Brauchen wir in der bAV ein Obligo?
Bohn: Ich denke, es reicht, ein Opt-out-Modell einzuführen. Das bedeutet: Jeder ist zunächst automatisch dabei und muss aktiv erklären, wenn er nicht teilnehmen möchte. Das funktioniert erfahrungsgemäß sehr gut. Ein echtes Obligo wäre aus meiner Sicht gar nicht notwendig. Im Gegenteil – es könnte zusätzliche Hürden und Ängste hervorrufen, etwa die Frage, ob so etwas überhaupt politisch durchsetzbar ist. Wenn man stattdessen einfach ein paar Rahmenparameter anpasst und das Opt-out-Modell einführt, bin ich überzeugt: Wir hätten sehr schnell eine deutlich breitere Verbreitung der bAV.
Ich habe heute Morgen wieder eine neue Studie zur Generation Z gelesen. Darin heißt es: „Gesetzliche Rente? Interessiert mich nicht, ich kümmere mich selbst um meine Altersvorsorge.“ Das müsste uns doch eigentlich Hoffnung geben. Schließlich ist es die Generation Zukunft, die jetzt handeln muss. Diese Haltung unterscheidet sich ja stark von früheren Generationen, etwa den Boomern oder den Jahrgängen danach, die sich noch stark auf die gesetzliche Rente verlassen haben.
Bohn: Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch etwas anderes: Nämlich ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem Staat. Und das hat natürlich weitreichende Konsequenzen.
Lassen Sie uns daran anknüpfen: Wie bewerten Sie den neuen Entwurf zum Betriebsrentenstärkungsgesetz II, der gerade veröffentlicht wurde?
Bohn: Grundsätzlich ist der Entwurf aus meiner Sicht vernünftig und enthält echte Verbesserungen: vereinfachter Zugang, Einbeziehung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie die Öffnung des Sozialpartnermodells. Wichtig ist auch das geplante Opt-out-Verfahren. Dennoch bleiben Fragen offen: Gehört ein Unternehmen ins Tarifgebiet? Dürfen Nicht-Tarifparteien mitentscheiden? Hier braucht es Klarheit. Gleichzeitig hätten wir schon heute praktikable Lösungen – etwa die Direktversicherung, die kostengünstig und einfach einsetzbar ist. Von hohen Hürden kann keine Rede sein. Mit 80 Prozent Garantien und Opt-out ließe sich Altersvorsorge schnell verbreiten. Deshalb mein Fazit: Der Entwurf geht in die richtige Richtung. Positiv ist auch, dass die Förderung der Geringverdiener enthalten ist. Aber man müsste jetzt konsequent in der bAV außerhalb des Sozialpartnermodells zwei, drei, vier klare Entscheidungen treffen – dann könnte man das Thema Altersvorsorge wirklich befeuern.
Bleiben wir noch kurz beim Alterssicherungssystem. Die demografische Entwicklung setzt die gesetzliche Rente massiv unter Druck. Was müsste politisch passieren, um das deutsche Alterssicherungssystem zukunftsfest zu machen?
Bohn: Rund ein Viertel des Bundeshaushalts fließt in die gesetzliche Rentenversicherung – Tendenz steigend. Auf Dauer ist das nicht tragfähig. Doch an Stellschrauben wie Haltelinie oder Renteneintrittsalter will die Politik nicht rühren. Bleiben diese unangetastet, braucht es andere Lösungen. Ein zentraler Hebel ist die betriebliche Altersversorgung. Wird sie einfacher und breiter zugänglich, kann sie die gesetzliche Rente spürbar entlasten. Auch private Vorsorge ist entscheidend: Unter der letzten Regierung war ein Riester-Nachfolgeprodukt bereits weit entwickelt, nun wird in 2026 eine neue Kommission aufgesetzt und verzögert den Prozess.
Dabei ließe sich mit einem einfachen, kostengünstigen Produkt mit flexiblen Garantien sofort starten. Der Markt und die Produkte sind vorhanden. Gerade in der bAV könnten günstige Lösungen angeboten werden. International zeigt sich, dass eine deutlich höhere Verbreitung möglich ist. In Deutschland liegt die Quote bei etwa 50 Prozent – die andere Hälfte bleibt außen vor. Wenn wir hier ansetzen, könnten wir die gesetzliche Rentenversicherung deutlich mehr entlasten.
Wie schätzen Sie das Potenzial des Tarifpartnermodells ein? Bisher hat es kaum funktioniert – bei der Lufthansa etwa wird seit Jahren gestritten, weil Gewerkschaften die bAV kritisch sehen. Wenn selbst sie als mögliche Multiplikatoren nicht überzeugt sind, stellt sich die Frage: Wo liegt dann der Nutzen, und wie kann das Modell überhaupt zum Tragen kommen?
Bohn: Es gibt Potenzial, aber einfach ist es nicht. Am Tisch sitzen sehr unterschiedliche Parteien mit eigenen Interessen, und für Gewerkschaften ist die Mitgestaltung der Altersversorgung Neuland – das macht den Prozess schwerfällig. Im Sozialpartnermodell gab es zwar Zugeständnisse bei Garantien und Arbeitgeberhaftung, auch das Betriebsrentenstärkungsgesetz brachte Erleichterungen. Dennoch sollten wir die klassische bAV stärker vereinfachen: Hier funktioniert das System, Vertriebspartner und Unternehmen arbeiten zusammen, die Lösungen sind fair und kostengünstig. Viele gute Ansätze liegen längst vor, sie müssten nur besser gebündelt und mit denselben Möglichkeiten ausgestattet werden.
Dann würden wir uns Grundsatzdiskussionen sparen und den Markt beleben. In der öffentlichen Debatte geht zudem oft unter, worum es eigentlich geht: nicht um einen Topf, den man leert, sondern um ein lebenslanges Einkommen. Genau das ist die Stärke der Lebensversicherung – sie sichert das Risiko der Langlebigkeit ab. Ein Fondsauszahlungsplan mag bis zum Alter von 80 oder 85 reichen, aber was, wenn jemand 90 oder älter wird? Dann droht Altersarmut. Durch kollektiven Ausgleich wird das System fair für alle. Mich ärgert, dass dieser Kernpunkt häufig übersehen wird. Es geht nicht allein um die höchste Rendite, sondern um Sicherheit im Alter. Denn wenn die gesetzliche Rente nicht reicht, brauchen wir verlässliche zusätzliche Einkommensquellen.
Thema Value for Money: Wie relevant ist dieser Aspekt für Sie in der Produktentwicklung? Und wo sehen Sie die größten Herausforderungen – gerade mit Blick darauf, dass die Kunden immer weniger Geld für die Vorsorge haben?
Bohn: Natürlich ist Value for Money für uns ein zentrales Thema. Wir achten bei der Produktentwicklung sehr genau darauf – insbesondere bei den Fondspolicen ist Kostenoptimierung für uns selbstverständlich. Es geht darum, attraktive und akzeptable Lösungen anzubieten, die je nach Geldbeutel auch in schwierigen Situationen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Die eigentliche Herausforderung ist aber, dass viele Menschen überhaupt nicht konsequent an Altersvorsorge denken. Das gilt auch für die betriebliche Altersversorgung. Wir wollen jedenfalls vermeiden, dass man uns irgendwann nachsagt, wir würden keinen Wert bieten. Insofern: Value for Money ist für uns ein ernstes Kriterium in der Produktentwicklung.
Seite 3: „Wer hier unter Preis verkauft oder nicht risikoadäquat kalkuliert, riskiert auf Dauer das Geschäftsmodell.“














