EXKLUSIV

Nach Zinsanstieg und Immobilienkrise: Crowdinvesting vor dem Neustart?

Längst nicht alle wollen diese Möglichkeit anscheinend nutzen, jedenfalls derzeit nicht. Aber insgesamt immerhin 47 Plattformen geben gegenüber der ESMA als Zielländer außerhalb ihres Heimatlandes  „Europa“ oder explizit (auch) Deutschland (33) an. Mit Ausnahme der drei Plattformen Conda, Dagobertinvest und Invesdor aus Österreich, die schon vor der ECSP-Regulierung auch in Deutschland aktiv waren, wird dies jedoch offenbar noch selten wirklich umgesetzt. 

So finden sich bei einer Stichprobe unter 15 Plattformen, für die in der ESMA-Liste eine entsprechende Angabe vermerkt ist, nur drei, die überhaupt auf deutsch verfügbar sind: Eine auf Biotechnologie ausgerichtete Plattform namens Capitalcell aus Spanien, die Immobilienplattform Crowdestate aus Estland und Lande aus Lettland, die auf Landwirtschaft fokussiert ist und Finanzierungen von Land und Landmaschinen auf der Website hat. Doch das ist sicher nur der Anfang. „Wir beobachten, dass erste Plattformen mit einer ECSP-Lizenz aus dem europäischen Ausland in Deutschland aktiv werden. Einen grenzüberschreitenden Markt zu schaffen war schließlich auch eine der wesentlichen Intentionen der Verordnung“, bestätigt Exporo-Chef Brunke.

„Allerdings erfordert der Markteintritt zunächst eine gezielte Anpassung an nationale Gegebenheiten wie beispielsweise Vertriebsstrategien. Unabhängig davon gehen wir davon aus, dass der Wettbewerb in den kommenden Jahren zunehmen wird, insbesondere durch Plattformen aus Ländern mit einer bereits etablierten Crowdfunding-Kultur“, so Brunke. Vier der fünf deutschen ECSP-Plattformen geben laut ESMA-Liste indes ihrerseits keine anderen Zielländer an. Lediglich Zinsbaustein nennt Belgien, Österreich und Luxemburg. 

Vermögensanlagen weiterhin ohne ECSP möglich

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Deutschland im europäischen Vergleich so weit ins Hintertreffen geraten ist? Das hat wohl vor allem zwei Gründe. Zum einen waren die ECSP-Vorschriften der EU vom deutschen Gesetzgeber in Bezug auf die Haftung der Plattformen und deren Management zunächst sehr ungünstig umgesetzt worden, was erst Anfang 2024 korrigiert wurde. Deutsche Unternehmen haben deshalb im Vergleich mit den europäischen Wettbewerbern vielfach erst spät mit dem Antragsprozess begonnen. So war bei Ablauf der Übergangsfrist zur ECSP-Regulierung am 10. November 2023 mit Zinsbaustein lediglich eine einzige deutsche Plattform zugelassen.

Zum anderen ist in Deutschland, anders als zunächst vielfach angenommen, auch nach dem Stichtag eine ECSP-Zulassung keineswegs die Voraussetzung, um überhaupt Crowdfinanzierungen ohne einen ausführlichen und von der Aufsicht genehmigten Emissionsprospekt anbieten zu dürfen. Vermögensanlagen-Schwarmfinanzierungen sind weiterhin ohne ECSP-Lizenz möglich, was nicht nur die Plattform Klimaschwarm belegt. Den Investoren ist das Regulierungsniveau offenbar gleichgütig – wenn sie es überhaupt wahrnehmen. Der Druck, sich eine Lizenz zu besorgen, ist insofern entsprechend reduziert.

„Risiken einer unzureichenden Regulierung überwiegen deutlich“

„Die ECSP-Lizenz ist keine zwingende Voraussetzung für den Betrieb einer Plattform. Darüber hinaus ist der regulatorische und bürokratische Aufwand für eine ECSP-Lizenz nicht zu unterschätzen und kann mit hohen Kosten verbunden sein, was für einige Plattformen abschreckend wirkt“, kommentiert Simon Brunke die Entwicklung. „Dennoch ist es kritisch zu betrachten, dass in Deutschland weiterhin Plattformen ohne diese Lizenz aktiv sein dürfen. Die Risiken einer unzureichenden Regulierung überwiegen deutlich. Ohne eine verpflichtende ECSP-Lizenz unterliegen Plattformen nicht denselben Transparenz- und Verbraucherschutzstandards, was Anlegerinnen und Anleger potenziellen Risiken aussetzt“, kritisiert der Exporo-Chef.

„Daher sollte dringend geprüft werden, ob es angemessen ist, Plattformen ohne klare regulatorische Anforderungen weiterhin operieren zu lassen. Eine einheitliche und verpflichtende Lizenzierung nach ECSP- oder vergleichbaren Standards wie MiFID II wäre essenziell, um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und den Schutz der Verbraucher wirksam zu stärken“, fordert Brunke. 

Zudem führe die aktuelle Situation dazu, dass unlizenzierte Anbieter sich regulatorischen Vorgaben entziehen, während lizenzierte Plattformen, die umfangreiche gesetzliche Anforderungen erfüllen, benachteiligt werden. „Eine Marktbereinigung ist langfristig zwar trotzdem wahrscheinlich, da die Lizenz das Anbieten der in der Verordnung geregelten Dienstleistungen erleichtert und den Plattformen den Zugang zu neuen Märkten ermöglicht, dies sollte jedoch nicht ausschließlich den Marktkräften überlassen bleiben“, fordert er. Vielmehr liege es in der Verantwortung des Gesetzgebers und der Aufsichtsbehörden, „klare regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die sicherstellen, dass ausschließlich lizenzierte und überprüfbare Plattformen operieren dürfen“, so Brunke.

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