Wir sind nicht vorbereitet“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beim Cash. Extra Expertengespräch Elemtarschadenversicherung. Die Schäden durch Extremwetter nehmen seit Jahrzehnten zu; 2024 schlugen die Starkregenereignisse und Überschwemmungen laut GDV mit rund 2,6 Milliarden Euro zu Buche – etwa eine Milliarde Euro mehr als im langjährigen Durchschnitt. Doch beim Thema Prävention und Klimaanpassung in Kommunen und Ländern sieht es eher mau aus. Denn obwohl die Schäden jedes Jahr steigen, entstehen laut Käfer-Rohrbach jährlich rund 1.500 Neubauten in Hochwasserzonen, also Zürs-Zone 4. Angesichts der Klimadaten eigentlich ein Anachronismus. Scheinbar erreichen die neuen klimatischen Realitäten viele politische Köpfe im Kommunen und Ländern immer noch nicht. Anders lässt sich nicht erklären, dass von den rund 9.000 zerstörten Wohngebäuden an der der Ahr ganz 38 nicht mehr wiederaufgebaut werden dürfen. Dabei sind „Jahrhundertregen“ oder „Jahrhundertfluten“ längst keine Jahrhundertereignisse mehr, warnt Dr. Annika Obermayer, Leiterin Komposit bei der Bayerischen. „Die Begriffe verwenden wir inflationär. Das zeigt uns, wie rasant sich das Klima verändert.“ Und damit auch die Frage: Wer trägt künftig die Last dieser Schäden?
Derzeit liegt die bundesweite Absicherungsquote gegen Elementargefahren laut Käfer-Rohrbach bei 56 Prozent. Heißt, 44 Prozent aller privaten Wohngebäude sind von ihren Besitzerinnen und Besitzern nicht gegen Überschwemmungen oder Starkregen versichert. Dass dem so ist, mag auch daran liegen, dass sich Hausbesitzer bislang darauf verlassen konnten, dass der Staat einspringt. Ökonomen sprechen hier von „Charity Hazard“: Wer weiß, dass der Staat auf jeden Fall hilft, hat kaum Anreize, sich selbst zu versichern. Allerdings ist neue Bundesregierung auch nicht mehr bereit nach Überschwemmungen wie 2024 in Baden-Württemberg oder Bayern Fluthilfen in Höhe von hunderten Millionen Euro Flut für die Betroffenen bereitzustellen. Geplant ist daher nun eine Versicherungspflicht gegen Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. Die politischen Gedankenspiele kommen bei der Bevölkerung gut an, wie eine neue Umfrage zeigt. Jeweils knapp vier Fünftel sowohl der Hausbesitzer als auch der Mieter begrüßen den Plan von Union und SPD, wie die repräsentative Befragung des Vergleichsportals Verivox ergeben hat. Das Marktforschungsinstitut Innofact befragte Mitte Mai im Verivox-Auftrag insgesamt 1.052 in der eigenen Immobilie wohnende Hauseigentümer und 1.002 Mieter jeweils im Alter von 18 bis 79 Jahren. Demnach befürworteten 78 Prozent der befragten Eigentümer und 79 Prozent der Mieter die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden.
Allerdings scheiden sich die Geister bereits an der Frage, wie viel die Versicherungspflicht kosten dürfte: Mehr als 286 Euro wären die Befragten auch nicht bereit, für eine Elementarschadenversicherung auszugeben. Und 15,9 Prozent der befragten Eigentümer antworteten, sie könnten keine weiteren Kosten mehr tragen, weitere 28,5 Prozent wollen das nicht. Angesichts der Tatsache, dass für eine Wohngebäude im Schnitt inzwischen mehrere hunderttausend Euro aufgerufen werden, eine spannende Erkenntnis.
Im politischen Gespräch ist zudem eine Opt-Out-Regel. In diesem Fall müssten sich Immobilienbesitzer bewusst gegen eine Elementarschutzversicherung entscheiden. Und dürften wahrscheinlich darauf hoffen, dass der Staat im Worst-Case-Szenario doch wieder einspringt. „Ein klarer Riegel könnte hier helfen, sagt denn auch Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. Wer sich bewusst gegen den Schutz entscheide, bekommt keine Hilfe. „Das wäre sicher ein wirksames Signal“, sagt Klug. Die Verbraucherschützerin glaubt, dass Information allein nicht mehr ausreicht. „Viele ignorieren solche Hinweise. Es braucht tragfähigere Lösungen“, fordert Klug. Und schlägt ein gestuftes Opt-out-Modell vor: Neue Verträge werden automatisch mit Elementarschutz verkauft, die Altverträge der Bestandskunden folgen schrittweise. „Das ist unsere Idee: eine Anschnallpflicht durch die Hintertür“, erklärt Klug. Ziel sei eine breite Risikogemeinschaft, die auch bisher kaum versicherbare Gefahren wie Sturmfluten abdeckt.
Käfer-Rohrbach sieht die Versicherungspflicht skeptisch und warnen vor den praktischen und verfassungsrechtlichen Hürden einer Versicherungspflicht. Eine Pflicht würde zehn Millionen Verträge betreffen und massiv in die Vertragsfreiheit eingreifen. „Die Branche ist bereit – aber bitte nicht mit der Brechstange.“ Auch Thomas Billerbeck, Vorstand des Verbands der Deutschen Versicherungsmakler sieht eine Pflicht skeptisch: „Sie würde Anbieter abschrecken, Wettbewerb mindern und Preise treiben.“ Die Bayerische Kompositleiterin Obermayer hingegen erkennt darin Chancen: „Der Markt würde sich verändern, aber das könnte auch neue Anbieter und Modelle hervorbringen.“ Voraussetzung sei, dass Prävention mitgedacht werde und die Verantwortung nicht einfach auf den Staat abgeschoben wird.
Apropos Staat: Dem französischen Modell erteilten die Experten eine klare Absage. Der Blick über die Grenzen zeige, dass das französische Modell, bei dem der Staat Extremrisiken absichert, bereits jetzt unter Druck stehe. Beiträge steigen, Prävention kommt zu kurz. Spannender scheint hingegen der Blick über den Kanal. In Großbritannien verfolgt man mit „Flood Re“ laut Käfer-Rohrbach einen anderen Weg: gezielte Unterstützung für Hochrisikogebiete, gekoppelt an Bauverbote in gefährdeten Regionen. Spannend ist zudem auch ein Blick in die Schweiz. Dort gibt es einen unabhängigen Planungsrat für Elementarrisiken. Käfer-Rohrbach sieht darin ein Vorbild: „Wir brauchen einen solidarischen Ansatz mit risikobasierten Prämien. Vielleicht auch einen Modellversuch mit Pflicht-Element.“ Obermayer ergänzt: „Es braucht eine gemeinsame Sprache zwischen Versicherern, Politik, Kommunen und Bürgern.“ Klug bringt es auf den Punkt: „Wie schaffen wir es, alle an einen Tisch zu holen – ohne Eitelkeiten, ohne Machtspielchen? Genau daran scheitert es oft.“
Fakt ist, dass die Herausforderungen rund um den Elementarschutz angesichts des Klimawandels steigen. „Es braucht massivste Investitionen in Prävention“, fordert Käfer-Rohrbach. Sonst drohe, was man aus Kalifornien oder Griechenland kennen: unversicherbare Risiken, explodierende Prämien, staatliche Hilflosigkeit. Noch können man gegensteuern, mit Aufklärung, Eigenverantwortung, gezielter Regulierung und einem System, das Solidarität und Marktmechanismen verbindet. Was es brauche, sei ein ganzheitlicher Ansatz: „Hausbesitzer müssen ihre Eigenverantwortung erkennen, etwa bei Bauvorhaben in Risikozonen“, so Käfer-Rohrbach. Notwendig sei zudem mehr Transparenz. „Wo steht mein Haus, wie hoch ist mein Risiko?“ Doch gegen ein zentrales Naturgefahrenportal sperrt sich bislang die Politik.
Angesichts der skizzierten Szenarien stellt sich die Frage, wie Elementarschutz bezahlbar bleibt? Käfer-Rohrbach warnt vor falschen Erwartungen. „Es ist ein Irrglaube, dass Prämien sinken, nur weil mehr Verträge abgeschlossen werden.“ Risiken steigen, die Schäden ebenfalls – das muss sich in der Kalkulation widerspiegeln. In risikoreichen Regionen (Zürs-Zonen 3 und 4) kann der Beitrag schnell vierstellig werden. Doch: „95 Prozent der Häuser lassen sich für wenige Hundert Euro jährlich versichern.“ Jede Autoversicherung kostet inzwischen mehr. Bleibt nur die Frage, ob die Immobilienbesitzer bereits sind, mehr als 23,83 im Monat für die wahrscheinlich höchste Investition ihres Lebens zu bezahlen.
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