Digitalisierung erhöht das Risiko von Fehlinvestitionen

Technologischer Wandel beeinflusst die Finanzwelt mehr als man denkt: Es geht nicht nur um die Bloomberg-Terminals, Online-Banking und Fintech-Unternehmen. Es geht auch darum, wie Ideen und Nachrichten in der heutigen Welt verarbeitet und verbreitet werden. Je mehr sich die Gesellschaft in Gruppen segregiert, die nicht mehr mit einander kommunizieren, desto höher ist das Risiko von Herdenverhalten und Fehlinvestitionen. Um dies zu vermeiden – Diversity is Key! Ein Gastkommentar von Karsten Junius, Bank J. Safra Sarasin

Karsten Junius analysiert die deutschen Exportüberschüsse.
Karsten Junius empfiehlt den regelmäßigen Austausch aller gesellschaftlichen Gruppen, um einen risikoreichen Herdentrieb zu verhindern.

Die heutigen technologischen Fähigkeiten „Big Data“ zu sammeln und zu verarbeiten, ermöglicht die Bereitstellung von sehr spezialisierten und personalisierten Dienstleistungen. Einzelhändler können Bücher und Musik nach dem individuellen Geschmack ihrer Kunden anbieten. Medienunternehmen können sich auf bestimmte Zielgruppen spezialisieren und bieten „News-Feeds“, die ihren Lesern gefallen. Die Vorteile sind klar – wer liest schon gerne Nachrichten, die irrelevant oder unerwünscht sind. All dies hat aber einen wichtigen Nachteil: Wir werden so zunehmend hauptsächlich von Gleichgesinnten umgeben, unseren Social-Media-Freunden und Followern, von denen wir lesen und hören, was unsere Überzeugungen bestätigt. Infolgedessen können verschiedene Gesellschaftsgruppen völlig unterschiedliche Nachrichten erhalten und untereinander diskutieren.

Das fehlende Wissen in Bezug auf andere Überzeugungen ist nachteilig

Die persönlichen gesellschaftlichen Überschneidungen, die in der nicht-digitalen Welt üblich waren, werden seltener. So sind beispielsweise in den USA diejenigen, die Fox News anschauen und Breitbart lesen, viel seltener den Nachrichten und Argumenten ausgesetzt, die auf NPR, CNN, dem Wallstreet Journal oder der Washington Post zu finden sind und umgekehrt. Nicht mit anderen Überzeugungen und Informationen konfrontiert zu sein, hat klare Nachteile: 1. Es macht Produktivitätswachstum schwieriger, da in spezialisierten Gruppen lebende und arbeitende Personen weniger von anderen lernen können. 2. Politische Kompromisse werden schwieriger, je weniger unterschiedliche Gruppen im öffentlichen Raum miteinander kommunizieren. 3. Herdenverhalten an den Finanzmärkten wird wahrscheinlicher, wenn die Anleger nur von ähnlich denkenden Kollegen umgeben sind.

Bewertung alternativer Szenarien kann profitabel sein

Ein Beispiel dafür ist, dass die meisten Finanzmarktteilnehmer die Wahrscheinlichkeit von Brexit und Trump kollektiv unterschätzt haben. Viele haben auch später nicht geglaubt, dass die britische Regierung wirklich Artikel 50 auslöst, und Trump die Politik verfolgt, die er im Wahlkampf versprochen hat. Stattdessen dachten viele, dass das Vereinigte Königreich sofort in eine Rezession fallen und die Wahl Trumps zu großen Verlusten an den Finanzmärkten führen würde. Offensichtlich hätte ein besseres Verständnis, wie alternative Szenarien zu bewerten sind, hohe Gewinne ermöglicht.

Wie lässt sich das erreichen? Mit bewusst gelebter Vielfalt. Investoren, die sich auf die Anregungen und die Kritik eines vielfältigeren Arbeitsumfeldes verlassen können, haben auf den Finanzmärkten enorme Vorteile gegenüber denjenigen, die in sehr homogenen Gruppen bleiben. Es lohnt sich daher bei fortschreitender Digitalisierung Teams in Bezug auf Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund, politischer Überzeugungen und persönliche Erfahrungen möglichst unterschiedlich zusammen zu setzen.

Karsten Junius ist Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin AG.

Foto: Bank J. Safra Sarasin

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