Von Oliver Lepold
Stellen Sie sich vor, Ihr Kunde möchte seine Sachversicherung verlängern. Der Versicherer verlängert den Vertrag jedoch nur um einen kürzeren Zeitraum. Sie versäumen es, diesen Umstand zu kommunizieren und vermerken keine Wiedervorlage für eine mögliche Anschlussdeckung. Nach Ablauf der Versicherung tritt ein Schadensfall ein und der Kunde ist überraschend ungeschützt. Oder Sie empfehlen einer Kundin, die vor einer Augenoperation steht, den Wechsel zu einer anderen privaten Krankenversicherung, die bis zu 4.000 Euro für den Eingriff übernehmen würde. Sie übersehen aber die 24-monatige Wartezeit und die Kundin bleibt nach dem Eingriff auf den Kosten sitzen.
Das sind zwei aktuelle Haftungsfälle aus dem Kreis der von Cash. befragten Experten. Zwar hat die Regulierung von weiten Teilen der Branche das generelle Haftungsrisiko in vielen Sparten spürbar reduziert, aber es ist keinerwegs komplett verschwunden, auch im Bereich der Sachwertinvestments nicht. Immerhin: „Die provisionsgetriebenen Produkte im Bereich der geschlossenen Fondsbeteiligungen sind weitgehend vom Markt verschwunden, die Vermittler sind sensibler geworden und die strengen Vorgaben haben zu einer besseren Produktselektion geführt“, stellt Christian Henseler, CGPA Europe Underwriting GmbH, fest.
Aber: „Heute entstehen viele Haftungsfälle eher in den noch unzureichend regulierten Segmenten oder bei Produkten, für deren Vermittlung eine Zulassung nach Paragraf 34f Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 GewO erforderlich ist“, betont Franziska Geusen, Vorständin beim AfW. Dieser kurz auch 34f3 genannte Bereich umfasst Vermögensanlagen wie Nachrangdarlehen oder Genussrechte, die hohe Risiken bergen können. Wenn es zur Insolvenz eines Anbieters oder gar zur Aufdeckung eines Betrugssystems kommt, sieht der AfW regelmäßig eine Welle an Inanspruchnahmen gegenüber Vermittlern.
Haftungsfallen auch bei Versicherungsvermittlung
Aber auch die Vermittlung von Versicherungen birgt wie eingangs geschildert nach wie vor Haftungsfallen. Der Verbund Vema sieht vor allem zwei Fehlerquellen. „Die erste ist, den Werten in bereits vorhandenen Verträgen blind zu vertrauen. Man weiß nicht, mit welcher Sorgfalt Summen zum Abschluss ermittelt wurden. Man weiß nicht, ob nötige Anpassungen der vergangenen Jahre dem Vermittler angezeigt wurde“, betont Dr. Johannes Neder, Vema eG.
„Genauso sollte man Altverträge nie ohne eigene Wertermittlung in die Betreuung übernehmen. Unterversicherung ist derzeit eine der Hauptursachen für Haftungsfälle“, warnt Neder. Die zweite Fehlerquelle sei, einem Kunden zu wenige Fragen zu stellen. Ohne ein möglichst konkretes Bild seiner Situation laufe man Gefahr, dass der Schutz nicht zum Bedarf passt. Dabei geht es nicht nur darum, korrekt zu arbeiten, sondern dies im Ernstfall auch beweisen zu können.
Generell gilt eine unzureichende Dokumentation in allen Bereichen der Versicherungsvermittlung als Quelle von Haftungsrisiken. „Nach Paragraf 60 bis 62 VVG sind Vermittler verpflichtet, den Kundenbedarf zu ermitteln, zu beraten und die Beratung schriftlich zu dokumentieren. Erfolgt dies nur lückenhaft, fehlt dem Vermittler im Konfliktfall der Entlastungsbeweis – der Kunde kann behaupten, gewisse Hinweise nie erhalten zu haben“, gibt Rechtsanwalt Tobias Strübing, Wirth Rechtsanwälte, zu Bedenken. Insbesondere bei komplexen Policen wie der BU oder der bAV sollte daher der Vermittler zur Haftungsprävention alle Empfehlungen, Warnungen und Kundenentscheidungen festhalten.