit vom Markt zu nehmen. Es ist daher immer unwahrscheinlicher, dass die Länder wieder auf ihren gewohnt soliden Wachstumskurs zurückgelangen. Die Gefahr einer europaweiten Rezession hingegen wird immer realer.

Die Kanäle über die Euro-Krise und Rezession in die Staaten Zentral- und Osteuropas überschwappen können, sind bekannt. Zunächst sind dies die engen Handelsbeziehungen mit den Euro-Kernstaaten. Für Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien sind Deutschland & Co wichtige Exportländer. Bei einer deutlichen Wirtschaftsabschwächung im Westen wird die Exportdynamik in diesen Ländern ins Stottern geraten und auch dort unweigerlich zu einem Abschwung der Wirtschaft führen. Aber auch der hohe Anteil an westeuropäischen Banken stellt eine gewisse Gefahr der Ansteckung dar.

Schuldenabbau kostet Rendite

Die Finanzierungsprobleme der Mutterbanken und höhere Kapitalisierungsvorgaben, wie beim letzten EU-Gipfel beschlossen, werden unter anderem auch zu geringen Kreditvergaben führen und möglicherweise Gewinnrückführungen der lokalen Töchter in die Höhe treiben. Darüber hinaus könnte auch die globale Entschuldung ein Problem darstellen, weil die Konsolidierung der einzelnen Staatshaushalte auch zu geringeren Auslandsinvestitionen führen wird. Sollte die Entwicklung dahin gehen, dass die Region länger vom internationalen Kapitalmarkt abgeschlossen ist, könnten Länder wie Ungarn, Rumänien oder die Ukraine wieder auf Hilfsprogramme von IWF, EU und Weltbank zurückgreifen müssen, um an Kapital zu gelangen. Schon 2008/2009 konnten diese Staaten mit milliardenschweren Notkrediten und eigenen Budgetkonsolidierungsmaßnahmen ihre Haushalte wieder deutlich verbessern und so – wie beispielsweise Ungarn – einen drohenden Staatsbankrott abwenden.

Eine wesentliche Schwachstelle bilden nach wie vor die Fremdwährungskredite. Ausgesprochen stark betroffen von den hohen Kursen vor allem des Schweizer Frankens ist Ungarn, wo es besonders viele Fremdwährungskreditnehmer gibt; in etwas geringerem Ausmaß auch Polen, Kroatien und Rumänien. Im September verabschiedete das Parlament in Budapest ein umstrittenes Gesetz, das eine vorzeitige Tilgung von Fremdwährungskrediten (in lokaler Währung) zu einem festgelegten Wechselkurs ermöglicht, der deutlich günstiger ist als auf den Finanzmärkten und das zu Lasten der Banken geht, die die Verluste tragen müssen. Die Proteste ausländischer Banken, für die das Gesetz eine wesentliche Standortverschlechterung darstellt, gingen ins Leere. Noch offen ist auch die Reaktion der Rating-Agenturen. Zu befürchten ist, dass sich das Rating Ungarns, derzeit auf der untersten Stufe des Investment-Grade, weiter gesenkt wird.

Auch wenn sich die Sicht auf die zentral- und osteuropäischen Volkswirtschaften aktuell etwas eintrübt, ist die langfristige Perspektive dennoch positiv: Die meisten CEE-Schwellenländer können solide Wirtschaftsdaten vorweisen. Sie sind aufgrund ihrer niedrigen Lohnstückkosten nach wie vor attraktive Produktionsstandorte für westliche Unternehmen, was ihnen Wettbewerbsvorteile gegenüber den entwickelten Märkten verschafft und Kapital ins Land bringt. Polen und Tschechien weisen darüber hinaus eine intakte Inlandsnachfrage auf, die die Märkte gut unterstützt. Daneben profitieren die osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU von deren Strukturförderungen, was bei Polen immerhin vier Prozentdes BIP ausmacht. Sollte es also gelingen, mit den jüngst beschlossenen Maßnahmen der EU-Staaten die Euro-Zone doch noch nachhaltig zu stabilisieren – wobei sicherlich noch weitere Schritte notwendig sein werden – dann hätte das auch für die Volkswirtschaften Zentral- und Osteuropas deutlich positive Wachstumseffekte.

Autor Ronald Schneider ist Fondsmanager im Team Global Fixed Income bei Raiffeisen Capital Management. Die Fondsgesellschaft mit Sitz in Wien  ist mit einem verwaltet ein Vermögen von 30 Milliarden Euro.

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