Corona: Die „Zwangspause“ nutzen

Das Coronavirus legt das öffentliche Leben in Deutschland zunehmend lahm. Das aber müsse nicht nur schlecht sein, meint der Psychologe Stephan Grünwald.

Die Ausbreitung des Coronavirus wirkt sich auf das öffentliche Leben aus. Das muss nicht schlecht sein

Der Psychologe und Bestsellerautor Stephan Grünewald („Wie tickt Deutschland“) kann einer teilweisen Lahmlegung des öffentlichen Lebens durch das Coronavirus auch positive Seiten abgewinnen. Es könne zu einer Besinnungspause führen, sagte der Gründer und Leiter des Marktforschungsinstituts Rheingold in Köln der Deutschen Presse-Agentur.

„Wir erkennen zum Beispiel: Die Welt geht nicht unter, wenn wir eine Reise weniger machen. Wir können es auch mit uns selber aushalten. Das ist eine Erfahrung, die bereichern kann. ‚Weniger ist mehr‘ kann zu einer neuen Souveränität führen.“

Keine normalen Flucht- und Unterhaltungsmöglichkeiten

Das, was jetzt komme, kenne man in Ansätzen von der Zeit zwischen den Jahren. „Da gibt es ja auch Hamsterkäufe für die Feiertage. Dabei spielt mit, dass man weiß, man ist jetzt auf sich selbst und die Familie zurückgeworfen, man hat nicht die normalen Flucht- und Unterhaltungsmöglichkeiten.

Und das halten wir nur aus, indem wir Vorräte anlegen, die uns die Möglichkeit geben, uns in Trance zu futtern.“ Auch der Sonntag biete eine gewisse Analogie, weil es ein Tag sei, an dem die Geschäfte nicht geöffnet seien. „Man ist zu Hause und fährt ein wenig runter.“

Erzwungenen Untätigkeit als Nährboden für Kreativität

Der jetzt bevorstehende Ausnahmezustand lasse sich psychologisch in drei Phasen unterteilen. In der ersten werde man sich bewusst, dass jetzt einiges anders werde. „Einerseits denken wir: Blöd, dass das jetzt wegfällt. Andererseits ist da auch eine gewisse Freude: Es ist Urlaub vom Alltag.“ Die zweite Phase sei vergleichbar mit einem kollektiv verordneten Vorruhestand. „Da gibt es vieles, was liegen geblieben ist und jetzt aufgearbeitet werden kann.“

In der dritten Phase seien diese Dinge erledigt. „Da wird es große Unterschiede zwischen den Menschen geben. Es wird eine Gruppe geben, die sich sehr stark über Netflix und das Internet in mediale Tagtraumblasen zurückzieht. Ein Versuch der Selbst-Betäubung. Erfahrungsgemäß führt das nach ein paar Stunden zu einer großen inneren Unruhe.“ Darin stecke viel sozialer Sprengstoff. „Da wird die Unruhe abgeführt in Echokammern, in Verschwörungstheorien.“

Es werde aber auch Menschen geben, die den Reichtum, den der Alltag immer noch biete, zu nutzen verstünden. „Gärtnern, lesen, wandern, Zeit mit der Familie verbringen. Weniger ist mehr.“ Es gebe die Möglichkeit einer „positiven Stilllegung“, die der Nährboden für Kreativität sein könne. „Wenn wir uns zurückziehen in die Laube, ins Studierzimmer, kann das auch dazu führen, dass wir uns und die Welt noch mal neu erfinden.“ (dpa-AFX)

Foto: Shutterstock

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