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„Größe schafft Resilienz“: Guido Bader und Ulrich Mitzlaff über Zusammenschluss und Zukunft

Dr. Guido Bader (li) und Dr. Ulrich Mitzlaff.
Dr. Guido Bader (li.) und Dr. Ulrich Mitzlaff
Guido Bader (li.) und Ulrich Mitzlaff: "Man verteilt weiter Wohltaten, die es faktisch nicht mehr gibt."

SDK und Stuttgarter treiben ihren Zusammenschluss voran. Die Vorstandsvorsitzenden Dr. Guido Bader und Dr. Ulrich Mitzlaff erklären, weshalb Größe heute über Resilienz entscheidet, welche Reformen sie von der Politik erwarten und warum der Zusammenschluss bis 2026 vollständig umgesetzt werden soll.

Dr. Bader, Dr. Mitzlaff, welche entscheidende strategische Bewegung und welches übergeordnete Ziel verfolgen Sie mit dem Zusammenschluss?

Bader: Die Hauptmotivation war: Die beiden Häuser passen zusammen. Nicht nur regional, sondern auch in der Produktphilosophie. Die Vertriebe ergänzen sich, die Produkte ebenso. Das war von Anfang an eine runde Geschichte, und so erleben wir es auch jetzt. Ein weiterer Punkt – mit Blick nach vorne – ist, dass Themen wie Fachkräftemangel, Bürokratie und Regulatorik zu zweit einfach besser zu bewältigen sind als allein.

Mitzlaff: Im Grunde können Sie aus Ihrem Artikel vom Oktober letzten Jahres abschreiben, denn an den Zielsetzungen hat sich nichts geändert. Es bleibt in jeder Hinsicht ein Chancen- und Wachstumscase. Je länger wir daran arbeiten, desto stärker verfestigt sich diese Überzeugung.

Durch die gegenseitige Berufung in die Vorstandsgremien entsteht eine enge Verzahnung. Wie stellen Sie sicher, dass Entscheidungsprozesse trotz des größeren Vorstands trotzdem effizient bleiben?

Mitzlaff: Das Erstaunliche ist: Unsere Vorstandssitzungen dauern nicht länger als vorher. Wir sind jetzt zwar zu sechst, aber keiner redet nur, um etwas gesagt zu haben. Jeder ist fokussiert. Wir haben das gleiche Verständnis darüber, welche Themen auf Vorstandsebene behandelt werden müssen – und in welcher Tiefe. Wir ticken sehr ähnlich.

Bader: Wir haben hohe Fachlichkeit, starke Fokussierung und ein einheitliches Bild auf die Themen. Was wir unterschiedlich sehen, wird sauber diskutiert, entschieden – und dann steht jeder dahinter. Das funktioniert sehr gut.

Wie viele zusätzliche Gremiensitzungen haben Sie jetzt?

Bader: Was dazugekommen ist, sind zusätzliche Aufsichtsratssitzungen, Prüfungs- und Personalausschüsse – weil die Aufsichtsräte noch nicht zusammengelegt sind. Das ist momentan die Hauptbelastung.

Mitzlaff: Zudem hat jedes Haus seine eigenen Ausschüsse und wir haben in der Übergangsphase zusätzliche Hauptversammlungen. Das ist alles prozessbedingt, aber nicht von Dauer.

Bader: Dazu kommt, dass wir die Menschen in den Aufsichtsräten mitnehmen müssen. Sie sind nicht so nah dran am Tagesgeschäft, deshalb müssen wir sie gut informieren. Das kostet Zeit, ist aber wichtig.

Mitzlaff: Und gleichzeitig gibt es auch Entlastung: Ich kümmere mich seit Juli um den Personalbereich, Herr Bader um die Krankenversicherungstechnik. Das funktioniert sehr gut.

Bis Ende 2026 soll der Gleichordnungskonzern in eine neue Struktur überführt werden. Welche Leitprinzipien bestimmen diesen Prozess?

Bader: Erstens: Wir bleiben ein Versicherungsverein. Auch wenn es partielle Demutualisierungen geben wird – der Verein bleibt an der Spitze. Zweitens: Wir wollen den Zusammenschluss komplett durchziehen. Es wird also keine Konstruktion mit zwei Vereinen geben, sondern einen gemeinsamen Verein an der Spitze. Das ist unser klares Bekenntnis zueinander.

Wo soll die neue Gruppe in zwei Jahren stehen?

Bader: In zwei Jahren wollen wir rund zwei Milliarden Euro Beitragseinnahmen und eine Bilanzsumme von 20 Milliarden Euro erreichen. Und wir wollen beidseitig deutlich mehr Neugeschäft haben – weil wir voneinander profitieren.

Mitzlaff: Genau. Wir wollen eine klare, fokussierte Strategie – als Personenversicherer mit den Schwerpunkten Kranken, Unfall, betriebliche Absicherung, Pflege und Altersvorsorge. Das wird mit der Zeit zusammenwachsen. Es soll im Alltag irgendwann keine Rolle mehr spielen, ob jemand von der SDK oder der Stuttgarter kommt.

Wie wird die neue Gruppe heißen?

Mitzlaff: Wir fühlen uns sehr wohl mit dem Namen „SDK-Stuttgarter-Gruppe“. Das sind zwei starke Marken, die man im Markt kennt. Natürlich braucht der Verein einen formellen Namen, aber ob der aktiv vermarktet wird, hängt letztlich von der Strategie ab. Zudem ist es teuer, eine neue Marke aufzubauen – das Geld investieren wir lieber in Digitalisierung und Effizienz.

Bader: „SDK-Stuttgarter-Gruppe“ geht auch viel besser über die Lippen als andere Doppelnamen.

Mitzlaff: Und der Slogan „Vereint stärker“ ist wirklich stark. Der kam in wenigen Minuten aus den Marketingabteilungen. Es gab sogar andere Unternehmen, die den übernehmen wollten. Wir haben natürlich Nein gesagt.

Die Versicherungsbranche steht unter Druck: Regulatorik, ESG, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Konsolidierung. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Bader: Alle genannten Themen stehen kurz vor der Kulmination. Der Fachkräftemangel wird massiv zunehmen – in den nächsten fünf bis zehn Jahren gehen rund 20 Prozent unserer Mitarbeitenden in Rente. Und auch wenn die Regulatorik gerade etwas pausiert: Das kommt wieder. Deshalb war jetzt der richtige Zeitpunkt, den Zusammenschluss zu starten. Wir haben noch alle Kräfte an Bord und können gemeinsam investieren – etwa in KI oder Digitalisierung.

Mitzlaff: Wir sind jetzt etwa 1.600 Mitarbeitende. Wenn 250 bis 300 in den Ruhestand gehen, können wir sie nicht alle ersetzen. Wir sind also auf Standardisierung, Automatisierung und Digitalisierung sowie KI-Einsatz angewiesen – gerade, um für Vermittler und Kunden da zu sein, wenn es zählt.

Bader: KI bringt Quick Wins: Spracherkennung, Texterkennung, automatische Dokumentenerkennung – das funktioniert gut. Aber bei komplexen Themen wie der medizinischen Risikoprüfung müssen Systeme erst geschult werden. Das lohnt sich erst bei entsprechender Größe.

Wie hoch sind die Investitionen in diesem Bereich?

Bader: Noch überschaubar, ein paar Hunderttausend Euro. Die Basistechnologien sind weit entwickelt, der Aufwand entsteht erst, wenn man unternehmensspezifisch trainieren muss.

Mitzlaff: Beide Häuser investieren massiv in IT und Prozesslandschaften. Ziel ist, mengenunabhängig zu werden und professionelle Systeme aufzubauen. Und die Größe hilft: Wir können anders investieren, sind robuster gegenüber Turbulenzen am Kapitalmarkt und regulatorischen Änderungen.

Bader: Genau. Ein größerer Stamm hält Stürme besser aus. Und wir wissen alle nicht, was in der Welt passiert – weder auf dem Kapitalmarkt noch in der Politik oder Geopolitik. Da ist Stabilität entscheidend.

Mitzlaff: Und auch wenn es angeblich Erleichterungen in der Regulierung geben soll, kommen gleichzeitig neue Auflagen. Bürokratie ist ein sich selbst vermehrendes System.

Bader: Am Horizont sehe ich neue Themen wie Retail-Investment-Strategien oder Nachhaltigkeitsregulierung. Es wird selten vereinfacht – meist kommt Neues obendrauf.

Lassen Sie uns einen Blick auf die gesetzliche Rente werfen. Die steht unter Druck. Was erwarten Sie von der Politik?

Bader: Ehrlichkeit. Die Politik muss endlich sagen, was nicht mehr leistbar ist. Und dann die Weichen für eigenverantwortliche Vorsorge stellen – kapitalgedeckt, privat, betrieblich, über Eigentum. Nur so funktioniert es langfristig. Aber ich sehe aktuell keinen politischen Willen, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen. Der letzte, der das getan hat, war Gerhard Schröder.

Mitzlaff: In der Krankenversicherung ist es ähnlich. Effizienz und Steuerung sind entscheidend. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung – nicht alles, was politisch gewollt ist, kann das System tragen. Vollkasko-Mentalität hilft nicht weiter.

Frau Bärbel Bas hat kürzlich erklärt, die Haltelinie solle auch nach 2031 bei 48 Prozent bleiben. Wie bewerten Sie das?

Bader: Was Frau Bas da sagt, ist hanebüchen – es fehlt die Ehrlichkeit. Das ist diese alte sozialromantische Denkweise. Die SPD steckt in einer Zwickmühle: Egal, was sie fordert, die Linke oder Frau Wagenknecht fordern immer das Doppelte. Und so verteilt man weiter Wohltaten, die es faktisch nicht mehr gibt.

Mitzlaff: Ja, heute Morgen begann wieder ein Mitgliederbegehren innerhalb der SPD gegen die Reform des Bürgergeldes – mit der Begründung, man müsse „an die Reichen ran“. Das löst kein Problem, das ist reine Symbolpolitik.

Bader: Und dabei zeigen die Zahlen, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland zuletzt sogar leicht zurückgegangen ist. Aber der Robin-Hood-Gedanke der SPD ist romantisiert – und wird von der Linken jedes Mal noch überboten.

Bei der privaten Altersvorsorge tut sich zu wenig. Was muss passieren, damit die Menschen wieder mehr vorsorgen?

Bader: Die Politik muss einfache Botschaften senden: „Leute, ihr müsst privat vorsorgen.“ Kein neues Produkt, kein Sondermodell – sondern Reform und Vereinfachung. Riester reformieren, betriebliche Altersvorsorge entschlacken. Es braucht weniger Wege, aber klarere Strukturen.


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Sie wollen künftig gemeinsam in der betrieblichen Vorsorge aktiv sein. Wie positionieren Sie sich?

Mitzlaff: Wir verstehen uns als Partner der Unternehmen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wird Gesundheit zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Es macht einen Unterschied, ob Mitarbeitende drei Wochen oder drei Monate auf einen Facharzttermin warten. Wir bieten Lösungen, die Fehlzeiten reduzieren, Pflege erleichtern und Altersvorsorge kombinieren – einfach, verlässlich, für den Mittelstand.

Dr. Mitzlaff, in der privaten Krankenversicherung steigen die Leistungsausgaben. Wie stark belastet das Ihre Bilanz?

Mitzlaff: Leistungsausgaben sind gute Ausgaben – dafür sind wir da. Problematisch wird es, wenn sie für Beitragszahler nicht mehr tragbar sind. Die Bilanz verkraftet das, aber für viele wird es schwierig. Wir sehen steigende Frequenzen bei Einreichungen, auch getrieben durch Apps. Und eine zunehmende Vollkasko-Mentalität – viele gehen wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt. Das belastet das System. Wenn das noch Jahre so weitergeht, wird es für manche Kunden finanziell eng.

Wie finden Sie die richtige Balance zwischen digitaler Effizienz und persönlicher Beratung?

Bader: Wir müssen Prozesse digitalisieren – aber die Beziehung Mensch zu Mensch bleibt zentral. Kein Chatbot ersetzt persönliche Beratung, besonders bei Altersvorsorge oder Krankenversicherung. Digitalisierung soll den Vermittlern helfen, effizient zu arbeiten und Zeit für den Menschen zu haben.

Nachhaltigkeit hat zuletzt an Strahlkraft verloren. Welche Rolle spielt das Thema für Sie?

Bader: Eine große. Nachhaltigkeit ist für beide Häuser ein zentrales Thema – aus sozialer Verantwortung und als Teil unserer Kapitalanlage. Unsere GrüneRente bleibt, auch wenn regulatorisch der Name irgendwann nicht mehr erlaubt sein sollte.

Mitzlaff: Nachhaltigkeit ist auch ein Faktor für Arbeitgeberattraktivität. Unsere Mitarbeitenden schätzen, dass wir Verantwortung übernehmen – von Diversity über Gesundheitsförderung bis zu Umweltmaßnahmen. Ärgerlich ist nur, dass die Regulatorik immer mehr Ressourcen bindet.

Bader: Richtig. 150 Seiten Nachhaltigkeitsbericht bringen weniger als echte Projekte. Manchmal wäre das Geld in einer sozialen Einrichtung besser angelegt.

Mitzlaff:  Weniger Bürokratie würde der Wettbewerbsfähigkeit mehr helfen als jeder neue Green Deal.

Wenn wir uns in drei Jahren wiedersehen – woran erkennt man den Erfolg des Zusammenschlusses?

Mitzlaff: Daran, dass wir uns zu 100 Prozent mit dem Markt und unseren Kunden beschäftigen – und nicht mehr mit uns selbst.

Bader: Und daran, dass niemand mehr merkt, ob er gerade mit jemandem von der SDK oder der Stuttgarter spricht. Dann sind wir wirklich vereint stärker.

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