Auffällig ist: Vergleichsportale und Online-Anbieter schneiden bei der Aufklärung besser ab als klassische Banken oder Vermittler, spielen beim Abschluss aber kaum eine Rolle. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?
Weber: Das sind zwei spannende Werte. In der Online-Beratung fehlt der menschliche Berater, der sich fragt: Traue ich mich, dieses Thema anzusprechen? Deshalb ist die Informationsquote hoch – die Systeme spielen Inhalte automatisch aus. Aber der Abschluss bleibt selten digital, weil Vertrauen entscheidend ist, gerade bei sensiblen Themen wie Absicherung. Online erhalten Kunden viele Informationen, doch individuelle Fragen bleiben oft offen. Auch persönliche Situationen, wie vorhandene Absicherungen, fallen in digitalen Strecken durchs Raster. Ein Berater hingegen hakt nach und entwickelt daraus ein passgenaues Angebot. Deshalb suchen viele, die sich online informiert haben, am Ende doch persönliche Beratung.
Lassen Sie uns über diese 66 Prozent beim Todesfallrisiko sprechen. Wenn das Angebot gemacht wird, kommt es in der Regel auch zum Abschluss. Warum wird dieses Potenzial im Vertrieb so selten gehoben? Wo muss man ansetzen, um Ängste im Vertrieb zu nehmen?
Weber: Es spielen mehrere Punkte eine Rolle. Erstens: Berater müssen sich der Risiken sehr bewusst sein und dieses Wissen aktiv in die Beratung einbringen. Natürlich kennen Baufinanzierungsexperten die Themen, doch entscheidend ist, sie präsent zu haben und offen anzusprechen. Persönliche Beispiele zeigen anschaulich, was passieren kann – und welchen Mehrwert es hat, Risiken nicht auszublenden. Das schafft Bereitschaft, Bewusstsein und hebt, wie unsere Studie zeigt, positiv vom Wettbewerb ab. Zweitens braucht es Fachwissen. Berater müssen sich sicher fühlen, um Risiken kompetent zu besprechen. Hier sind wir als Versicherer in der Pflicht, Wissen praxisnah zu vermitteln. Drittens sind passende Tools zentral: integrierte Prozesse und Beratungshilfen, die den Berater unterstützen und dem Kunden den nahtlosen Weg zum Abschluss ermöglichen. Und noch ein Punkt: Viele informieren sich online, doch nur ein Bruchteil schließt dort ab. Gerade bei sensiblen Themen suchen Menschen die persönliche Ansprache – jemanden, der begleitet und Sicherheit gibt.
Stichwort Berührungsängste: Krankheit, Tod – das sind schwer zu besprechende Themen. Welche Erfahrungen machen Sie als Vertriebschef? Gibt es bei Beratern selbst Hemmschwellen? Oder fehlt es schlicht an Schulung – insbesondere für junge Berater?
Weber: Sensibilisierung ist entscheidend. Beraterinnen und Berater müssen sich bewusst machen, welche Risiken entstehen – denn die meisten Kunden sprechen sie nicht von sich aus an. Doch es gehört zu einer kompetenten Beratung, diese Themen aktiv einzubeziehen. Wer das tut, hebt sich positiv ab. Wichtig ist zudem Fachschulung: Berater brauchen praxisnahe Hilfen, die wie ein Kompass durchs Gespräch führen und Absicherungen aufzeigen, die Kunden langfristig begleiten. Klassisch gehört die Todesfallabsicherung dazu. Doch ebenso relevant sind Risiken in der Erwerbsphase: Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit sind sehr konkrete Gefahren, die eine Baufinanzierung ins Wanken bringen können. Darüber muss gesprochen werden.
Sie sagen es selbst: Arbeitslosigkeit oder Berufsunfähigkeit werden kaum angesprochen. Dabei ist es doch eigentlich entscheidend, um eine Finanzierung im Worst Case weitertragen zu können.
Weber: Genau. Als Kunde wissen Sie das im Grunde auch – bewusst oder unbewusst. Wenn eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit eintritt, verändert sich das Einkommen massiv. Dann stellt sich die Frage: Kann ich meine Rate noch zahlen? Wir nennen das unser „Beratungsdreieck“: Erstens braucht es solides Produktwissen, damit Berater sich sicher fühlen und kompetent beraten können. Zweitens braucht es Kommunikationsfähigkeit, um Kunden emotional zu erreichen. Und drittens ist psychologisches Know-how wichtig – denn es geht um Themen, die jeder kennt, die man aber nur ungern anspricht. Gerade in Deutschland ist das besonders ausgeprägt. Deshalb braucht es Berater, die sich dieser Aufgabe stellen und sie souverän meistern.
Welche Rolle spielt eigentlich die Bancassurance in diesem Zusammenhang? Kann die Verzahnung von Bank- und Versicherungskompetenz tatsächlich ein Hebel sein, um die Beratungsqualität zu verbessern?
Weber: Absolut. Hier treffen zwei Kompetenzträger aufeinander, die sich ergänzen. Im klassischen Bankvertrieb liegt der Fokus auf Bankprodukten – das ist völlig in Ordnung, niemand muss alles können. Genau deshalb gibt es Kooperationen, die wir Bancassurance nennen. Wir bringen als Versicherungsexperten den zusätzlichen Blickwinkel ein. Ich kenne aus meiner beruflichen Erfahrung beide Seiten und weiß, wo Ergänzungen sinnvoll sind. Ziel ist es, Fachwissen zu bündeln, Systeme und Leitfäden bereitzustellen und so die Beratung zu verbessern. Entscheidend sind Schulung und Coaching: Lassen diese nach, sinkt das Risikobewusstsein. Deshalb setzen wir auf dauerhaftes Coaching. Unsere Key-Account-Manager übernehmen dabei Abstimmung, Qualifizierungen und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Vertriebe.
Ist es aus Ihrer Sicht ein Problem, dass viele Banken Absicherungen nur als Nebenprodukt anbieten – also als optionalen Baustein, statt das Thema systematisch in die Beratung zu integrieren?
Weber: Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Wir sind klar dafür, diese Produkte systematisch in unsere Beratung zu integrieren. Wenn ein Produkt nur noch als Nebenprodukt gesehen wird, ist die Gefahr groß, dass es irgendwann gar nicht mehr angesprochen wird. Wir bezeichnen solche Lösungen „Annex-Produkte“ und halten sie für ausgesprochen sinnvoll. Sie gehören für uns zu einer vollumfänglichen Beratung dazu. Deshalb setzen wir auf eine Tiefenintegration in die Beratungssysteme. So findet das Thema automatisch statt, die Barrieren für Kunden sinken, und die Produkte können gezielt an den individuellen Bedarf angepasst werden. Standardlösungen sind möglich, klar – aber ob sie immer passen, ist fraglich. Deshalb bieten wir unsere Produkte bewusst nach dem Bausteinprinzip an, damit sie den persönlichen Bedürfnissen der Kunden entsprechen.
Wirkt sich die Wahl des Vertriebskanals eigentlich auf die Qualität der Absicherungsberatung aus? Gibt es Unterschiede zwischen Filialbanken, freien Vermittlern und digitalen Anbietern?
Weber: Wir stellen fest, dass eine gute Beratungsqualität nicht vom Vertriebskanal abhängt. Ein hoher Standard ist überall möglich – und sollte auch überall der Anspruch sein. Als Versicherer arbeiten wir mit sehr unterschiedlichen Partnern zusammen und entwickeln für jeden Kanal passgenaue Lösungen. Das ist aufwendig, aber absolut machbar.
HDI Bancassurance positioniert sich stark in diesem Segment. Was tun Sie konkret, um die Beratungskompetenz bei Ihren Partnern zu stärken und das Thema Absicherung zu verankern?
Weber: Uns ist eine durchgängige Wertschöpfungskette wichtig – eine ganzheitliche Beratung. Das heißt: Wir gehen proaktiv auf unsere Partner zu, entwickeln Produkte, die zu ihren Kunden passen, und gestalten sie modular. Nicht jeder Kunde hat die gleichen Risiken. Manche haben schon vorgesorgt, andere brauchen Ergänzungen. Deshalb wollen wir niemanden ausschließen, indem wir nur Standardlösungen anbieten. Wichtig ist auch die tiefe Integration in die Systeme unserer Partner. Das erleichtert Beratern die Arbeit, weil sie Finanzkennzahlen besser auswerten können und sich stärker auf die Bedürfnisse des Kunden konzentrieren können. Daneben haben wir unsere eigene Trainingsakademie, die kontinuierlich Schulungen und Coachings anbietet – fachlich und kommunikativ. So stellen wir sicher, dass die regulatorischen Anforderungen erfüllt werden und die Beratungsqualität dauerhaft hoch bleibt.
Welche Schritte leiten Sie aus der Studie ab?
Weber: Zunächst einmal braucht es Aufmerksamkeit für das Thema. Eine Studie, die in der Schublade verschwindet, bringt niemandem etwas. Deshalb sprechen wir darüber, diskutieren die Ergebnisse und tragen sie in den Markt – auch über Interviews wie dieses. Wir nutzen die Inhalte aktiv in unseren Coachings und Webinaren. Sie sind eine hervorragende Grundlage, um Beratern zu zeigen, wie groß die Vorbehalte bei Kunden sind und wie wichtig es ist, das Thema systematisch anzugehen. Gleichzeitig helfen uns die Erkenntnisse, unsere eigenen Produkte weiterzuentwickeln. Denn der Markt und die Kundenbedürfnisse verändern sich ständig.
Sie sagten gerade, die Kundenbedürfnisse verändern sich. In welche Richtung geht das?
Weber: Früher lag der Fokus in der Baufinanzierungsabsicherung fast ausschließlich auf dem Todesfallrisiko. Heute sprechen wir zusätzlich über Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Auch Pflegebedürftigkeit kann ein Thema sein. Die Risiken sind nicht neu, aber das Bewusstsein der Kunden verändert sich – und damit ihre Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen. Gleichzeitig werden Kunden anspruchsvoller. Standardlösungen genügen nicht mehr. Sie erwarten modulare Produkte, die an ihre individuelle Situation angepasst sind. Und sie wollen bestehende Absicherungen behalten können, statt sie auflösen zu müssen, nur um etwas Neues abzuschließen. Das ist nicht mehr zeitgemäß.
Wie groß ist das Marktpotenzial in diesem Segment?
Weber: Es ist riesig. Wenn wir die Studienergebnisse nehmen: 66 Prozent zeigen Interesse, aber nur 20 Prozent schließen online ab. Viele suchen dann gezielt persönliche Beratung. Das Potenzial ist im Vergleich zu dem, was wir heute realisieren, noch längst nicht ausgeschöpft. Gerade Banken könnten hier deutlich mehr Geschäft heben, indem sie das Thema direkt in ihre Baufinanzierungsberatung integrieren.
Das Interview führte Jörg Droste, Redakteur und Ressortleiter Versicherungen, Cash.













