Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Der Absturz am Immobilienmarkt, deflationäre Tendenzen und ein Rückgang ausländischer Direktinvestitionen belasten das Wachstum. „China steht am Scheideweg. Ohne strukturelle Reformen und glaubhafte wirtschaftspolitische Impulse droht eine langjährige Stagnation“, warnt Ron Temple, Chefstratege bei Lazard.
Besonders der Immobiliensektor entwickelt sich zu einem Risiko für die gesamte Wirtschaft. Seit dem Höchststand sind die Preise je nach Stadt um bis zu 36 Prozent gefallen. Da rund 60 Prozent des Vermögens der privaten Haushalte in Immobilien gebunden sind, hat sich das Konsumverhalten spürbar verändert. Statt Geld auszugeben, sparen viele Chinesen – ein Trend, der angesichts von Überkapazitäten in der Industrie die Deflation noch verstärkt.
Bisher sind vonseiten der Politik keine substantiellen Gegenmaßnahmen erkennbar. Zwar gibt es Subventionen für langlebige Konsumgüter oder Elektrofahrzeuge, diese verschieben Nachfrage aber nur kurzfristig. „China braucht endlich ein glaubwürdiges Programm zur Stärkung der Binnenkonjunktur – etwa durch eine Reform des Rentensystems oder einen veränderten Finanzierungsrahmen für Kommunen“, so Temple.
Strukturelle Schwächen im Finanzsystem
Viele Provinzen finanzieren sich weiterhin über Landverkäufe an Bauträger – ein Modell, das aufgrund der schwachen Bauaktivität kaum noch trägt. Auch die fehlende Einführung alternativer Steuerquellen begrenzt die fiskalischen Spielräume auf lokaler Ebene.
Hinzu kommt internationaler Druck. Ausländische Direktinvestitionen sind zuletzt in drei von acht Quartalen sogar negativ ausgefallen. Das signalisiert einen strukturellen Vertrauensverlust vieler globaler Unternehmen. Zahlreiche Konzerne verlagern ihre Produktion zunehmend nach Südostasien oder Indien.
Die Handelskonflikte mit den USA und neue sektorale Zölle, etwa auf Halbleiter und Kupfer, verschlechtern die Perspektiven zusätzlich. Zwar konnte Peking bei einzelnen Produkten Zollzugeständnisse erzielen, doch „Chinas Abhängigkeit vom Export zur Aufnahme überschüssiger Industrieproduktion macht das Land wirtschaftlich verwundbar“, betont Temple.
Folgen für Anleger
Für Investoren heißt das: Ein differenzierter Blick auf China wird unverzichtbar. „Zukunftsfähige Unternehmen in technologie- oder dienstleistungsorientierten Sektoren mit starker Binnenmarktorientierung könnten sich vom Gesamtmarkt abkoppeln“, sagt Temple.
Gleichzeitig mahnt er zur Vorsicht. „Die Unsicherheit bleibt hoch – aktives Management ist im aktuellen China-Kontext alternativlos.“









