Herr Gräfer, Ihre Konzernmutter jetzt unter neuer Firmierung, BY die Bayerische Vorsorge Lebensversicherung ist wieder im Neugeschäft. Wie zufrieden sind Sie damit?
Gräfer: Zufrieden wäre eine deutliche Untertreibung. Ich bin ehrlich gesagt eher demütig, weil wir unsere Erwartungen in allen Dimensionen übertroffen haben. Unser Biometriegeschäft – das ist ja das, was die gute alte Bayerische Vorsorge-Lebensversicherung seit ihrer Gründung 1858 im Fokus hat – liegt über 100 Prozent über Plan. Wir haben also verdoppelt, sowohl gegenüber der Planung als auch gegenüber dem Vorjahreswert. Und das war bereits ein Rekordjahr. Dass das so weitergeht, war nicht absehbar, aber es zeigt unsere Kompetenz. Die Einkommenssicherung ist eines unserer zentralen Themen. Sie betreiben wir in vielen Berufsgruppen – besonders im öffentlichen Dienst, bei Lehrerinnen und Lehrern, aber auch bei Angestellten, Architektinnen, Freiberuflern und seit letztem Jahr auch für Soldatinnen und Soldaten. Da haben wir, glaube ich, ein herausragendes Angebot. Kurz gesagt: Wir sind mehr als zufrieden.
Welche Rolle spielt die Reaktivierung in Ihrer künftigen Produktlandschaft?
Gräfer: Eine herausragende. Wir sind ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der wieder aktiv ist. Wir sind wieder da – oder, wie Marius Müller-Westernhagen sagen würde: „Ich war niemals weg, ich bin wieder hier.“ Das gilt auch für die BL. Für uns bedeutet das: Das Angebot unserer Lebensversicherungen steht wieder klar für Altersvorsorge mit nachhaltigem Fokus – in Kombination mit Einkommenssicherung. Beide Lebensversicherer, also die BL und die BY, haben damit einen großen strategischen Wert – natürlich auch für unsere Komposittochter.
Die gesetzliche Rente steckt ja in der Krise. Wie bewerten Sie die Reformpläne der Bundesregierung?
Gräfer: Welche Reformpläne? Ich kenne bisher nur Überschriften – und die gehen in die richtige Richtung. Aber wir haben ja gerade schon darüber gesprochen: Die Mädchen, die heute nicht geboren sind, bekommen morgen keine Kinder. Und Männer können, in der Regel, keine Kinder bekommen. Das heißt: Die demographische Krise ist schlicht nicht mehr abwendbar. Wir beide sind Jahrgang 69 – und ich persönlich rechne fest damit, dass meine gesetzliche Rente irgendwann gekürzt wird. Nicht gesteigert, sondern tatsächlich gekürzt. Denn der staatliche Zuschuss liegt heute schon auf einem Niveau, das nicht mehr normal ist. Das wird sich fortsetzen.
Wir brauchen Reformen, aber noch dringender brauchen wir ein gesellschaftliches Verständnis davon, wie Rente funktioniert. Solange in sozialen Netzwerken Kommentare kursieren wie „Soll die Rente doch endlich steuerfrei werden!“, ist klar, dass es an Wissen fehlt. Beiträge sind bereits steuerlich begünstigt – die Rente selbst muss dann eben versteuert werden. Wenn so wenig Verständnis für das System besteht, wird auch niemand akzeptieren, dass wir länger arbeiten müssen. Als Konrad Adenauer die Rente eingeführt hat, wurde sie im Schnitt elf Jahre gezahlt. Heute sind es 17, bald 20. Das System ist dasselbe geblieben, nur dass künftig 1,3 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Rentner finanzieren müssen. KI und Roboter zahlen keine Sozialbeiträge. Wie soll das also funktionieren? Wir brauchen einen umfassenden Reformansatz. Und mehr Aufklärung.
Wie lässt sich das schwierige Thema Altersvorsorge positiv besetzen und wie bringt man die Menschen zum Handeln?
Gräfer: Wir haben ja unsere Kampagne gestartet – und ich finde den Gedanken der Aktiv-Rente ziemlich gut. Sie löst das Grundproblem nicht – aber sie ist eine sinnvolle Option, die spürbar helfen kann. Viele Menschen wollen mit 65 oder 67 gar nicht einfach aufhören zu arbeiten. Das Risiko, gesund alt zu werden, ist groß – und das ist ja etwas Positives! Wenn jemand mit 70 fit ist, warum sollte er oder sie dann zu Hause sitzen und Fernsehen schauen? Menschen mit Erfahrung, die Lust haben, aktiv zu bleiben, sind ein Gewinn für die Gesellschaft. Das kann man auch positiv vermitteln. Für das Alter vorzusorgen, ist kein Schaden – ganz im Gegenteil.
Trotzdem wird nach wie vor zu wenig vorgesorgt.
Gräfer: Viele Beraterinnen und Berater handeln, aber nicht genug. Wer Altersvorsorge ernst nimmt, muss über das Produkt hinausdenken. Natürlich bin ich ein Fan der betrieblichen Altersvorsorge. Auch die Basisrente halte ich für eine hervorragende Idee. Aber das Produkt ist zweitrangig. Wichtig ist, das Thema umfassend zu positionieren – den Kunden ganzheitlich zu sehen: Welche Erwartungen hat er, was wird er erben, wie sieht sein Vermögen aus? Daraus entsteht dann eine echte Ruhestandsplanung. Wer das anbietet, wird langfristig erfolgreich sein – vor allem, wenn er sich auf neue Vergütungsmodelle wie die NHV-Vergütung einlässt. Die kann über viele Jahre stabile Einnahmen sichern.
Wenn man die Ruhestandsplanung weiterdenkt: Wir haben ja eine Demographiekrise im Alltag – die Rente reicht oft nicht, viele haben zu wenig vorgesorgt. Manche werden vielleicht erben. Hat die Bayerische passende Produkte für diese Phase?
Gräfer: Ich glaube, wir als Branche haben die Rentenphase ein Stück weit aus dem Blick verloren. Wir heißen ja Rentenversicherung – nicht Ansparversicherung für irgendwann mal. Wir haben uns zu sehr auf die Ansparphase konzentriert. Wir als Bayerische stellen uns dem. Es gibt viele gute Angebote im Markt, und wir arbeiten intensiv daran, unsere flexiblen Rentenbezüge noch attraktiver zu machen – auch für Maklerinnen und Makler. Wir wollen, dass die NHV-Vergütung künftig auch in der Rentenphase gezahlt wird, nicht nur in der Ansparzeit. Das steht bei uns auf der Agenda, und in den nächsten drei Jahren werden wir da schrittweise liefern.
Bislang ist es aber so, dass viele Makler Kundinnen und Kunden ab 60 aus dem Blick verlieren.
Gräfer: Das ist eine Frage des Mindsets. Schulung, die nachgefragt wird, bewirkt mehr als Schulung, die verordnet wird. Das Geschäft endet nicht mit 40 oder 50 Jahren. Ab da beginnt eine neue Phase. Maklerinnen und Makler müssen verstehen, wie Kapitalanlagen funktionieren, wie sich Einmalbeiträge von regelmäßigen Beiträgen unterscheiden. Hier liegt enormes Potenzial.
Themenwechsel: Klimawandel, Starkregen, steigende Sanierungskosten und immer mehr Leitungswasserschäden – die Wohngebäudeversicherung steht massiv unter Druck. Wie reagieren Sie darauf?
Gräfer: Das stimmt, aber eigentlich steht sie das schon seit Jahrzehnten. Ich glaube, in über 20 Jahren hat die Branche genau einmal Geld damit verdient. Das Hauptproblem bleibt Leitungswasserschäden – und da müssen Eigentümerinnen und Eigentümer selbst investieren. Wer Sanierungen hinauszögert, riskiert den Versicherungsschutz oder muss sehr hohe Prämien zahlen. Bei Elementarschäden sehe ich die Lage weniger dramatisch. Ich glaube, dass wir in Deutschland Lösungen finden, die bezahlbar bleiben. Eine Pflichtversicherung halte ich nicht zwingend für nötig. Aber wenn sie kommt, werden wir vorbereitet sein. Wir haben als Bayerische einen klaren Fokus auf Einfamilienhäuser und deren Eigentümerinnen und Eigentümer – für sie spielt die Gebäudeversicherung eine zentrale Rolle.
Zum Schluss: Wie stellen Sie sicher, dass Nachhaltigkeitskriterien im Vertrieb tatsächlich gelebt werden?
Gräfer: Für uns ist das gar kein Diskussionsthema – wir machen das einfach. Nachhaltigkeit ist für einen Versicherungsverein, der 1858 gegründet wurde, Teil der DNA. Sie bedeutet Dauerhaftigkeit, Verantwortung für nachfolgende Generationen. Unsere Strategie lässt sich in einem Satz zusammenfassen: heute nicht auf Kosten von morgen und hier nicht auf Kosten von woanders handeln. Ob das im Markt gerade Mode ist oder nicht, spielt für uns keine Rolle. Das ist unsere Haltung – und unsere Kompetenz.
















