Ein zweites wichtiger Standbein im Segment Leben ist die Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie sind dort stark aufgestellt. Nun beobachten wir aber zunehmenden Preiswettbewerb bei Top-Berufsgruppen und gleichzeitig eine geringe Sensibilisierung bei den Kunden. Wie bewerten Sie diesen Trend – und wie gelingt der Spagat zwischen Qualität und Bezahlbarkeit?
Bohn: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten überlegen Kunden schnell, wo sie sparen – und oft steht die BU auf der Streichliste, obwohl das ein Fehler ist. Häufig lautet die Entscheidung „BU oder Altersvorsorge“. Das Bewusstsein für BU ist seit Corona zwar gestiegen, doch kritisch sehe ich im Markt Produkte mit Dumpingpreisen oder Sonderaktionen mit vereinfachten Gesundheitsprüfungen. Wenn die Kalkulationen nicht tragen, leidet das Image der gesamten Branche.
Wir legen daher Wert auf eine saubere Risikoprüfung, um Beiträge stabil zu halten, und auf faire, transparente Regulierung. Eine BU läuft oft 30 Jahre – da braucht der Kunde Verlässlichkeit. Unsere Experten arbeiten professionell und empathisch. Zudem sind wir der einzige Versicherer, der sich dem Beitragsstabilitätsrating von Assekurata stellt. Natürlich haben wir hochwertige Bedingungen, aber dieses Gesamtpaket – stabile Beiträge, saubere Risikoprüfung, faire Leistungsregulierung – macht die Qualität aus. Preisführer sind wir nicht, weil wir bestimmte Spielchen im Markt bewusst nicht mitmachen.
Michael Franke hat mir letztes Jahr gesagt: Diese Spirale – immer mehr Leistung für immer weniger Geld – sei nicht gesund für das Produkt. Stimmen Sie dem zu?
Bohn: Absolut. Eine BU ist ein Langfristvertrag über 30 Jahre und mehr. Wer hier unter Preis verkauft oder nicht risikoadäquat kalkuliert, riskiert auf Dauer das Geschäftsmodell. In Australien ist ein Versicherer genau daran gescheitert. Das zeigt: Solide Kalkulation ist unverzichtbar.
Wie hoch ist denn Ihre Leistungsquote im BU-Bereich?
Bohn: Die liegt bei rund 85 Prozent. Man muss aber vorsichtig sein mit solchen Vergleichen. Entscheidend ist die Mischung aus sauberer Risikoannahme und konsequenter Risikoprüfung. Natürlich gibt es Fälle von Anzeigepflichtverletzungen – wenn jemand angibt, nie Rückenprobleme gehabt zu haben, und der Orthopäde bestätigt dann 20 Jahre Behandlung, zahlen wir nicht. Das wäre unfair gegenüber allen anderen Versicherten. Auf der anderen Seite gilt aber genauso klar: Wenn alles korrekt ist, wird selbstverständlich geleistet. Dafür sind die Prämien kalkuliert. Für uns ist entscheidend, dass das Kollektiv geschützt bleibt und der Kunde sich im Leistungsfall auf uns verlassen kann.
Die zweite Plattform bei Ihnen ist die Hallesche, die bald 100 Jahre alt wird. Nun haben wir gelesen, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenzen im kommenden Jahr wieder deutlich angehoben werden. Hat die PKV-Vollversicherung trotz dieser zunehmenden Zugangshürden überhaupt noch Wachstumspotenzial?
Bohn: Ja, das hat sie. Um die Anpassung der Entgeltgrenzen wurde zwar viel Wirbel gemacht, tatsächlich ist es aber ein jährliches Verfahren. Dieses Mal fällt der Sprung größer aus, was an Berechnungsfaktoren liegt – außergewöhnlich ist das nicht, schließlich steigen auch die Gehälter. Wichtiger ist die Frage: Ist es klug, Zugangshürden weiter anzuheben? Wir haben ein umlagefinanziertes und ein kapitalgedecktes System – letzteres zeigt seit Jahrzehnten Stabilität. Die PKV ruft nicht nach Staatshilfen, wenn es eng wird.

Für die Hallesche gilt: Wir sind in den letzten Jahren stark gewachsen, haben neue Produkte eingeführt und bauen auf einem seit 35 Jahren erfolgreichen Vollversicherungsprodukt auf. Anders als manche Wettbewerber schließen wir keine Produktlinien, die kleine, alternde Kollektive hinterlassen. Natürlich spüren wir steigende Kosten im Gesundheitswesen, dennoch hatten wir zwei Rekordjahre und konnten unser Neugeschäft verdoppeln. Wir sind damit sehr zufrieden. Aber klar ist auch: Die Zugangshürden machen es nicht leichter. Angenehmer und für das Gesundheitssystem besser wäre, wenn die Voraussetzungen für einen Wechsel erleichtert würden.
Stichwort betriebliche Krankenversicherung. Sie haben am Markt ja früh Maßstäbe gesetzt, etwa mit den Budgettarifen. Inzwischen ziehen viele Wettbewerber nach. Wie stellen Sie sicher, dass Sie den Vorsprung gegenüber dem Markt halten?
Bohn: Ich wiederhole mich da gern: Wir sehen uns als Innovationsführer. Mit den Budgettarifen haben wir den Markt geprägt – sie wurden später eins zu eins kopiert. Einen Patentschutz gibt es dafür nicht, das haben wir prüfen lassen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als kontinuierlich neue Innovationen nachzulegen. Eine Zeit lang hat man damit einen Vorsprung, bis andere nachziehen – so ist das Rennen. Ein Beispiel ist unser „Feel Care“-Tarif für pflegende Angehörige. Auch das ist ein Budgettarif, aber mit besonderem Fokus. Damit sind wir derzeit einzigartig –wir haben einen Vorsprung, bis andere nachziehen.
Entscheidend ist: In der bKV verkauft man nicht nur ein Produkt, sondern ein komplettes Servicepaket – von Prozessen über Datentransfer bis zur Abwicklung. Arbeitgeber wollen attraktive Angebote für Mitarbeiter bei minimalem Aufwand. Hier punkten wir, vor allem bei großen Unternehmen, mit reibungsloser Implementierung. Zudem unterscheidet sich der Vertrieb stark von klassischen Krankenversicherungen: Ansprechpartner sind Personaler oder Finanzverantwortliche. Viele Partner mussten sich erst darauf einstellen. Wir unterstützen sie mit Spezialisten und Konzepten. Die Kombination aus Innovation, Service, Prozesskompetenz und Vertriebsunterstützung verschafft uns einen klaren Vorteil. Das Original ist meistens besser als die Fälschung. Damit fahren wir ganz gut.
Die bKV und die PKV sind ja Teil des Gesundheitssystems. Und das ist bekanntlich nicht gerade auf Rosen gebettet. Alles wird teurer, Leistungen werden oft nicht so erbracht, wie sie müssten, auch in der GKV, zum Teil noch gravierender. Wie sehen Sie das? Was muss passieren, damit unser Gesundheitssystem auf soliden Füßen steht und zukunftsfähig bleibt?
Bohn: Die Kombination aus GKV und PKV halte ich für völlig in Ordnung. Beide Systeme haben ihre Stärken, gemeinsam sichern sie ein hohes Versorgungsniveau – ein echtes Gut. Die PKV ist kapitalgedeckt und stabilisiert sich über Beiträge, die GKV wird regelmäßig durch Steuern gestützt. Das Märchen, die PKV hätte höhere Beitragssteigerungen, stimmt nicht: Beide bewegen sich im gleichen Rahmen und bilden die Kostenanstiege des Gesundheitssystems ab.Entscheidend ist daher die Frage, wie wir Qualität bezahlbar halten. Hier geht es weniger um die medizinische Leistung als um die Effizienz der Strukturen. Muss wirklich jeder Patient fünf Ärzte sehen, bevor eine Diagnose steht?
Andere Länder zeigen, dass Versorgung auch schlanker organisiert sein kann. Die Krankenhausreform ist ein erster Ansatz. Wichtig bleibt, die hohe Qualität zu sichern – sie ist ein Standortvorteil für Deutschland. Zweiter Punkt ist die Finanzierung: Statt allein über höhere Beiträge zu sprechen, braucht es stärker kapitalgedeckte Zusatzlösungen. Besonders in der Pflege zeigt sich die Lücke: Die gesetzliche Pflegeversicherung war nie als Vollversorgung gedacht. Zusatzpolicen sind daher zwingend – Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Entscheidend ist, dass man sie ernsthaft prüft. Denn ohne eine Kombination aus effizienteren Strukturen und kapitalgedeckten Zusatzlösungen werden wir die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht sichern können.
Eine Frage noch zur Sachversicherung, in der Sie ja ebenfalls stark sind. Ist das für Sie ein strategisches Standbein – oder eher etwas, das man als Versicherer „halt auch haben muss“?
Bohn: Nein, die Sachversicherung ist für uns ein wichtiges Standbein. Natürlich ist sie im Vergleich zu unseren beiden großen Sparten deutlich kleiner, das muss man klar sagen. Aber wir haben die Ambition, sie weiter auszubauen – allerdings nicht um jeden Preis oder mit dem Anspruch, dass das Geschäft von heute auf morgen ansteigen muss. Wir sind zuletzt gut gewachsen, schauen aber sehr genau hin: Wo kam dieses Wachstum her, wie können wir Profitabilität sichern, wie entwickeln wir uns nachhaltig weiter? Kurz gesagt: Die Sachversicherung ist für uns ein wichtiger Bestandteil – und verkaufen werden wir sie ganz sicher nicht.
Was mir dabei in den Sinn kommt: Wir haben zuletzt in diesem Segment enorme Preissteigerungen gesehen – etwa in Kfz oder Wohngebäude. Macht Ihnen das Sorgen? Schließlich müssen Sie die Prämien deutlich anheben, was ja nicht jeder Kunde bereit ist, mitzutragen.
Bohn: Natürlich ist das kein schöner Vorgang. Niemand freut sich darüber, Prämien anzuheben – wir sagen nicht: „Toll, jetzt haben wir höhere Beiträge, also läuft’s super.“ So funktioniert das nicht. Aber wir haben es hier mit einem Branchenphänomen zu tun. In der Kfz-Versicherung explodieren Werkstattkosten und Ersatzteilpreise, das betrifft alle. Auch sehr große Wettbewerber stehen vor denselben Herausforderungen, teils in noch höherem Ausmaß. In Ländern wie der Schweiz liegen die Prämien ohnehin höher, dort gibt es diesen Anpassungsdruck gar nicht, weil die Kalkulation von Anfang an auskömmlicher war. Konkret heißt das: Ja, Prämienanpassungen sind notwendig. Mir gefällt das persönlich nicht, und es trifft die Menschen spürbar. Jeder hat ein Auto, und wenn die Kfz-Prämie um 100 oder 200 Euro steigt, belastet das direkt das Haushaltsbudget. Das führt zu Abwägungen: Die Kfz-Versicherung muss bezahlt werden – aber was ist mit BU oder Altersvorsorge? Solche Ketteneffekte nehmen wir sehr ernst. Am Ende gilt: Die Anpassungen sind gerechtfertigt – und sie betreffen die gesamte Branche, nicht einzelne Versicherer.
Lassen Sie uns noch einen Blick nach vorn werfen. Thema Rahmenbedingungen: Die Digitalisierung ist bei Ihnen ja ein Dauerprojekt. Wir haben die demografische Entwicklung, wir haben die zunehmende Regulierung. Wie wollen Sie in diesem Umfeld die Rolle der ALH stärken und Wachstum sichern?
Bohn: Wir schwimmen auf derselben Welle wie andere auch – und wollen sie nutzen. Altersbedingte Abgänge betreffen uns natürlich auch. Die Befürchtung massiver Stellenstreichungen durch Digitalisierung teile ich deshalb nicht. Im Gegenteil: Sie kommt fast zur richtigen Zeit, da sich nicht alle Abgänge ersetzen lassen. Die Kunst ist, das zu synchronisieren: Wo gehen Mitarbeiter, wo kann Digitalisierung oder KI einspringen?
KI nutzen wir bereits in der Leistungsbearbeitungim Inputmanagement oder für Dynamic Pricing in der Sachversicherung. Zudem nutzen wir ChatGPT Enterprise, um Prozesse effizienter zu machen – nicht zum Spielen, sondern zur Optimierung. Daraus entsteht eine interne „Börse“ für Anwendungen. Klar ist: Wir stehen erst am Anfang, vieles läuft im Pilotbetrieb. Rechtliche Fragen, etwa zur KI-Verordnung, berücksichtigen wir selbstverständlich – KI setzen wir immer ordnungsgemäß ein.
Ich hatte im Frühjahr ein spannendes Interview mit Uwe Schumacher von Domcura. Dort wird KI sehr massiv eingesetzt.. Wo arbeiten Sie aktuell besonders intensiv mit KI?
Bohn: KI ist aus unserem beruflichen Alltag schon heute nicht mehr wegzudenken. Generell gilt: Wir schauen immer, wo uns KI hilft, Abläufe effizienter zu machen. Aber wir sind längst nicht am Ende der Fahnenstange – bei vielen Einsatzbereichen sind wir sind noch in der Lern- und Erprobungsphase und genau darauf liegt unser derzeitiger Schwerpunkt. Wir konzeptionieren und verproben den Einsatz von KI entlang der gesamten Wertschöpfungskette, z.B. in der BU-Leistungsregulierung, bei Risikovoranfragen in Leben oder in der Betrugserkennung, sowie in vielen weiteren Bereichen. Parallel arbeiten wir weiter an der Umsetzung des „EU AI Act“, damit sichergestellt ist, dass KI regulatorisch konform zum Einsatz kommt.
Abschließende Frage: Wo wollen Sie die ALH im Jahr 2030 sehen? Was dürfen Maklerinnen und Makler, Vermittlerinnen und Vermittler von Ihnen erwarten?
Bohn: Wir wollen unseren Weg konsequent weitergehen. Im Zentrum steht die Steigerung der Servicequalität – für Vertriebspartner wie Endkunden. Service ist für uns das entscheidende Differenzierungsmerkmal, im Privat- wie im Firmengeschäft. Schon heute wählen uns viele im Auslandsgeschäft wegen unserer Servicekompetenz, nicht wegen der Größe. Auch unser Zukunftsbild 2030 stellt Service ins Zentrum. Digitalisierung und KI sind wichtige Hebel, entscheidend bleibt aber die Qualität im Kontakt. Parallel treiben wir den Omnikanal-Vertrieb mit unserem neuen Vertriebsvorstand voran. Für uns als Maklerversicherer bleibt die enge Beziehung zu unseren Partnern das A und O – durch Produkte, digitale Angebote, Weiterbildung und persönlichen Austausch.














