Atradius: Neuer Preisdeckel gegen russisches Öl erhöht Druck auf Moskau

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Am 5. Dezember trat eine von den G7, Australien und der EU verhängte Preisobergrenze für russisches Rohöl in Kraft. Die Maßnahme verbietet Schiffseignern, Finanziers und Versicherern den Handel mit russischem Rohöl, falls dessen Preis über der Schwelle von 60 US-Dollar liegt. Der Preisdeckel ist ein Versuch, die Belieferung mit russischem Öl aufrechtzuerhalten und gleichzeitig dem Kreml eine üppige Dividende aufgrund steigender Ölpreise zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine zu verweigern. Kurzfristig wird der Deckel wenig Effekte zeigen, da Russland die Maßnahmen umgehen könnte, glaubt Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa bei Atradius. Langfristig könnte er dennoch wirken.

„Die Maßnahmen werden zunächst die Preisschwankungen am Ölmarkt verstärken“, sagt Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa. „Die bevorstehende Rezession dürfte zwar die Nachfrage vorübergehend senken, der Markt ist jedoch insgesamt angespannt“, erläutert er. „Die Lockerungen der Covid-Beschränkungen in China dürfte außerdem zu zusätzlicher Nachfrage führen. Im Falle eines Marktschocks – beispielsweise wenn der Westen oder Russland zu aggressiveren Maßnahmen gegen die andere Seite greifen – bliebe kaum Spielraum, Angebot und Nachfrage auszugleichen.“

Nennenswerte Preiserleichterungen für Deutschland und Europa dürften die Maßnahmen also kurzfristig nicht bringen. „Voraussichtlich werden die Ölpreise im Jahr 2023 leicht nachgeben, aber auf einem hohen Niveau bleiben“, prognostiziert Langen. „Wir rechnen mit einem Preis von etwa 92 US-Dollar pro Barrel Brent – gegenüber 101 Dollar im Jahr 2022.“

Russlands Öl-Produktion könnte 2023 um 12 Prozent einbrechen

Russland auf der anderen Seite werde trotz der Maßnahmen nur bedingt Einbußen beim Rohölhandel hinnehmen müssen. Denn zum einen trage der Preisdeckel wenig dazu bei, den russischen Rohölpreis zu drücken: „Die Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel entspricht in etwa dem bisherigen Preis für russisches Rohöl“, so Langen. „Damit verhindern die Sanktionen lediglich eine Preissteigerung und damit eine Vergrößerung der bisherigen Gewinne durch den Export. Bei durchschnittlichen Produktionskosten von rund 40 Dollar pro Barrel wird die russische Regierung weiterhin erhebliche Einnahmen aus den Ölexporten erzielen.“

Zum anderen ist die weltweite Nachfrage derzeit so hoch, dass Russland auch lukrative Absatzmärkte jenseits der EU und der G7-Staaten offenstehen. „2021 gingen noch 45 Prozent aller russischen Rohölexporte in die EU“, sagt Langen. „Angesichts der verschärften Sanktionen wird Russland allerdings voraussichtlich versuchen, vermehrt an andere Länder wie Indien, China oder die Türkei zu verkaufen.“

Doch diesem Druckmittel Russlands gegen den auf das Öl angewiesenen Westen seien Grenzen gesetzt. „Und hier können die verhängten Sanktionen durchaus wirksam greifen“, sagt Langen: „Russland kann den Preisdeckel nur dann umgehen, wenn es den kompletten Öl-Handel über Anbieter aus Staaten abwickelt, die sich den Sanktionen nicht verpflichtet haben“, erläutert Langen.

„Der Westen spielt eine dominante Rolle sowohl im Finanzdienstleistungs- als auch im Transportgeschäft. Schiffe in westlichem Besitz oder mit westlicher Versicherung können nur russisches Rohöl transportieren, das unter der Schwelle von 60 US-Dollar verkauft wird. Wir glauben deshalb nicht, dass andere Länder den Verlust der EU- und der G7-Märkte langfristig ausgleichen können. Das Ergebnis wird voraussichtlich ein Rückgang der russischen Produktion um 12 Prozent im Jahr 2023 sein“, sagt Langen.

Russland kann nicht auf den europäischen Markt verzichten

„Kurzfristig kann Russland damit drohen, wichtige Ölexporte in die westlichen Länder zu verringern oder zu stoppen“, sagt Langen. „Langfristig aber ist das ein sehr riskantes Spiel für Moskau: Erdöl und Erdölerzeugnisse sind Russlands Exportgut Nummer eins. Das Land will deshalb seine dominante Rolle im Energierohstoffbereich nicht verlieren. Zieht sich das Land jetzt aus seinem wichtigsten Absatzmarkt zurück, werden sich die globalen Märkte nach unserer Einschätzung auf Kosten des russischen Anteils an der Weltproduktion neu ausbalancieren. Das muss sich Russland gut überlegen.“

Das vielleicht größte Druckmittel jedoch sieht Langen in dem Präzedenzfall, den die internationale Gemeinschaft mit dem gemeinsam verhängten Preisdeckel geschaffen hat.

„Dieser Präzedenzfall könnte zu weiteren gemeinsamen Maßnahmen führen „, sagt Langen. „Je stärker die EU und die G7-Staaten gemeinsam handeln, desto größer wird der Druck, den sie künftig womöglich gemeinsam auf Russland ausüben werden.“

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